| # taz.de -- Film „Tel Aviv on Fire“: Beim Seriengucken sind alle gleich | |
| > Der in Israel aufgewachsene Palästinenser Sameh Zoabi hat eine Komödie | |
| > über den Nahostkonflikt gedreht. Ihr Titel: „Tel Aviv on Fire“. Geht das | |
| > gut? | |
| Bild: Lubna Azabal als Tala und Yousef Sweid als Yehuda in einer Szene des Film… | |
| Es gibt lustigere Dinge als den Nahostkonflikt. Eine Komödie darüber zu | |
| drehen, ist nicht nur schwer, sondern fast etwas wahnsinnig. Dem in Israel | |
| aufgewachsenen Palästinenser Sameh Zoabi ist das Wagnis dennoch geglückt – | |
| mit einer Komödie, die doppelbödig zu nennen eher untertrieben wäre. „Tel | |
| Aviv on Fire“ ist ein hintersinniges kleines Kammerspiel, das auch mit | |
| grelleren Farben arbeitet, für diese aber eine eigene kleine Bühne | |
| bereithält. Daneben – oder vor allem – ist es ein Film über einen Mann, d… | |
| seinen Platz im Leben sucht und ihn auf ziemlich überraschende Weise | |
| findet: ein humoristisches Märchen vor überpolitisiertem Hintergrund. | |
| Dessen Held stolpert zunächst reichlich ziellos darin herum. Salam, ein | |
| nicht mehr superjunger Mann mit unklarer Stellung im Leben, hat einen | |
| kleinen Job bei einer Soap-Opera ergattert, die in Ramallah produziert | |
| wird. Der Produzent ist ein Onkel von ihm und hat ihn freundlicherweise | |
| engagiert, als Hebräisch-Berater der Serie. Hebräisch kann Salam gut, weil | |
| er in Ost-Jerusalem wohnt. Auf dem Weg zur Arbeit muss er nun täglich durch | |
| den Checkpoint des israelischen Militärs. Der Sprachberater wird gebraucht, | |
| weil die weibliche Hauptrolle der Soap eine arabische Spionin ist, die sich | |
| zur Zeit des Sechs-Tage-Kriegs 1967 als Jüdin ausgibt und einen | |
| israelischen General bezirzen soll, um ihn zu töten. | |
| Mit der Drehbuchautorin liegt Salam vom ersten Tag an im Clinch, weil er | |
| eine ihrer hebräischen Formulierungen in Frage stellt. Noch schlimmer wird | |
| es, als er anderntags mit einem eigenen Skript für die nächste Folge kommt, | |
| das prompt verfilmt wird. Wutentbrannt verlässt die Autorin das Team, und | |
| Salam nimmt offiziell ihre Stelle ein. Dabei gibt es ein Problem: Die | |
| Drehbuchseiten, die verfilmt wurden, waren ihm von einem israelischen | |
| Offizier diktiert worden, Assi, der ihn am Checkpoint aufgehalten hatte. Im | |
| Folgenden muss Salam Assi regelmäßig mit feinstem arabischem Hummus | |
| bestechen, damit er dessen Ideen abgreifen kann. Das ist natürlich dick | |
| aufgetragen, und Yaniv Biton, der den Offizier spielt, gibt dessen robusten | |
| Charakter mit viel Freude an der Übertreibung. | |
| Politische Verwerfungen bleiben nicht aus. Der neue, als „zionistisch“ | |
| erkannte Kurs der Drehbücher stößt im palästinensischen Team auf Unmut. | |
| Derweil beginnt Salam sich als Autor zu emanzipieren. Anfänglich kombiniert | |
| er scheinbar ziellos Sätze, die er entweder von Assi hat oder irgendwo | |
| aufschnappt, doch immer mehr stellt sich heraus, dass genau dies – das | |
| Hinhören und Anverwandeln – wohl seine eigentliche Begabung ist. Und als | |
| wäre das noch nicht genug des Guten, lässt auch die Liebe nicht länger auf | |
| sich warten … | |
| ## „Antizionistische“ Soap über den Sechstagekrieg | |
| Ja, was für ein Märchen. Aber gleichzeitig ein fein und wie nebenbei | |
| erzählter Entwicklungsroman über einen, der es gewohnt ist, stets mit | |
| gebeugtem Rücken durch die Gegend zu schleichen, der dann aber doch – im | |
| geborgten Anzug vom Serien-Terroristen – ganz unerwartet bella figura | |
| macht. Die schlaksig-unterspannte Körperhaltung des Salam-Darstellers Kais | |
| Nashif wird in puncto Understatement nur übertroffen von seinem stets | |
| leicht in sich gekehrten Gesichtsausdruck. | |
| Auch den Kontrast zwischen der schrill-bunten Serienwelt und der | |
| ernüchternd farblosen Realität spielt der Film dezent, aber wirkungsvoll | |
| aus und zeigt eine frappierende Einigkeit zwischen israelischer und | |
| palästinensischer Gesellschaft: Beim Seriengucken – und sei es eine | |
| „antizionistische“ Soap über den Sechstagekrieg – werden alle gleich. | |
| Weil es aber auf Dauer nun wirklich nicht geht, dass ein israelischer | |
| Offizier so großen Einfluss auf das Drehbuch einer palästinensischen Soap | |
| nimmt, muss Salam sich für Assi etwas einfallen lassen und findet eine | |
| erstaunliche Lösung. Ob man das Ende als große Verbrüderungsoffensive oder | |
| als metaphorisches Reenactment des Sechstagekriegs sieht – egal, möglich | |
| ist alles. Dass es überhaupt geht, die politischen Aufgeregtheiten in | |
| Nahost so unaufgeregt aufs Korn zu nehmen und zugleich einen ultimativen | |
| Anti-Macho als Helden zu präsentieren, ist wirklich allerhand. Sameh Zoabi | |
| ist ein kleines filmisches Husarenstück geglückt. | |
| 4 Jul 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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