| # taz.de -- Grüner vor der Wahl in Österreich: Ungekämmt zum Vizekanzler? | |
| > Werner Kogler soll die österreichischen Grünen zurück ins Parlament | |
| > hieven. Sebastian Kurz nennt er einen „Schnösel-Machiavellisten“. | |
| Bild: Für Werner Kogler sind die deutschen Grünen ein Vorbild | |
| WIEN taz | Fast könnte man Werner Kogler für einen Showman halten, wenn er | |
| leichtfüßig über die Bühne hüpft, ohne Manuskript oder Teleprompter eine | |
| Stunde lang das Publikum unterhält und immer wieder mit deftigen | |
| Formulierungen Szenenapplaus provoziert. Wenn er den | |
| „Scheißdreck-Populismus“ geißelt, mit dem die bis vor Kurzem regierende | |
| „unsoziale Rasselbande“ Politik mache. Nur das Hemd, das locker über dem | |
| Hosenbund hängt, und die hochgeschobenen Ärmel passen nicht so ganz in das | |
| Bild eines glamourösen Entertainers. | |
| Aber Glamour braucht Kogler auch nicht: Nach seinem Auftritt in der | |
| ehemaligen Ankerbrot-Fabrik im Wiener Stadtteil Favoriten wurde der | |
| Bundessprecher der österreichischen Grünen vor einem Monat mit 98,58 | |
| Prozent der Delegiertenstimmen zum Spitzenkandidaten für die | |
| Nationalratswahlen vom 29. September gekürt. Wen sonst, kann man sich | |
| fragen. Der 57-jährige Steirer hat den Ökos in weniger als zwei Jahren neue | |
| Höhenflüge beschert. Viele sehen in ihm sogar den künftigen Vizekanzler. | |
| Nach dem Bruch der ÖVP-FPÖ-Regierung im vergangenen Mai sind neue | |
| Koalitionsvarianten nötig. Heinz-Christian Strache (FPÖ) musste | |
| zurücktreten, nachdem Der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung ein | |
| [1][heimlich aufgenommenes Video] verbreiteten, auf dem der spätere | |
| Vizekanzler einer vermeintlichen russischen Oligarchin Bauaufträge, Anteile | |
| am auflagenstarken Boulevardblatt Kronen Zeitung und sogar Geschäfte mit | |
| Trinkwasser in Aussicht gestellt hatte, wenn sie ihn durch verdeckte | |
| Spenden in die Regierung bringe. | |
| Ein von der FPÖ unterstützter Misstrauensantrag brachte wenige Tage später | |
| die [2][gesamte Regierung von Sebastian Kurz] zu Fall. Seither regiert ein | |
| Expertenkabinett – und die Grünen haben unerwartet die Chance, nach dem | |
| Rausflug aus dem Nationalrat bei den Wahlen im Oktober 2017 ins Parlament | |
| zurückzukehren. Ein zweistelliges Ergebnis scheint in Reichweite, | |
| Optimisten träumen von mehr als 14 Prozent. | |
| ## Andere Positionen als die Parteiführung | |
| Kogler, der nach dem Debakel von 2017 ehrenamtlich den Laden übernahm, | |
| spricht nicht gern über die schweren Stunden und die Ursachen für den | |
| plötzlichen Wählerschwund. Drei Gründe seien es gewesen: ein medial | |
| aufgeblasener Konflikt mit zwei Landesorganisationen der Jungen Grünen, | |
| dann der Zwist mit dem grünen Urgestein Peter Pilz, der seinen vorderen | |
| Listenplatz für den deutlich jüngeren Julian Schmid räumen musste und | |
| darauf eine eigene Liste gründete, die – anders als die Grünen – die | |
| Vierprozenthürde schaffte und in den Nationalrat einzog. | |
| Und schließlich hätte die Parteiführung auf der Zielgeraden zu den Wahlen | |
| noch Optimismus verbreitet, statt die Wähler mit dem Alarmruf „Es könnte | |
| knapp werden“ wachzurütteln. Kogler hatte jedes Mal eine andere Position | |
| vertreten als die Parteiführung. Auch deswegen wurde er auserkoren, den | |
| grünen Karren aus dem Dreck zu ziehen. | |
| Kogler war schon im EU-Wahlkampf als Spitzenkandidat angetreten und hatte | |
| gemeinsam mit der Star-Köchin Sarah Wiener ein sensationelles Ergebnis von | |
| 14 Prozent eingefahren. Um diesen Schwung mitzunehmen, nahm Kogler das | |
| Mandat nicht an und steckte all seine Energie in den österreichischen | |
| Wahlkampf – auch auf Drängen seiner Partei. Durch „Fokussierung auf die | |
| grünen Kernthemen Umwelt und soziale Gerechtigkeit“ will Kogler die Grünen | |
| zurück in den Nationalrat hieven. „Radikal und real, wie die | |
| bundesdeutschen Grünen“, wolle man dabei rüberkommen, sagt er. | |
| Der Asylanwalt Georg Bürstmayer, der sich auch um ein Mandat bewirbt, war | |
| schon vor Jahren dafür eingetreten, die Grünen zu öffnen und in eine | |
| „Volkspartei“ im positiven Sinn zu verwandeln. In Werner Kogler sieht er | |
| einen Verbündeten, die deutschen Kollegen dienen als Vorbild. Bürstmayer | |
| zeigt sich beeindruckt von der Energie, mit der Kogler sein Ziel verfolge: | |
| „Er ist eine Art Mischung aus Stehaufmännchen und Duracell-Hase. Was der an | |
| Kilometern abspult, ist unglaublich.“ | |
| ## Vom „Kuhdorf“ in den Nationalrat | |
| Aufgewachsen ist er in St. Johann in der Heide, einem „Kuhdorf, wo man mit | |
| der Milchkanne zum Bauern ging“, wie Kogler selbst sagt. Er war der Erste | |
| aus dem Ort, der es aufs Gymnasium schaffte. 40 Kilometer fuhr er täglich | |
| mit dem Bus nach Gleisdorf bei Graz in die Schule. Deutsch- und | |
| Geschichtslehrer, die von der 68er-Welle angesteckt waren, hätten ihm | |
| vermittelt, „dass es da noch eine andere Welt gibt“. Beim | |
| Volkswirtschaftsstudium in Graz entdeckte er mit Energiewirtschaft und | |
| Umweltökonomie seine Zukunftsthemen. Gleichzeitig engagierte er sich bei | |
| der Gründung der Grünen und zog 1985 für sie in den Grazer Gemeinderat ein. | |
| Fast 20 Jahre saß er später im Nationalrat und profilierte sich als | |
| Wirtschaftssprecher. | |
| Astrid Rössler, die in Salzburg die Kandidatenliste anführt, „könnte | |
| niederknien vor lauter Dankbarkeit und Freude, dass er die Grünen nach der | |
| Niederlage getragen und rausgezogen hat“. Sein Geheimnis? „Er ist durch und | |
| durch ein Grüner und ein liebenswürdiger Mensch.“ In einer Sprachanalyse | |
| für Die Presse am Sonntag wird Kogler „Meister der paradoxen Intervention | |
| wie des ungewöhnlichen Auftritts“ genannt. Er komme hemdsärmelig und | |
| manchmal ungekämmt ins Studio und verhasple sich mitunter bei einer | |
| Diskussion, „nicht weil ihm das Wissen fehlt, sondern weil er so viele | |
| Botschaften anbringen will, dass sie schlichtweg nicht alle in einen Satz | |
| passen“. | |
| Das Problem ist ihm bewusst. Auf die Frage, was man [3][von Sebastian Kurz] | |
| lernen könnte, muss er nicht lange nachdenken: „Ganz verständlich zu | |
| reden.“ Es sei „schon eine Kunst, eine ganz einfache Sprache zu wählen, bis | |
| hin zur Grammatik“. Inhaltlich sei die Schnittmenge gering. Kogler sieht | |
| Kurz als „Schnösel-Macchiavellisten“, als einen, dem es nur um die eigene | |
| Macht gehe. Eine gemeinsame Koalition kann er sich deswegen kaum | |
| vorstellen. Aber stimmt zumindest die Chemie zwischen den beiden? „Ich weiß | |
| nicht, ob es für so wenige Moleküle eine Formel gibt“, sagt Kogler. Dabei | |
| habe er an Kurz „positive Erinnerungen, bevor er Kanzler wurde“. In seiner | |
| Zeit als Integrationsstaatssekretär habe Kurz „den Kontakt gesucht und | |
| inhaltlich eine ganz andere Linie verfolgt: ungezwungen, unkompliziert, | |
| aufeinander zugehend“. Das habe sich total geändert: „In der aufkeimenden | |
| Flüchtlingsfrage sind wir bei ihm immer nur kalt abgeblitzt.“ | |
| ## Verbieten will er das Fliegen nicht | |
| Trotzdem bereiten sich die Grünen offenbar auf Koalitionsverhandlungen vor. | |
| Beim Parteikongress im Juli hat niemand der Befragten mit der Wimper | |
| gezuckt, als es um die Befähigung von Werner Kogler zum Vizekanzler ging. | |
| Er sei ein erfahrener Politiker, habe den Rechnungshofausschuss geleitet | |
| und Verhandlungen geführt, sagt die ehemalige Abgeordnete Alev Korun: „Ich | |
| kann mir für den Vizekanzler keinen erfahreneren Politiker vorstellen.“ | |
| Astrid Rössler sieht ihn schon am Verhandlungstisch und stellt ihn sich | |
| beim Armdrücken vor: „Da hat er volle Kraft.“ Die Biobäuerin und | |
| parlamentarische Mitarbeiterin Irmi Salzer lobt Koglers Glaubwürdigkeit: | |
| „Er meint das, was er sagt, ist bodenständig und redet so, dass die Leute | |
| im Wirtshaus ihn verstehen. | |
| Außerdem kann er wunderbar unterhalten mit seinen Filibuster-Reden.“ Damit | |
| spielt sie auf Koglers legendäre Rede von 12 Stunden und 42 Minuten im | |
| parlamentarischen Budgetausschuss im Jahr 2010 an. Anlass für die | |
| Endlosansprache war eine verfassungswidrige Verschiebung des Haushalts aus | |
| wahltaktischen Gründen durch die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP. Angelegt | |
| war der Filibuster eigentlich auf 6 Stunden und 40 Minuten. Das Ergebnis? | |
| „Nie wieder haben die Regierungsparteien das Budget verfassungswidrig | |
| verschoben“, sagt Kogler. | |
| Die Grünen fordern mit Kogler ein radikales Umdenken in der Klimapolitik, | |
| eine ökologisch-soziale Steuerreform und mehr Schiene statt Autobahn. | |
| Kogler selbst hat nie ein Auto besessen – im Bedarfsfall mietet er eines. | |
| Auf die Frage nach seinem letzten Langstreckenflug sagt er, Europa habe er | |
| erst zweimal verlassen. Einmal für einen Urlaub in Marokko, einmal für eine | |
| Konferenz in Mexiko. Der Ökonom ist keiner, der das Fliegen verbieten will, | |
| und kein grundsätzlicher Kritiker von Wirtschaftswachstum. Er sieht das | |
| „entspannter, als man erwartet“, es gebe genug Wachstumsmöglichkeiten ohne | |
| steigenden Ressourcenverbrauch. Zunächst muss sich Kogler aber um das | |
| Wachstum der Grünen kümmern: nachhaltig. | |
| 8 Aug 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralf Leonhard | |
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