# taz.de -- Treffen von Kohle-Bürgermeister*innen: Ausgebaggert, vorwärtsgewa… | |
> Nach der „Wende“ nun der zweite radikale Bruch: Im sächsischen Weißwass… | |
> berieten 38 Bürgermeister*innen darüber, was nach der Kohle kommen kann. | |
Bild: Es geht schon wieder nicht weiter: Braunkohlekraftwerke in Weißwasser | |
Weißwasser taz | „10.000 Euro“ habe jeder Bergmann als Abfindung bekommen, | |
sagt Michał Bieda, Bürgermeister der polnischen Stadt Bytom, „als unsere | |
Gruben stillgelegt wurden. Die meisten haben das Geld einfach ausgegeben“, | |
erzählt der Bürgermeister. Nur wenigen sei es mit dem Notgroschen zum | |
Abschied gelungen, „ein kleines Business aufzubauen“. | |
Die Stadt Bytom hat seit 1990 trotzdem fast die Hälfte ihrer Einwohner | |
verloren. Von einstmals 250.000 sind nur noch 140.000 Bytomer*innen da, | |
erklärt Bieda. Die Daheimgebliebenen müssen nach Umbruch und ökonomischer | |
Disruption nun auch noch die beschleunigte ökologische Wende | |
bewerkstelligen. | |
Von sieben Kohleminen sind in Bytom (Beuthen, Oberschlesien) nur noch zwei | |
in Betrieb und das nicht mehr lange. Mit der Umwandlung von [1][Werkhallen | |
in Theater] allein wird dies nicht abzufedern sein. Trotzdem zeigt der | |
junge Bürgermeister Bieda nicht ohne Stolz seine Fotos von seinem neuen | |
„Bitomski Teatr“ vor. | |
Allen Bürgermeister*innen hier geht es so. Auf Einladung der Stadt | |
Weißwasser in der Oberlausitz und des WWF haben sich 38 von ihnen aus ganz | |
Europa versammelt. Auf dem riesigen Areal der früheren Telux-Glasproduktion | |
sitzen die Kohle-Bürgermeister*innen an rustikalen Tischen und diskutieren, | |
wie sie ihren Leuten das beibringen sollen: Dass es so schon wieder nicht | |
weitergeht. | |
## Stippvisite am Bärwalder See | |
Zuvor hatte sich die Delegation auf dem Aussichtsturm am „Schweren Berg“ | |
die letzte noch bewirtschaftete Kohlegrube der früheren Industriestadt | |
angesehen. Ein wüstes Loch in der Landschaft mit dem Kraftwerk am Horizont | |
– aber auch ein Aussichtspunkt auf bereits zugeschüttetes und renaturiertes | |
Land. | |
Bei der anschließenden Stippvisite am Bärwalder See besah man sich noch | |
Ortsansässige beim Wassersporteln auf 13 Quadratkilometern [2][Bärwalder | |
See], der mal eine Kohlegrube war, bis er ab 1997 geflutet wurde. Seit | |
dreizehn Jahren kann hier gebadet werden. „Wir müssen die Bürgermeister | |
ermächtigen“, meint Stavros Mavroginis, Kopf der Energiepolitikabteilung | |
der griechischen Sektion des World Wildlife Funds (WWF). | |
Zusammen mit der Gemeinde Kozani und deren früheren Bürgermeister Lefteris | |
Ioannidis im griechischen Nordwesten fand im vergangenen Jahr bereits das | |
erste Treffen der ökoaffinen Bürgermeister*innen aus Kohlestädten statt. | |
Ioannidis ist auch in Weißwasser dabei. Er sagt: „Wir müssen die Stimme auf | |
EU-Ebene wirklich lauter erheben!“ Dieser Ansicht ist auch Torsten Pötzsch, | |
der Weißwasserer Stadtchef, der in seiner Stadt mit dem linksliberalen | |
Bündnis „Klartext“ einen neuen Politikstil pflegen will. | |
## Treffen mit Umweltministerin Schulze | |
Er hat deshalb für den nächsten Tag ein Treffen seiner Delegation mit | |
Bundesumweltministerin Svenja Schultze (SPD) arrangiert. Die 160 Kilometer | |
in die Hauptstadt der BRD legen die Stadtoberhäupter am Freitag gemeinsam | |
im Reisebus zurück. | |
Das Umweltministerium hat mit dem Andrang so vieler Pressevertreter*innen | |
nicht gerechnet, praktisch alle TV-Sender und Zeitungen sind da. Der | |
Konferenzraum ist viel zu klein, die Flure eng. So können die | |
Bürgermeister*innen aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechien und anderen | |
Ländern selber nicht zu Wort kommen. | |
Schulze bittet um Pardon: „Ob wir als Deutschland nun ein Vorbild sind?“ | |
Das wisse sie nicht. Aber man sei in Sachen Öko-Umbau schon weit, klingt | |
durch. „Viele unserer Leute haben noch nicht überwunden, was mit ihnen vor | |
30 Jahren passiert ist“, sagt Pötzsch, der Mann aus Weißwasser. Der | |
sozioökonomische Bruch betreffe alle hier vertretenen Gemeinden. | |
Das derzeit diskutierte Strukturstärkungsgesetz benötige Ergänzungen für | |
solche Städte. „Diesmal müssen wir es besser und anders machen als in den | |
1990er Jahren!“ Und man müsse auf EU-Ebene Städten helfen, die „auf | |
nationaler Ebene völlig im Stich gelassen werden“. | |
14 Sep 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.deutschlandfunkkultur.de/polnische-kohlestadt-bytom-mit-tanz-un… | |
[2] https://www.pnp.de/nachrichten/ratgeber/reise_und_urlaub/reiseberichte/3419… | |
## AUTOREN | |
Anselm Lenz | |
## TAGS | |
Sachsen | |
Braunkohle | |
Bürgermeister | |
Schwerpunkt Ende Gelände! | |
Braunkohle | |
Braunkohle | |
Kohleausstieg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Wahlkampfthema Kohleausstieg in Polen: Der Smog ist zurück | |
Kurz vor der Wahl macht die starke Luftverschmutzung Polen wieder zu | |
schaffen. Nun schauen alle auf die Kohleregion Oberschlesien. | |
Braunkohletagebau muss ruhen: Stille in Jänschwalde | |
Sieg für Umweltverbände: Ein Gericht stoppt vorläufig den | |
Braunkohle-Tagebau in Brandenburg. Der Betrieb eines Kraftwerks ist nicht | |
gefährdet. | |
Geld für Kohleregionen: Politik fürs Wohlverhalten | |
Mit den Fördermilliarden für die sterbenden Kohleregionen ist es wie mit | |
dem versprochenen Golf fürs Abi: Kann klappen, muss aber nicht. | |
Kohleausstieg in der Lausitz: Angst vor der zweiten Wende | |
Die Pläne für den Kohleausstieg erinnern viele in der Lausitz an die | |
Strukturbrüche nach 1990. Vor Ort ist man deshalb mehr als skeptisch. |