| # taz.de -- Ausstellung auf Museumsschiff: Reisen im Kunst-Beiboot | |
| > In den 1970ern sorgte die „Zeltschule“ an der HfbK für Spannung. Eine | |
| > Ausstellung auf dem „Narrenschyff“ „Cap San Diego“ erinnert an die wi… | |
| > Zeit. | |
| Bild: Das Narrenschiff gemalt von Thomas Bühler | |
| Hamburg taz | Das Museumsschiff „Cap San Diego“ an der Überseebrücke wird | |
| durch ein gelbes Banner gerade als „Narrenschyff“ bezeichnet. Was aber | |
| macht den 1962 gebauten Stückgutfracher zum Nachfolger einer | |
| Boots-Karikatur, in der Sebastian Brant 1494 unter diesem Titel die | |
| Gesellschaft kritisierte? | |
| Es ist eine Ausstellung zur „Zeltschule“ und weiteren Versuchen, in | |
| ernsthafter Narretei künstlerische Kreativität in die Bildung zu bringen. | |
| Die Zeltschule war einst ein Abenteuer, das in den Jahren 1970 bis 1975 an | |
| der Hochschule für bildende Künste in Hamburg für Spannung sorgte – und bis | |
| heute immer noch für Lehren und Lernen gegen den Strom steht. | |
| In den 1970er-Jahren gab es an den Kunsthochschulen Freiheiten, aber auch | |
| Privilegien, die heute kaum mehr vorstellbar sind, genauso wenig wie die | |
| Lockerheit, mit der die Professoren schlicht nicht zu angesagten Terminen | |
| kamen und semesterlang in Abwesenheit Klassenräume blockierten. | |
| So baute auf der Suche nach Arbeitsräumen eine Gruppe von Kunst- und | |
| Kunstpädagogik-Studenten unter der Leitung des Hochschul-Assistenten Achim | |
| Lipp auf einer Brache neben dem schönen Schumacher-Bau am Lerchenfeld für | |
| einen eigenen Arbeitsplatz eben Zelte auf. Für fünf Jahre wurde dort – und | |
| an anderen vagabundierenden Orten – wie in einem Beiboot auf eigene Gefahr | |
| selbstbestimmt gelehrt und gelernt. Sogar der seiner Düsseldorfer | |
| Hochschule verwiesene Joseph Beuys stattete der Zeltschule 1975 einen | |
| kurzen Besuch ab. | |
| Ausgehend von der Zeltschule kommen auch heutige Kunstinitiativen in den | |
| Blick: Museumspädagogische Konzepte oder das von Klaus Müller geleitete | |
| Projekt „Schule trifft Kultur – Kultur trifft Schule“ in Schleswig-Holste… | |
| beispielsweise. | |
| Eigentlich geht es in dem recht schwer zu bespielenden Lukenraum im | |
| Schiffsbauch der „Cap San Diego“ um Ermutigungssysteme, die die Fackel | |
| künstlerischer Selbstermächtigung weitergeben können. Und so ist es ein | |
| Glücksfall, das Lauritz Lipp, Professor an der University of Applied | |
| Sciences Europe, Fachbereich Art & Design, Campus Hamburg, seine jungen | |
| Studenten dazu motivieren konnte, mit dem über 45 Jahre alten | |
| Archivmaterial zu arbeiten und manche der von Beuys und Bazon Brock stark | |
| beeinflussten Ideen wiederzubeleben und auf ihre Frische zu testen. | |
| Dazu haben auch Künstler aus dem damaligen Umfeld neue Arbeiten | |
| beigesteuert. So wurde von Simon Wassermann und Heiner Andresen in die | |
| Tiefe des Schiffsbodens anscheinend ein Loch gesprengt. Es macht sichtbar, | |
| was da im Fluss des Wassers – oder der Zeit – so alles vorbeischwimmt: Müll | |
| und Utopien, Verlorengegangenes ebenso wie freundliche Nixen. | |
| Wiederzuentdecken sind Unterwanderungsstrategien und überaffirmierende | |
| Sichtbarmachungen, freche Interventionen mit Witz. „Bahnsteigkarten für | |
| Revolutionäre“ erstellten zu Lenins Verächtlichmachung des deutschen | |
| Obrigkeitssinnes ein reales Äquivalent, Briefmarken zur Künstlerhilfe oder | |
| eigenartige Souvenirs wie Ansichtskarten vom Lerchenfeld, auf denen die | |
| Kunsthochschule schlicht in die Unsichtbarkeit entschwunden ist oder | |
| Tischdecken mit bereits aufgedrucktem Flugblättersalat setzten grafische | |
| Techniken zur visuellen Kritik ein. | |
| Die Zeltschule begleite den 250. Geburtstag des in Altona begrabenen | |
| Dichters Klopstock mit schrägen Aktionen, griff den Medienhype um die | |
| Hochzeit der englischen Prinzessin Anne performativ auf oder plakatierte | |
| eines Morgens die ganze Eingangshalle der Kunsthochschule mit riesigen | |
| chinesischen Wandzeitungen. Doch keine Politpoesie war darauf zu lesen, es | |
| waren nur formalistisch kopierte Speisekarten Hamburger Asia-Restaurants, | |
| die den damals üblichen Kult um Maos Massenmobilisierung konterkarierten. | |
| Hier auf dem Schiff haben die jungen Kunstschüler ein nicht weniger | |
| rätselhaftes Remake geformt, ebenso wie bei der Aktion zum | |
| Identitätstausch: Früher mit der Kleidung lustvoll bewerkstelligt, ist das | |
| heute eher mit den alle Netzidentität enthaltenden Smartphones | |
| problematisierbar. Bei fast allen Aktionen der Zeltschule ging es um das | |
| Aufbrechen von (Seh-)Gewohnheiten und die Differenz von Darstellung und | |
| Dargestelltem. Gerade Letzteres ist bei heutig massenhafter Verbreitung von | |
| Fake News ungebrochen aktuell. | |
| Und die Zeltschule und ihre Methoden hatten weitergehende Auswirkungen. | |
| Denn Achim Lipp wurde ab 1978 Leiter der Kunstpädagogik an der Hamburger | |
| Kunsthalle, gefolgt von Thomas Sello. Folglich ist auch das | |
| volkspädagogische Konzept „Malschule“ Teil der Ausstellung. | |
| Sich auf die bis zum Gründungsdirektor Alfred Lichtwark zurückgehenden | |
| sozialutopischen Quellen der Museumspädagogik zu besinnen, ist umso | |
| wichtiger, da zurzeit genau diese samt experimentierfreudiger Malschule | |
| starkem Druck der Museumsleitung zu Sauberkeit und stromlinienhaftem | |
| Zeitgeist, zu Konformität und Digitalisierung ausgesetzt sind. Das ist ein | |
| bedauerlicher Prozess, der bereits manche schwere Verwerfungen produziert | |
| hat. | |
| 22 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| hajo schiff | |
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