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# taz.de -- Serie: Fünf für die Finals: Immer ins Gelbe treffen
> Bogenschützin Elena Richter entdeckte ihren Sport als Zehnjährige.
> Seitdem schießt die Berlinerin erfolgreich wie kaum eine andere.
Bild: Im Wettkampf ist Elena Richter voll konzentriert. Auf 70 Meter Distanz tr…
Berlin taz | Elena Richter lässt den rechten Arm ein paar Sekunden lang
nach unten hängen, um ihn zu lockern. Dann greift sie in ihren Köcher,
zieht einen Pfeil heraus. Um ihren linken Arm sind zwei Gurte gespannt, die
eine etwa 15 Zentimeter lange Plastikschiene halten. Wenn die Sehne des
Bogens ausfedert, könnte die Arminnenseite etwas abbekommen, deshalb der
Schutz. Richter legt den Pfeil an, zieht die Sehne mit drei Fingern zurück,
bis sie fast ihre Nasenspitze berührt. Ihr Blick ist fokussiert, Richter
atmet ruhig. Die Finger lösen sich, der Pfeil schießt in die Luft. Mit
bloßem Auge ist er kaum zu verfolgen. Dann ein dumpfes Ploppen, der Pfeil
steckt in der Zielscheibe.
Richter ist Bogenschützin und trainiert mit ihren MannschaftskollegInnen
auf einer buckeligen Wiese im Sportforum Hohenschönhausen. Seit sie zehn
Jahre alt ist, schießt sie Pfeile durch die Luft. „Ich war nie die beste
Leichtathletin. Da hat mir das Bogenschießen gefallen, ich dachte: Hey, da
bin ich gut. Und es ist auch Sport“, erzählt sie lachend.
Neben ihr schießt Lisa Unruh, die zweite große Konstante im deutschen
Bogensport. Seit fast 20 Jahren kennen sich die beiden, haben viel
miteinander erlebt. Wettkampf für Wettkampf treten sie gemeinsam an, im
Teamwettbewerb. Wettkampf für Wettkampf aber sind sie auch Konkurrentinnen
– in der Einzelwertung. Eine schwierige Situation, gerade im Bogensport, wo
die Schützinnen ohnehin sehr individuell agieren. Beim Schießen ist es
wichtig, sich voll auf sich selbst zu fokussieren. Anders sind die
Herausforderungen in Sachen Kraft, Koordination und Kondition nicht zu
erfüllen.
Aber es gibt ja auch in Wettkampfphasen noch ein Leben ohne Bogen in der
Hand. „Wenn wir unterwegs sind, schlafen wir in Doppelzimmern. Da ist es
schon wichtig, dass alles ganz cool und nett ist“, sagt Richter. Das
funktioniere ganz gut, erzählt sie nach kurzem Überlegen. Erst vor Kurzem
habe sie ihren Geburtstag nachgefeiert, da waren ihre TeamkollegInnen
natürlich eingeladen. „Das war echt super gut.“
## Auf den Zentimeter genau
Richters eben abgefeuerte Pfeile stecken in der Zielscheibe – im gelben
Bereich, in den Punktewertungen neun und zehn. „Man sagt ja, man müsse ins
Schwarze treffen. Aber eigentlich muss man ins Gelbe treffen.“ Gut gelaunt
zieht Richter die Pfeile aus der Scheibe. Die schwarzen Ringe liegen außen,
gezielt wird natürlich in die Mitte – Richter tut das in aller Regel
erfolgreich.
„Es gibt so viele Erinnerungen, bei denen ich sagen würde: Boah, das war
toll“, erzählt sie stolz von ihren vielen Erfolgen der vergangenen Jahre.
2012 trat sie bei den Olympischen Spielen in London an und war überwältigt
von der Atmosphäre dort. 2018 wurde sie gleich doppelt Weltmeisterin – im
Einzel und im Mannschaftswettbewerb. Und 2014 gewann sie einen Weltcup –
das gelang noch keiner anderen deutschen Bogenschützin.
Auch Lisa Unruh, die 2016 Silber bei den Olympischen Spielen in Rio holte,
konnte bislang nie einen Weltcup gewinnen. Obwohl sie privat gut
miteinander auskommen, ist das Gegeneinander bei den beiden Schützinnen
immer präsent. 2016 war Unruh besser, durfte deshalb zu Olympia. Richter
stand zwar auf der Reserveliste, war aber gar nicht vor Ort. „Ich habe
schon gemerkt, dass ich danach ein bisschen abgeschriebener war als
vorher“, erzählt sie – und mediale Aufmerksamkeit ist ohnehin nur begrenzt
vorhanden.
Richters schlechte Phase im Jahr 2016 hatte einen längeren Vorlauf. „2014,
als ich große Erfolge hatte, habe ich mich selber so unter Druck gesetzt,
dass ich fast nicht mehr gewollt, den Sport dann vielleicht auch gelassen
hätte.“ Richter pausierte für drei Monate, doch die Probleme blieben. „Wir
Bogenschützen haben manchmal Schießblockaden. Das sind mentale Blockaden.
Bei mir war es so, dass ich es nicht mehr geschafft habe, den Pfeil durch
den Klicker zu ziehen.“
## Kampf gegen mentale Hemmnisse
Der Klicker ist ein kleines Stück Metall, das dort befestigt ist, wo der
Pfeil am Bogen vorbeigeführt wird. Ist der Pfeil komplett am Klicker
vorbeigezogen, weiß die Schützin: Die Sehne mit dem Pfeil ist weit genug
gespannt. Dann klickt es einmal und Richter kann den Schuss lösen. Wenn es
einfach nicht mehr klickt, ist das also ein echtes Problem. „Es war gar
nicht so, dass ich nicht genug Kraft hatte. Es war einfach alles zu, alles
blockiert.“ Die Phase dauerte fast drei Jahre an. „Anfang 2017 hatte ich
dann zum ersten Mal wieder das Gefühl: Krass, ich bin am Steuer. Ich habe
die Kontrolle.“
Seitdem achtet sie stärker darauf, die Kontrolle nicht zu verlieren, Dinge
bewusster zu genießen – die Zeit mit ihrem Pferd zum Beispiel. Es steht in
einem Stall in Brandenburg, Richter ist zu Besuch, wann immer es geht.
„Gerome nimmt mich, wie ich bin, und spiegelt meine Laune total gut. Wenn
ich aufgekratzt bin, ist er auch aufgekratzt. Das ist immer ein ganz gutes
Zeichen: Okay, ich muss runterkommen.“
Richter ist kein außergewöhnlich ruhiger Mensch. Im Gespräch lacht sie viel
und redet schnell. „Besonders hibbelig bin ich aber nicht, war ich auch
noch nie“, überlegt sie. Trotzdem hilft ihr die Zeit mit Pferd Gerome – und
die Zeit mit ihrem Freund. Gerade planen die beiden ihren gemeinsamen
Jahresurlaub. Direkt nach den Finals geht es eine Woche an die Ostsee,
danach sind die Ziele noch offen. „Das beißt sich immer ein bisschen“,
erzählt sie. „Mein Freund will, nachdem er das ganze Jahr gearbeitet hat,
gerne mal weiter weg, und ich komme halt von weit weg und sage: Können wir
irgendwo hier bleiben? Oder zum Zelten fahren oder so?“
Vor dem Urlaub stehen erst die deutschen Meisterschaften an. Eigentlich sei
das immer so ein Wettbewerb, der ein wenig wie an die Saison angehängt
wirke, erzählt sie. Die Finals in diesem Jahr aber seien was anderes: „Da
ist einmal das mediale Interesse, dann haben sich schon Menschen aus dem
privaten Umfeld angekündigt, die zuschauen wollen. Da freue ich mich
einfach drauf.“
## Bogenschießen bei den Finals
Die Vorrunde findet schon am Freitag statt. Alle schießen für sich, am Ende
werden die Punkte addiert und eine Rangliste gebildet. In der Finalrunde am
Samstag schießt die Erstplatzierte gegen die Letztplatzierte, so wird nach
und nach im K.-o-System ausgesiebt, bis zum Bronze- und Gold-Finale, in dem
auch Elena Richter am Ende antreten und natürlich gewinnen will.
Wie die meisten Bogenschützinnen wird sie dabei einen Anglerhut tragen –
die einzige Möglichkeit, das eigene Sichtfeld vor blendender Sonne zu
schützen, ohne sich selbst beim Spannen der Sehne mit einem langen
Mützenschirm zu behindern. Da sehe man dann eben ein bisschen lustig aus,
schmunzelt Richter. Eitel ist sie definitiv nicht.
31 Jul 2019
## AUTOREN
Lukas Waschbüsch
## TAGS
Olympischer Sport
Leistungssport
Deutsche Meisterschaft
Bogenschießen
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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