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# taz.de -- Journalisten schreiben Greta nieder: Aus Neid wird Greta attackiert
> Journalisten, die seit Jahren die Welt erklären, ohne sie zu verändern,
> verkraften es nicht, dass ein Teenager wirkmächtiger ist als sie selbst
Bild: Greta Thunberg nach ihrer Ankunft in New York am Mittwoch
## Szenario 1
Es ist Freitag. Um Punkt zwölf Uhr setzt sich ein Mann mit Dreitagebart und
Hornbrille, die ihm ein introvertiertes Aussehen sowie den Hauch eines
vergeistigten Blicks verleiht, mit einem selbst gemalten Schild vor das Amt
der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sein Bauchansatz zeigt, dass er den
Zenit seiner Jugend überschritten hat und statt Tennis zu spielen lieber
gut isst.
Der Mann ist Redakteur eines Leitmediums der deutschen Presse. Er ist so
wichtig, dass er, wenn seine Zeit es überhaupt zulässt, nur noch die
Weltlage kommentiert. Darin ist er Meister, denn er weiß alles, durchschaut
alles, hat die Welt bereist, mit Mächtigen diniert. Ein Meinungsmogul ist
er, dessen Gabe, die Welt zu erklären, etwas Messianisches hat.
Dieser Halbgott des Wortes also hat auf sein Schild eine Botschaft
geschrieben, die sinngemäß heißt: Solange die Bundesregierung nichts tut,
um den Klimawandel zu stoppen, werde er freitags streiken, nicht mehr
kommentieren und so den PolitikerInnen und Wirtschafts-VIPs nicht mehr zu
Diensten sein.
Schon am Freitag darauf sitzen ein halbes Dutzend Kommentarschreiber vor
dem Bundeskanzleramt. Denn was unser Mann eine Woche zuvor gewagt hatte,
ging wie ein Ruck durch die Redaktionsstuben: Sie kapieren plötzlich, dass
sie mit ihren Meinungen die Welt nicht verändern, im Gegenteil, dass die
vierte Gewalt, sie also, zum Steigbügelhalter des Nichtstuns verkommen ist.
Ganz vorn in der Reihe sitzen die Herren von FAZ, Capital, Wirtschaftswoche
und aus dem Hause Springer.
Und noch einen Freitag später sitzen alle Leitartikler der Bundesrepublik
in ihren Anzügen vor dem Kanzleramt, denn die meisten haben zu Hause am
Küchentisch Teenager (spät Vater geworden?) oder Enkel sitzen, die sie
fragen: „Was habt ihr gegen den Klimawandel getan?“ Wenn die Leitartikler
dann „Horch mal“ und „Wie sprichst du mit mir“ oder „Ihr versteht das
nicht, die Arbeitsplätze, die Rendite, die Wirtschaft“ sagten, zeitigte das
keine Wirkung.
Nun aber, jetzt applaudieren die jungen Leute und setzen sich dazu.
Aber ach, Quatsch, zum Lachen das alles, ein Witz. In Wirklichkeit ist es
andersherum.
## Szenario 2
Die Ereignisse sind bekannt: Ein 15-jähriges Mädchen setzt sich im August
2018 vor das schwedische Parlament in Stockholm. Vor sich ein Schild, auf
dem steht: „Schulstreik für das Klima“.
Nur die erste Woche sitzt der Teenager namens Greta Thunberg allein da. Und
ein Jahr später bestreiken Kinder und Jugendliche auf der ganzen Welt an
Freitagen die Schule. Fridays for Future, FFF – der Slogan ist griffig und
gut.
Was aber machen die Leitartikler? Sie applaudieren den jungen Leuten nicht,
sie entwickeln Meinungen dazu, die sie breitflächig, gönnerhaft, belehrend
und altväterlich in ihren Medien verbreiten.
Erst räsonierten sie darüber, ob Schüler und Schülerinnen überhaupt die
Schule bestreiken dürfen. – Ja was denn sonst? Der Protest der Jugendlichen
wäre ohne Schulstreik, ohne zivilen Ungehorsam nicht in ihren
klimatisierten Redaktionsbüros angekommen und so breit in den Medien
aufgegriffen worden, wenn sie es nicht täten.
Als dieser Diskussionsstrang versiegte, wurde Greta Thunberg in den Fokus
gerückt. Da war doch was. Sie ist Autistin, krank also. Zwar bekommt sie
dafür den Behindertenbonus, sie wird aber auch pathologisiert und auf diese
Weise nicht ernst genommen mit ihrem Anliegen.
Nachdem dies indes nicht genug Wirkung zeitigte, verstiegen sich die
Kommentatoren aufs Vergleichen. Von einem Kinderkreuzzug war die Rede, bei
dem sich die Kinder am Ende ins Unglück stürzten, von Kassandra, von Oskar
Matzerath, von Jeanne d’Arc. (Positiv verglichen wurde Thunberg nur mit
Matzerath, der auch nicht wachsen wollte aus Protest gegen die Dummheit der
Erwachsenen um ihn herum. Aber die das schrieb, war nur eine
Feuilletonistin.)
Okay, Vergleiche konnten die FFF-Bewegung auch nicht stoppen. Da verstiegen
sich die Leitartikler aufs Belehren. Greta Thunberg, die am Mittwoch mit
ihrem Segelboot in New York angekommen ist, verstehe nicht, was Demokratie
bedeute. Es bedeute, dass man Widersprüche aushalten müsse – und das könne
Thunberg (qua Diagnose) nicht. Und außerdem orakelten die Journalisten,
irgendwann werde sich alles verlaufen. Aber die FFF-Bewegung ließ sich auch
damit nicht aufhalten.
Selbst im mörderischen Kabul gehen Jugendliche für Klimaschutz auf die
Straße. Da griffen die Leitartikler zu einer spitzeren Waffe: der der
Diffamierung. Greta Thunberg sei, argumentierten sie, nur der Spielball der
Investment- und PR-Akteure im Hintergrund. (Die AfD, die den Klimawandel
sowieso für einen PR-Gag hält zum Zweck, neue Steuern zu generieren,
bedankt sich für diese Vorlage recht herzlich.)
Neuester Hashtag der Oberlehrer, die gern vom hohen Ross herab
argumentieren (und die taz war da mit dabei): Greta Thunbergs
Atlantiküberquerung ist gar nicht klimaneutral. Soll heißen: Das Mädchen
täuscht. Wer aber täuscht, vor dem wird gewarnt: Der Subtext ist also: Bloß
nicht auf sie hereinfallen.
## The Wall
We don ’t need no education We don’t need no thought control No dark
sarcasm in the classroom Teachers leave them kids alone Hey! Teachers!
Leave them kids alone All in all it ’s just another brick in the wall All
in all you ’re just another brick in the wall
## Nachdenken
Allmählich müsste doch jemandem auffallen, was hier passiert. Die
Leitartikler und medialen Oberlehrer, die seit Jahren die Welt erklären,
ohne die Welt zu verändern, verkraften es nicht, dass ein Teenager
wirkmächtiger ist als sie selbst.
Schon 1992 bei der Umwelt- und Klimakonferenz in Rio de Janeiro sprach ein
Kind, die 13-jährige Severn Suzuki, von der Kinder-Umweltorganisation Eco.
Sie bat die Delegierten, alles zu tun, damit der Planet nicht vor die Hunde
geht. Und sie erzählte, dass ihr Vater immer zu ihr sagte: Du bist, was du
tust, nicht, was du sagst.
27 Jahre sind seither vergangen, und Politiker und Journalisten haben
geredet (oder geschrieben, was aufs Gleiche hinauskommt). Greta Thunberg
und all die Kinder in der ganzen Welt aber zeigen, dass endlich gehandelt
werden muss, dass sofort gehandelt werden muss, dass genug geredet wurde
und dass wirkmächtig ist, wer zivilen Ungehorsam übt, indem er die Schule
bestreikt, den Hambacher Forst und Braunkohlebagger besetzt – zum Beispiel.
Nicht nur hat Thunberg indes den Klimawandel zum Topthema gemacht, sie hat
auch dem Wort „Globalisierung“ eine neue Bedeutung gegeben, jenseits von
freien Märkten. Sie hat eine echte, den Globus umspannende Bewegung
ausgelöst – und es sind Kinder und Jugendliche, die sie tragen.
Die Kommentare der Welterklärer aber plätschern dahin. Viele der Schreiber
kreisen nur noch um sich selbst. Das wäre nicht so schlimm, wenn sie es
nicht merken würden. Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt ihnen jedoch,
dass sie den Anschluss verpasst haben. Schwer vorstellbar, dass es eine
schlimmere narzisstische Kränkung für die gibt, die meinen, das Sagen zu
haben. Deshalb ihre Belehrungen. Wer belehrt hat die Oberhand.
## Übrigens
Jeanne d’Arc ist gar kein so schlechter Vergleich. Auch damals waren es
mächtige Männer, die meinten die Welt lenken zu können und die es nicht
verkrafteten, dass von einer jungen Frau eine die Geschichte verändernde
Wirkung ausging. Bleibt zu hoffen, dass Greta Thunberg nicht Ähnliches
passiert wie ihr.
1 Sep 2019
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Schwerpunkt Fridays For Future
Greta Thunberg
Schwerpunkt Klimawandel
Anti-Atom-Bewegung
Ökologischer Fußabdruck
Greta Thunberg
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