# taz.de -- 50 Jahre Grips-Theater: „Eltern sind nicht das Problem“ | |
> Ein Gespräch mit Grips-Gründer Volker Ludwig und Regisseur Vassilis | |
> Koukalani über alte und neue Stücke, Ironie und das kreative Potenzial | |
> der Krise. | |
Bild: Grips-Gründer Volker Ludwig und Regisseur Vassilis Koukalani im Grips-Zu… | |
taz: Die gute Nachricht vorneweg: Wir reden heute nicht über Linie 1. | |
Volker Ludwig: Das ist gut (grinst). | |
Herr Koukalani, „Die Lücke im Bauzaun“ ist eine Neufassung von Volker | |
Ludwigs „Balle, Malle, Hupe und Artur“ von 1971. Es geht um Kinder, die zum | |
Spielen in ein leerstehendes Haus eindringen und sich mit Witz zweier | |
Wachleute erwehren, die sie erwischen. Was bedeutet Ihre erste Regiearbeit | |
am Grips Theater für Sie? | |
Vassilis Koukalani: Das ist eine große Ehre für mich. Am Grips zu | |
inszenieren war eine dieser Sachen, die du vielleicht nicht direkt | |
anstrebst, aber die die ganze Zeit in dir sitzen – und dann kommen sie | |
irgendwann. Ich liebe das Grips, seine Art hat mich als Person geprägt. In | |
Griechenland arbeite ich ja auch als Schauspieler, aber in die Inszenierung | |
von Grips-Stücken investiere ich die meiste künstlerische Leidenschaft. | |
Dass ich es jetzt hier in Berlin tun kann, ist mein persönlicher Höhepunkt. | |
Wie viele Stücke haben Sie in Griechenland inszeniert? | |
Koukalani: Über die vergangenen acht Jahre waren es sechs. 2011 im August | |
haben Volker und ich uns persönlich kennengelernt. | |
Ludwig: Richtig, damals hast du mein Stück „Ein Fest bei Papadakis“ auf das | |
heutige Griechenland umgeschrieben, es hieß dann „Ein Fest bei Nourian“. | |
Anstelle der griechischen Gastarbeiterfamilie im Deutschland von 1973 | |
standen bei dir iranische Flüchtlinge im Mittelpunkt. Das war ein | |
Riesenerfolg, es lief drei, vier Jahre ausverkauft in Athen und wurde in | |
Heraklion und Nikosia nachinszeniert. Vor fünf Jahren hatten wir es als | |
Gastspiel am Hansaplatz. | |
Sie selbst haben dann auch noch eine Neufassung dieses Klassikers | |
geliefert. | |
Ludwig: Vassilis' Adaption hat mich darauf gebracht. Weil es heute nicht | |
mehr unbedingt griechische Gastarbeiter sind, die in Deutschland mit | |
Vorurteilen zu kämpfen haben, habe ich aus denen eine türkische Familie | |
gemacht – und aus dem türkischen Mädchen Ayse, die auch noch von den | |
Griechen diskriminiert wird, ein Roma-Mädchen. | |
Herr Koukalani, Sie haben in Athen erst vor Kurzem ein weiteres Grips-Stück | |
inszeniert, das dort allerdings in den Siebzigern schon einmal gespielt | |
wurde, „O Mormolis“, im Original „Mugnog-Kinder!“ von 1973 … | |
Ludwig: … das anarchischste Stück des Grips Theaters. | |
Koukalani: Oder dadaistisch, wie ich immer sage. Es geht im Grunde darum, | |
vom Märchen in die Realität zu kommen, und was auf diesem Weg passiert, ist | |
ein bisschen abgefahren. | |
Ludwig: Es wird diesen Samstag als Gastspiel im Rahmen der Grips-Festwochen | |
aufgeführt. Ich war von der Inszenierung so begeistert, die hat einfach | |
Herbert-Fritsch-Qualitäten. | |
In „Mugnog-Kinder!“ von Volker Ludwig dichten die Kinder einer simplen | |
Holzkiste eine antiautoritäre Persönlichkeit an, was die gesamte | |
Erwachsenenwelt bis zur Polizei und zum Armeegeneral durcheinanderbringt. | |
Über die ursprüngliche griechische Version steht im Festwochen-Programm, es | |
sei eines der wichtigsten Theaterstücke für den Widerstand gegen die | |
Militärdiktatur gewesen. Was heißt das? | |
Koukalani: Ich selbst war erst drei und lebte damals auch gar nicht in | |
Griechenland. Aber ich weiß, dass eine Theatergruppe sich das Stück vornahm | |
und es irgendwie durch die Zensur brachte. Ich sage immer: Die Typen | |
haben's gelesen und nicht gerafft, was los war. Das Stück hatte Premiere | |
zehn Tage nach dem Aufstand der Studenten am Polytechnio, der blutig | |
niedergeschlagen wurde. Es hat dann richtig losgelegt. Es gab diesen | |
Effekt, den ich so liebe beim Grips: Man glaubte einfach nicht, was da | |
abgeht auf der Bühne, es gab Zwischenrufe und sehr leidenschaftliches, | |
spontanes Gelächter darüber, was man sich zu sagen erlaubte, während das | |
Militär mit Panzern auf der Straße stand. Es wurde tatsächlich ein | |
Kristallisationspunkt des Widerstands. Für uns ist „O Mormolis“ eigentlich | |
so wie „Linie Eins“, die Leute gehen in das Stück und singen alle Lieder | |
mit. Meine Neuinszenierung ist eine Hommage an diese erste Adaption. | |
Wie kam es, dass Sie anfingen, in Athen Grips zu inszenieren? | |
Koukalani: Das war am Anfang der Krise in Griechenland, nach einem sehr | |
schwierigen Winter, als kollektive Depression und Aggressivität herrschten. | |
Im Frühling schlug das in eine sehr starke Widerstandsbewegung um, mit der | |
Besetzung des Syntagma-Platzes. In allen Nachbarschaften gab es ständig | |
Versammlungen, dabei kamen auch viele Gespräche unter Künstlern zustande: | |
Was machen wir, wie ergreifen wir Position? Und für mich war das | |
Effektivste, was ich je gesehen und erlebt habe, um politisch und sozial | |
herauszufordern und präsent zu sein, Grips. | |
Ludwig: Das Tolle ist, dass Vassilis sich auf unsere frühen Stücke | |
konzentriert hat – da entsprach vieles den Verhältnissen im Athen dieser | |
späteren Zeit. Wenn wir über „Balle, Malle, Hupe und Artur“ sprechen: In | |
den alten Westberliner Arbeiterkiezen stand damals jedes zweite Haus leer, | |
die Kinder stromerten auf der Straße herum. Auf das Berlin von heute passt | |
das so nicht, aber im Athen von 2011 konnte man beinahe wörtlich das | |
Original spielen. | |
Koukalani: Wir hatten auch politische Ansätze, die in Berlin keine so große | |
Rolle mehr spielen – die Hausbesetzungen, auch von verlassenen staatlichen | |
Gebäuden, das war in Athen wieder präsent. Die Krise hat aber auch bewirkt, | |
dass die Menschen sich wieder auf der Straße getroffen und miteinander | |
geredet haben. Kinder, die vielleicht nicht mehr den Luxus hatten, | |
irgendwelchen Hobbys nachzugehen, fluteten die Straßen und behaupteten sich | |
als lautstärkste soziale Klasse. In der Umschrift auf das neue Berlin ging | |
es jetzt um die Frage: Wo sind die Abenteuer, die uns weiterbringen, die | |
uns schlagartig verändern, wo es zwischen Spiel und Lernen keine Grenzen | |
mehr gibt? Das fehlt in der urbanen Spieltradition eines Berlins, das | |
plötzlich extrem gentrifiziert wird. Denn sich treffen, herumtrödeln, | |
ziellos durch den Kiez streunen, auf der Suche nach Abenteuern oder | |
wirklichen Begegnungen mit Menschen, auch das gehört zum Spielen. | |
Einiges haben Sie verändert, hier etwas weggelassen, da eine Figur | |
hinzugefügt. Beispielsweise fehlt der Genderkonflikt, mit dem berühmten | |
Song „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind“. Finden Sie das nicht mehr so | |
aktuell? | |
Koukalani: Ich finde, es wäre ein Thema, das man für sich abhandeln müsste! | |
Die Gruppe, die wir zeigen, agiert jedenfalls auf Augenhöhe, die sind unter | |
sich schon so weit, dass es keine Rolle spielt, ob ein Mädchen oder ein | |
Junge redet oder wozu jeder fähig ist. Die machen sich alle gegenseitig | |
tapfer. Keiner ist ja tapfer geboren, man wird es, wenn man es wagt. Warum | |
wagt man es? Weil man Leute hat, die einen unterstützen, bei denen man sich | |
geborgen und akzeptiert fühlt. | |
Die Erwachsenfiguren behandeln Sie etwas gnädiger als Volker Ludwig vor 46 | |
Jahren. Die haben ganz reale Probleme, wegen der sie die Kinder immer | |
wegscheuchen, das Baby, das schlafen muss, oder das Café, für das sich die | |
türkische Wirtin verschuldet hat, die nun fürchtet, dass der Kinderlärm ihr | |
die Kundschaft vertreibt. | |
Koukalani: Ich glaube, das Grips hat sowieso die Tradition, Autorität nicht | |
eindimensional als etwas Böses hinzustellen, sondern auch die Hintergründe | |
zu beleuchten. Damit man versteht, warum jemand sich autoritär verhält. Die | |
Wachleute haben bei mir deswegen einen Song bekommen. Man versteht, dass | |
der eine sich so aufführt, weil er eigentlich ein richtiger Boss werden | |
wollte, was ihm aber nicht gelungen ist. Deswegen will er jetzt mal sein | |
Polizei-Ding abspulen. Das macht sein Benehmen nicht besser, aber man | |
erkennt plötzlich den Hintergrund. | |
Wie haben Sie das Stück erarbeitet? | |
Koukalani: Letzten April sind wir mit der Grips-Theaterpädagogik und der | |
Dramaturgie durch viele Schulen gegangen. Dabei haben wir auch große | |
Unterschiede festgestellt, wie Kinder im Wedding oder in Pankow spielen, | |
oder in Reinickendorf oder Köpenick. | |
Und welche Variante haben Sie auf die Bühne gebracht? | |
Koukalani: Ich glaube, eher tiefes Neukölln oder Wedding (lacht). Das Stück | |
könnte ganz konkret in einem Weddinger Häuserblock nordwestlich vom Leo | |
spielen. Gut, da ist es oft so, dass nur die Araber oder die Türken unter | |
sich sind, aber es gibt auch die Mischung. Die Gruppe hat bei uns eine | |
Vielfalt, die sie 1971 natürlich gar nicht hatte: Der Neueinwanderer, die | |
Türkin in dritter Generation, die mehr Berlinerin ist als alle anderen … so | |
haben wir das zusammengebaut. | |
Sind die Kinderwelten heute heterogener als damals? | |
Ludwig: Nein, das gab es immer. Bei Jugendstücken mussten wir uns | |
entscheiden, ob wir es für den Hauptschulabgänger ohne Abschluss machen | |
oder für die Gymnasiastin in Zehlendorf. Die haben sich gegenseitig | |
überhaupt nicht verstanden, so weit waren deren Welten auseinander. Durch | |
die vielen Gesamtschulen ist alles ein bisschen mehr aneinandergerückt, | |
auch der Slang gleicht sich an. Insofern ist es fast weniger heterogen als | |
damals. Ökonomisch gibt es natürlich weiterhin enorme Unterschiede. | |
Sie haben in den Siebzigern gesagt, Sie nähmen „Partei für die unterdrückte | |
Klasse der Kinder in einem kinderfeindlichen Land“. Ist unsere Gesellschaft | |
immer noch kinderfeindlich? | |
Ludwig: Nicht mehr in einem so direkten Sinne, da hat sich schon viel | |
verändert. Das kann sich ja heute kaum noch jemand vorstellen, wie schlecht | |
Kinder damals behandelt wurden. Wenn wir mal essen gingen, dann zum | |
Italiener, das war das einzige Restaurant, wo man mit Kindern wie mit | |
Menschen umging. Anderswo haben die nur gestört. Ein Stück wie „Mannomann“ | |
könnte man heute nicht mehr spielen, bei dem die alleinerziehende Mutter | |
einen Mann heiratet, der sich dann als autoritäres Arschloch entpuppt – was | |
viele im Publikum damals als völlig normal empfanden. Heute sind die Eltern | |
nicht mehr das große Problem der Kinder. | |
Koukalani: Es ist nicht mehr die Zeit der unterdrückten Kinder, aber eine | |
Zeit der assimilierten Kinder. Was ich sehe, ist, dass sie auch nach der | |
Schule einfach immer weiter leisten müssen, dass sie immer beschäftigt | |
sind, in Kästchen einsortiert. In Athen wurde das durch die Krise | |
gesprengt. Auf einmal konnten sich viele Leute zuhause kein Internet mehr | |
leisten, da hat man sich dann in den Internetcafés getroffen oder davor, | |
weil die so überlaufen waren, und irgendwann ging man einfach auf den | |
Platz. Die Kinder hatten gar keine Wahl mehr, als durch die Stadt zu | |
streunen oder nachmittags über den Schulzaun zu klettern, um Basketball zu | |
spielen. Sie gehörten aber auch einfach wieder mehr dazu. | |
Nicht nur in „Die Lücke im Bauzaun“ wird ein Loblied auf die kindliche | |
Fantasie gesungen, die ohne technologische Hilfsmittel auskommt: Man fischt | |
was aus dem Sperrmüll und stellt sich vor, es sei etwas ganz anderes, | |
Aufregendes. Wie realistisch ist denn die Vorstellung, dass heutige Kinder | |
so spielen? | |
Koukalani: Sie meinen, diese Vorstellung ist ein bisschen … alt? | |
Ich weiß gar nicht, wie realistisch es vor 30, 40 Jahren war, da war eben | |
das Fernsehen sehr dominant. | |
Ludwig: Die Kinder haben aber früher auch schon nachgespielt, was sie im | |
Fernsehen gesehen hatten, und sie holen sich heute weiter Anregungen aus | |
ihren Medien. Okay, vielleicht nicht ganz so fantasievoll wie die Kinder im | |
Grips Theater (lacht). Das Theater selbst funktioniert übrigens genauso wie | |
vor 50 Jahren, zu meiner großen Freude. Wenn die Schauspieler gut sind und | |
das Stück stimmt, ist es so still wie immer, da können die sonst noch so | |
viel vor der Glotze sitzen oder am Handy spielen. Weil das live ist. Die | |
finden es faszinierend, dass da lebendige Menschen auf der Bühne sind. | |
Koukalani: Die Spiel-Szene in „Die Lücke im Bauzaun“ handelt genau von | |
diesem Trödeln, das ich eben schon beschrieben habe, von diesem sehr | |
kreativen Nichtstun, das schon die nächste Begegnung mit sich bringt, den | |
nächsten Gegenstand. Es geht um die Ausdehnung der Zeit. | |
Herr Ludwig, hätten Sie sich vor 50 Jahren ausmalen können, dass das Grips | |
einmal DER Klassiker des deutschen Kindertheaters werden würde? | |
Ludwig: Überhaupt nicht, ich hatte ja mit Kindern nichts am Hut. Wir kamen | |
damals vom Kabarett und dachten: Jetzt machen wir mal Kabarett für Kinder, | |
so richtig realistisch, und dann kommen andere und übernehmen das. Und wir | |
machen wieder unser Programm mit schön viel Ironie, die bei Kindern ja | |
nicht funktioniert. Was ziemlich schlimm für mich war. | |
Ironie und Kinder, das geht nicht zusammen? | |
Ludwig: Nein. Kinder haben einen unheimlichen Sinn für Sprachwitz, für | |
Absurdes, aber Ironie, bei der das Gegenteil von dem gemeint ist, was | |
gesagt wird, ist einfach sehr schwierig. Ich habe es dann halt mit den | |
Stücken für Jugendliche und Erwachsene so ausgebaut, dass die Ironie | |
trotzdem zum Zuge kam. Raus konnten wir ohnehin nicht mehr, ohne uns | |
unglaubwürdig zu machen, das Ganze hatte ja eine enorme Bedeutung bekommen. | |
Ich hätte mich unmöglich gemacht vor den Lehrern, die für uns gekämpft | |
haben. Manche sind von ihrer Schule geflogen, weil sie unsere Stücke | |
nachgespielt haben. | |
Sie wurden lange angefeindet. | |
Ludwig: Wir wurden so unglaublich angegriffen, von der Berliner CDU und der | |
Springerpresse! Ich wurde als Zerstörer von Kinderseelen beschimpft und als | |
„Unterstützer der Baader-Meinhof-Bande“, das war ein unglaublich harter | |
Kampf. Heute sind wir alle so nett miteinander, als wäre nie was gewesen, | |
aber ich kenne sie alle. Drei Jahre lang haben sie verlangt, dass wir kein | |
Geld mehr kriegen und uns keine Schulklassen mehr besuchen dürfen. | |
Ein bisschen Genugtuung empfinden Sie da heute schon. | |
Ludwig: Ja natürlich! (lacht) Ich habe den Verdienstorden des Landes Berlin | |
zusammen mit Eberhard Diepgen gekriegt – in der Presse gab es bei ihm eine | |
Debatte, ob er den wirklich bekommen sollte, bei mir nicht. So ändern sich | |
die Zeiten. | |
Die emanzipatorische Grips-Idee scheint ja auch immer gültig zu bleiben, | |
während viele andere linke Projekte und Gewissheiten weggebrochen sind. | |
Ludwig: Wir beziehen uns auf die Probleme, die unser Publikum hat, und die | |
gehen nie aus. Sie ändern sich, aber der Grundzugriff bleibt: Wir machen | |
uns diese Probleme zu eigen und überlegen, wie man sie anpackt und darüber | |
hinwegkommt. Es sind in unseren Stücken immer diese kleinen, mutigen | |
Menschen, die durch Solidarität und mithilfe ihres Witzes Probleme lösen. | |
Wie antikapitalistisch ist Grips eigentlich? | |
Ludwig: Wir werden auch oft gefragt, ob wir links sind. Unsere Haltung ist | |
einfach die einer Sensibilität für Ungerechtigkeit. Wir sind immer wach, | |
und viele Stücke sind entstanden, weil in der Stadt etwas passierte, wo man | |
sich einmischen musste, bis hin zur Abschiebung von Flüchtlingen. Diese | |
Haltung kommt aus dem Aufklärertum der 68er-Bewegung, es ist eine | |
optimistische Grundhaltung, die sagt: Die Welt ist veränderbar. Grips ist | |
ein Überlebenstheater, aus dem die Kinder gestärkt herauskommen, ohne | |
belogen zu werden, auch bei „Lücke im Bauzaun“: Denn die massiven Bedenken, | |
ob man ein leerstehendes Objekt wirklich in ein Spielhaus umwandeln kann, | |
kommen ja alle zur Sprache. Trotzdem gehen die Kinder aus der Vorstellung | |
und sagen: Super, jetzt haben die dieses tolle Haus erobert. | |
Koukalani: Ich glaube, das Grips ist antikapitalistisch, weil es ein | |
Theater für Kinder ist, und Kinder sind einfach antikapitalistisch | |
veranlagt. Wenn sie etwas hinterfragen, mündet das ganz oft in die | |
Entblößung sozialer Widersprüche und Probleme. Im Grips Theater, in seinen | |
Geschichten, sind es die Kinder, die die kompliziertesten sozialen | |
Verflechtungen lösen und sprengen. | |
Was sind Ihre Pläne, Herr Koukalani, bleiben Sie dem Grips erhalten? | |
Koukalani: Das würde ich gerne. Meine Grips-Inszenierungen in Athen sind | |
das, was mir künstlerisch am wichtigsten ist, und wenn ich am Grips in | |
Berlin gebraucht werde, bin ich da. Ich komme hier auch immer wieder in | |
Situationen, in Diskussionen, wo ich denke: Hm, die könnten noch ein | |
bisschen was von Griechenland abkriegen (lacht). | |
Wie prekär ist Theatermachen in Griechenland? | |
Koukalani: Sehr. Es ist ein großes wirtschaftliches Risiko, und in den | |
Krisenjahren hat man alles zusammengestrichen, was es einmal an | |
Subventionen gab. In den letzten zwei Jahren ist das zurückgekommen, aber | |
nicht für Kinder- und Jugendtheater, das halten sie offenbar nicht für | |
nötig. Sprich, es gibt gar nichts. Es kommt also etwa viel darauf an, ob | |
man selbst gute Kontakte zu Schulen hat. In Griechenland jongliere ich noch | |
17 Bälle zusätzlich, ich mache da die ganze Produktion, wir haben auch kein | |
eigenes Haus. Hier zu inszenieren, war deshalb ein großes, großes | |
Vergnügen. Ich konnte unendlich viel arbeiten, das hat mir gar nichts | |
ausgemacht, weil ich mich ganz auf die Regie konzentrieren konnte. | |
Herr Ludwig, auch Sie haben immer wieder über mangelnde finanzielle | |
Ausstattung geklagt. | |
Ludwig: Ich habe in meinem Leben mehr Zeit damit verbracht, um Geld zu | |
kämpfen, als Stücke zu schreiben, das war fürchterlich. Schwierig wurde es, | |
als wir nach der Wende ein Auslastungsproblem bekamen: Auf einmal gab es | |
dreimal so viele Theater wie vorher, und die engagierte Lehrergeneration | |
von 68 war irgendwann auch weg. Da wurde es vorübergehend wirklich klamm, | |
wobei wir in Sachen Auslastung immer besser waren als etwa unser Freund | |
Claus Peymann, der behauptete, sein BE sei die bestbesuchte Bühne. | |
Finanziell eng ist es geblieben, wobei – kaum bin ich weg, gibt es einen | |
Kultursenator, der sagt: Kindertheater ist so wichtig, die müssen endlich | |
mehr Geld bekommen. Wenn man an die freien Gruppen denkt, ist unsere | |
Situation Gold, im Vergleich mit den Staatstheatern ist es immer noch eine | |
Schande. | |
8 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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immer recht haben: Das Grips Theater hat seine revolutionäre Kraft | |
behalten. |