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# taz.de -- Übergriffsvorwürfe gegen Opferberater: Wem vertrauen, wenn nicht …
> Ein Opferberater des Weißen Rings steht vor Gericht: Er soll eine
> Ratsuchende sexuell belästigt haben. Vorwürfe erheben noch mehr Frauen.
Bild: Wer hilft gegen die, die eigentlich helfen sollen? Prospektmaterial des W…
Hamburg taz | Einer der prominentesten Fälle ist wohl [1][Kevin Spacey]:
Der Prozess wegen sexueller Belästigung, die der 59-jährige Schauspieler im
Jahr 2016 an einem damals 18-Jährigen begangen haben soll, droht zu
platzen. So ging es in dieser Woche [2][durch die Medien]. Der mutmaßlich
Geschädigte verweigert die Aussage. Ohne ihn aber, so erklärte der Richter,
sei die Fortführung des Prozesses wohl schwierig.
Aussagen des Opfers gegen die Aussagen des Täters: Bei Verhandlungen
sexueller Übergriffe ist das eine häufige Konstellation. Oft fehlen weitere
Beweise, weil die Taten in privater Umgebung geschehen sind – oder sein
sollen. Viel hängt hier ab von der Glaubwürdigkeit der oder des
Geschädigten. Vor Gericht nutzen Zweifel dem Angeklagten.
Für Fälle von Vergewaltigung lässt sich das auch anhand der Zahlen sehen:
Nur rund eine von zehn einschlägigen Anzeigen führt am Ende zu einer
Verurteilung, in rund einem Viertel der Fälle ergehen Freisprüche, das ist
deutlich häufiger als im Durchschnitt.
Auf die Nachricht des wackelnden Spacey-Verfahrens reagierten manche
[3][Kommentatoren in den sozialen Medien], als sei sie schon ein solcher
Freispruch. Juristisch bis heute unbescholten, hatte Spaceys Karriere im
Oktober 2017 ein jähes Ende genommen, nachdem erstmals Vorwürfe sexueller
Belästigung öffentlich wurden.
Es war die Hochzeit der [4][#MeToo-Debatte], Spacey wurde aus Filmen
geschnitten, verlor seine Hauptrolle in der Netflix-Serie „House of Cards“.
Seine Reputation indes verlor er nicht nur wegen des einzelnen Vorwurfs,
sondern weil sich nach und nach immer mehr Menschen gemeldet hatten, die
ihm Übergriffe anlasteten.
## Twitter ist kein Gerichtssaal
So geschah es seither öfter: Im Zuge der #MeToo-Debatte trauen sich Frauen,
seltener auch Männer, sexuelle Übergriffe, Belästigungen und
Vergewaltigungen öffentlich zu machen. Doch der Umgang mit den
Anschuldigungen wirft durchaus juristische Fragen auf. Klar ist: Eine
Debatte auf Twitter verläuft anders als in einem Gerichtssaal, wo eine
Verteidigung etabliert ist.
Derzeit findet in Lübeck ein Gerichtsprozess statt, der es zwar nicht in
die internationalen Gazetten schafft, aber doch immerhin im Norden
Deutschlands Schlagzeilen macht. Weniger die Prominenz des Angeklagten
sorgt hier für Interesse als seine langjährige Funktion: Angeklagt ist
Detlef H., denn er soll eine 41-Jährige belästigt haben, M., die zu ihm in
die Beratung gekommen war.
Wieso Beratung? Der Angeklagte leitete jahrelang die Lübecker Außenstelle
der Opferhilfeorganisation Weißer Ring. Schon wegen dieses Amtes war der
Schutz von Kriminalitätsopfern seine Profession, bestand seine Aufgabe
genuin darin, ihnen in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen –
selbstverständlich auch den Opfern sexueller Gewalt.
Wie agiert ein Mann mit so einem Hintergrund, der bis dato denjenigen
beizustehen hatte, die nun, in seinem Verfahren, „auf der anderen Seite“
sitzen, der Bank der Nebenklage im Gerichtssaal? H.s Anwalt hat auch Zeugen
geladen, die die Glaubwürdigkeit der anzeigenden Frau in Zweifel ziehen,
sie als Betrügerin dastehen lassen. Anwälte, so erklären Juristen, sind
einzig dem Wohl ihrer Mandanten verpflichtet. Basiert die Anklage nur auf
der Aussage des Opfers, kann es juristisch eine erfolgversprechende
Verteidigungsstrategie sein, hier anzusetzen.
Zumindest bei Vergewaltigungen äußern sich Beratungsstellen sehr abwägend
in der Frage, ob Frauen zum Mittel der Strafanzeige greifen sollen: Manchen
Frauen helfe der Schritt bei der Verarbeitung der Gewalttat, für andere
stelle sich das Ermittlungs- und Strafverfahren aber als unzumutbare
Belastung heraus.
## Sehr viel mehr Vorwürfe
Auch bei H. geht es nicht um einen einzelnen Vorgang, neben M. erheben
weitere 28 Frauen Vorwürfe. Doch nur dieser eine Fall hat es bislang vors
Gericht geschafft; andere sind verjährt, fielen in die Zeit vor 2016: Da
gab es die „sexuelle Belästigung“ noch nicht als eigenen Straftatbestand.
Darin ähneln sich solche Fälle. Erst Ende Mai etwa verurteilte das
Amtsgericht in Bremen einen Masseur zu einer Geldstrafe, weil er eine Frau
[5][gegen ihren Willen an die Brust gefasst] hatte. Aber 18 weitere
Verfahren gegen den Mann wurden eingestellt – für die Betroffenen ein
Skandal.
In Sachen H. kursierten seit Jahren Gerüchte. Dass der Fall trotz des
Versagens an vielen Stellen heute so offen liegt, geht auf Recherchen von
Spiegel und Lübecker Nachrichten zurück. Aber es hat auch damit zu tun,
dass sich durch #MeToo der Umgang mit sexueller Belästigung und
Machtmissbrauch verändert: Das zumeist männliche Verhalten, Begehren an
Frauen auch gegen deren Willen auszuleben, wird nicht mehr verharmlost,
oder nicht mehr ganz so selbstverständlich.
Gleichwohl: Der Kampf gegen das Patriarchat wird nicht allein im
Gerichtssaal gewonnen werden.
Mehr über Helfer unter Verdacht, das Säen von Zweifeln im Gerichtssaal und
warum der Prozess eine Chance für den Weißen Ring sein könnte, lesen Sie in
der gedruckten taz nord am Wochenende oder [6][hier].
12 Jul 2019
## LINKS
[1] /!5563500
[2] https://www.washingtontimes.com/news/2019/jul/8/kevin-spacey-accuser-invoke…
[3] https://twitter.com/Suffolk_U_News/status/1148688532938076161
[4] /!s=metoo/
[5] /Vergewaltigungsvorwuerfe-gegen-Masseur/!5528219/
[6] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
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