# taz.de -- Dunkle Nächte im Nationalpark: Sternstunden in der Eifel | |
> Im Sternenpark Nordeifel lässt sich der Nachthimmel bestaunen. Inmitten | |
> des Nationalparks befindet sich auch die einstige Nazi-Ordensburg | |
> Vogelsang. | |
Bild: Sternenfans sind begeistert: die Milchstraße über der Eifel | |
Mit seinen Gästen erkundet Harald Bardenhagen die längste Straße der Welt. | |
Wie ein leuchtender Henkel spannt sich die Milchstraße hoch über die Erde; | |
mit einem Laserpointer zeichnet der sechzigjährige Astronom die Stationen | |
einer kosmischen Reise nach: hier das gestreckte „W“ der Kassiopeia, dort | |
der Stern Wega und das markante „Sommerdreieck“. Und natürlich der Große | |
Wagen, jenes himmlische Nutzfahrzeug, das seit undenklichen Zeiten als | |
Orientierungsgeber dient. | |
Himmelskunde war das erste Navigationssystem der Menschheit. | |
Steinzeitjäger, Seefahrer und Wüstennomaden vermochten sich auch über weite | |
Strecken danach zu richten. Etwas von dieser archaischen Verbundenheit mit | |
dem Kosmos wird wieder wach, wenn Bardenhagen zur „Astronomie-Werkstatt“ | |
lädt. | |
Mit uns hat sich ein Dutzend Gäste auf einer Waldwiese hoch droben bei | |
Vogelsang in der Nordeifel eingefunden. Seit 2004 firmiert das dünn | |
besiedelte Bergland als Nationalpark, und zehn Jahre später erhielt es auf | |
Bardenhagens Initiative hin auch noch das internationale Gütesiegel eines | |
„Sternenparks“, als eine von nur wenigen Regionen in Europa. | |
Es geht auf Mitternacht zu. Die Dunkelheit schärft die Sinne: für die | |
duftende Blumenwiese, das schrille Zirpen der Heupferde, die huschenden | |
Schemen der Fledermäuse. Am Abend hat unser Gastgeber zwei Teleskope sowie | |
ein riesiges Fernglas installiert, das allein schon einen halben Zentner | |
wiegt. Doch bereits mit bloßem Auge ist der Himmel eine Pracht: So | |
unfassbar viele Sterne! So hell! So nah! Wir bekommen ein verloren | |
gegangenes Gut zurück. „So reich bestückt habe ich den Himmel zuletzt nach | |
dem Krieg erlebt“, bekennt eine 85-jährige Dame aus Bonn, die bereits das | |
fünfte Mal teilnimmt. | |
Künstliches Licht zensiert die Sterne. Selbst in klaren Nächten glimmt über | |
den Städten nur ein mattes Häuflein am Himmel. Satellitenfotos zeigen denn | |
auch ein dichtes Lichtgespinst über den Beneluxländern, dem Rheinland und | |
dem Ruhrgebiet. Doch mittendrin klafft ein schwarzes Loch, das offenbar | |
kaum Licht ins Weltall abstrahlt – es ist das Herz der Eifel. | |
## Saturn, der Paradeplanet | |
Ohne dass jemand es berührt hätte, richtet das Spiegelteleskop sich wie ein | |
Geschütz auf das gewählte Ziel aus: den Saturn. Den Paradeplaneten. Jeder | |
will ihn sehen, jeder sein Ringsystem bestaunen. In der Draufsicht wirkt er | |
wie ein Sombrero, den jemand im Übermut an den Himmel geworfen hat. Die | |
anderen beiden Geräte nehmen fernere Objekte ins Visier: Kugelsternhaufen | |
und Rote Riesen. | |
Drei Stunden lang lauschen die Teilnehmer den Erläuterungen ihres | |
„Sternenrangers“, der zum Welterklärer wird. Am Ende gehen auch noch | |
Sternschnuppen nieder. Die Nacht lässt nichts zu wünschen übrig. | |
Vor fünfzehn Jahren wurde hier auf den Höhen der Eifel eine Tarnkappe | |
gelüftet. Bis dahin lag die Gegend verborgen inmitten eines riesigen | |
Sperrgebiets. Die belgischen Streitkräfte hatten es seit Kriegsende als | |
Truppenübungsplatz genutzt. Die Natur blieb sich selbst überlassen und | |
musste nur gelegentliche Panzermanöver über sich ergehen lassen. Nach Abzug | |
der alliierten Truppen wurde das Gelände dann zum Herzstück des | |
Nationalparks Eifel. | |
Unter der Tarnkappe aber kam ein schweres Erbe zum Vorschein. Hoch über dem | |
Urftsee war während des „Dritten Reichs“ eine Kaderschmiede für den | |
Nachwuchs von Partei und SS entstanden, ein martialisches Idyll mit | |
Wachturm, Sportanlagen, wuchtigen Wohnquartieren, Thingstätte und Bunkern. | |
Es trägt den bewusst unverfänglichen Namen „Vogelsang“ und ist den | |
Trutzburgen des Deutschen Ritterordens nachempfunden. | |
Was tun mit einem solchen Vermächtnis? Noch dazu, wenn es nach dem Kölner | |
Dom den größten Baukomplex der gesamten Region bildet? Eine Reihe von | |
Institutionen und Initiativen versuchen, den Ort quasi zu entgiften und | |
seinem beklemmenden Geist eine positive Botschaft entgegenzusetzen. | |
Vor zwei Jahren hat nun auch das Besucherzentrum des Nationalparks dort | |
oben eröffnet, und eine umfangreiche Ausstellung dokumentiert die | |
Bestimmung der einstigen NS-Ordensburg. Das Rote Kreuz hat ein Humanitarium | |
eingerichtet, ein Museum der Menschlichkeit. Astronomie ist per se | |
universell und passt ebenfalls gut in das Konzept, Vogelsang zu einer | |
internationalen Begegnungsstätte zu machen. Das herrlich nostalgische Kino | |
der belgischen Truppen beherbergt bereits eine Ausstellung über den | |
„Verlust der Nacht“. | |
Das ist Bardenhagens großes Thema. Gemeinsam mit den Kommunen versucht er | |
in geduldiger Kleinarbeit, die Lichtemissionen zu reduzieren, um die | |
Auszeichnung als „Sternenpark“ auch zu behalten. Die Ritterburg von | |
Heimbach etwa wird allnächtlich angestrahlt. Bardenhagen hat erreicht, dass | |
die Scheinwerfer gezielter ausgerichtet und mit Blenden versehen wurden und | |
dass die Beleuchtung um 23 Uhr erlischt. Wenn er so als Missionar der | |
Finsternis über die Dörfer zieht, wird er manchmal komisch beäugt. „Da | |
kommt ja unser Sternenkrieger“, heißt es. Doch immer mehr Gemeinden | |
machen mit. | |
## Eine Kulisse für einen James-Bond-Film | |
Am folgenden Nachmittag begleiten wir ihn zu einigen seiner Lieblingsplätze | |
in der Eifel. Charakteristisch ist der abrupte Wechsel zwischen | |
heideartigen Hochflächen und dicht bewaldeten Tälern. Im Herzen des | |
Nationalparks kommen dann noch fjordartige Stauseen hinzu. Die | |
Urfttalsperre wurde bereits vor über hundert Jahren errichtet und wirkt wie | |
geschaffen für einen James-Bond-Film. Das dazugehörige Kraftwerk Heimbach | |
war damals das größte und modernste in Europa. Bis heute beeindruckt der | |
weiße, orientalisch anmutende Prachtbau als ein Tempel der Technik. | |
Stählerne Schneckenhäuser bergen die Generatoren; die Schalttafeln prunken | |
mit Marmor und Mahagoni. „Die Eifel war eine Pioniergegend“, erklärt | |
Bardenhagen. „Früher als in mancher Großstadt hatte man hier elektrisches | |
Licht.“ | |
Die Fahrt geht über kurvige Waldstraßen, die stellenweise ein fast alpines | |
Gefälle aufweisen, und das am Rande der Norddeutschen Tiefebene. In | |
Mariawald, einem Trappistenkloster, dessen Mönche sich einem strengen | |
Schweigegelübde unterworfen haben, legen wir eine Pause ein, kosten den | |
berühmten Käse und genießen die demonstrative Ruhe, die über der Anlage | |
liegt. Dunkle Orte sind auch stille Orte – auf Tuchfühlung mit den Rhythmen | |
der Natur. | |
Bei einbrechender Dunkelheit nimmt Bardenhagen dann in den umliegenden | |
Dörfern Lichtmessungen vor. Bei nächster Gelegenheit wird er sich mit | |
Bürgermeistern oder Fabrikdirektoren unterhalten, ob sich die Beleuchtung | |
nicht schonender und nachhaltiger gestalten ließe. | |
Dann geht es erneut hinauf nach Vogelsang. Es wird Zeit, die Instrumente | |
aufzubauen. Eine Schulklasse hat sich angemeldet. „Sie erleben hier oben, | |
dass Dunkelheit nichts Schlimmes ist, sondern natürlich und interessant. | |
Der Großteil der Stadtkinder hat überhaupt noch nie die Milchstraße | |
gesehen.“ So gerät seine „Astronomie-Werkstatt“ zur kosmischen Heimatkun… | |
und zum Naturerlebnis dazu. Auch wenn manche ihn für einen Spinner halten | |
– wer einmal an einer solchen Himmelsschau teilgenommen hat, geht fortan | |
bewusster mit Licht um. Und kann die nächste sternklare Nacht kaum | |
erwarten. | |
19 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Schomann | |
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