Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Déjà-vu vor Sankt Eulalia
> Ein dunkel gekleideter Herr und eine blonde Dame vor einem Brunnen –
> eindeutig Vorzeichen für ein schreckliches Geschehen.
Der Sommer wurde jeden Tag schöner, und wir saßen auf den Stufen der
Eulaliakirche im Abendlicht, tranken kaltes Bier aus Gerbers Kiosk und
fühlten uns wie vor Jahrzehnten, als das Leben, das vor uns lag, noch aus
tausend Möglichkeiten bestand und jederzeit einer von uns sagen konnte:
„Los Jungs, wir nehmen unsere Rucksäcke und stellen uns an die Straße – i…
weiß ganz genau, dass im Süden das Glück auf uns wartet!“
Nur Raimund kuckte mürrisch aus der Wäsche. „Ich schwöre euch, ich hab das
schon mal gesehen“, brummte er und zeigte zum Goetheplatzbrunnen hinüber.
„Und ich sage euch, das nimmt kein gutes Ende!“
„Stimmt“, sagte Rudi, der Blödmann, „jetzt wo du’s sagst! Ich hab so w…
auch schon mal gesehen – irgendwann in den späten Sechzigern, als ich mit
meiner Oma zum Entenfüttern in den Bürgerpark ging und Verona Klapotnik im
Goldfischbassin am Eingangsrondell stand und unter der großen Fontäne
duschte.“
Raimund rollte mit den Augen, wie fast immer, wenn Rudi etwas von sich gab:
„Ich spreche nicht von Verona Wieauchimmer, und ich spreche auch nicht
davon, dass ich so was Ähnliches schon mal gesehen habe. Ich habe exakt das
hier schon mal gesehen: Genau diese blonde Frau in genau diesem Brunnen mit
genau diesem Typen im schwarzen Anzug, der daneben steht und zuschaut. Das
ist doch kein Zufall!“
Die Frau und der Typ im schwarzen Anzug gehörten zu einer Gruppe von jungen
Leuten, die vor Kurzem in der Stadt aufgetaucht waren. Sie hatten Raimund
schon tags zuvor in eine düstere Stimmung versetzt, als sie die Bäckerei
Brüser verließen und die blonde Frau von zwei oder drei Krähen attackiert
wurde, die wahrscheinlich auf das Rosinenbrötchen scharf waren, das die
Frau aß.
„Genau diese Szene hab ich schon mal gesehen“, hatte er abends mit belegter
Stimme gesagt, als er uns von dem Erlebnis erzählte, „und jedermann weiß,
dass solche Déjà-vus ein Verhängnis ankündigen. Etwas Schreckliches wird
passieren, vielleicht werde ich noch heute Abend von einer Straßenbahn
überfahren!“ Wir alle fanden das sehr bedenklich und nickten schweigend und
ernst, nur Rudi, der Blödmann, hatte natürlich kein Gespür für die
Situation und sagte: „Vielleicht solltest du weniger Bier trinken. Wer
weniger trinkt, hat nicht so viele Déjà-vus und läuft auch nicht so leicht
vor eine Straßenbahn.“
Die jungen Leute waren unterdessen vom Brunnen zu dem alten Torbogen
hinübergegangen, der am Rande des Goetheplatzes stand. Der Typ im
schwarzen Anzug trat unter den Bogen und nahm einen anderen Burschen auf
die Schultern. „Oh Gott“, keuchte Raimund, „ich sag’s ja … ich werde …
doch als die blonde Frau dem Typen im schwarzen Anzug eine Mundharmonika
zwischen die Zähne klemmte und anschließend mit einem Hut herumging, brach
Luis in lautes Gelächter aus, schlug Raimund auf die Schulter und rief:
„Los Kleiner, spiel mir das Lied vom Tod!“
16 Jul 2019
## AUTOREN
Joachim Schulz
## TAGS
Déjà-vu
Menetekel
Vorahnungen
Schwerpunkt Fridays For Future
Udo Jürgens
Grünkohl
Kindheit
Yoga
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Frösche for future
Als alter Sack bei den Klimademonstrationen der jungen Leute
mitmarschieren? Besser nicht! Die bewerfen einen doch nur mit „Coffee to
go“-Bechern.
Die Wahrheit: Heimatlos durch die Nacht
Auch Wirte brauchen mal Urlaub. Wenn dann der Ersatz die Kasse klingeln
lässt, ist es um die Stammgäste rasch geschehen.
Die Wahrheit: Kohlkaisers Erbe
Mitten im Hochsommer Grünkohl zu essen, ist äußerst ungewöhnlich und lässt
sich nur mit einer unbändigen Portion perverser Heimatliebe erklären.
Die Wahrheit: Kartoffeldiebe im Einhornparadies
Als Kindheitsparadies kann auch ein verwilderter Schrebergarten dienen.
Doch ist dieser geheimnisumwitterte Ort ständiger Bedrohung ausgesetzt.
Die Wahrheit: Schnellkochtopf mit Gespenstern
Im mysteriösen Gong-Bad entweicht die Energie erst, wenn kräftig gefüßelt
wird. Dann aber gerät alles gar kräftig in Bewegung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.