# taz.de -- Film-Doku über Grabzeichen und Trauer: Letzte Dinge mal anders reg… | |
> Katinka Zeuners Dokumentation „Der Stein zum Leben“ begleitet einen | |
> Steinmetz bei seiner Arbeit – und ist eine Reflexion über das Trauern. | |
Bild: Nicht zuletzt ist es die Begeisterung für das Handwerk, von der der Film… | |
Wer schon einmal selbst mit der Auswahl oder Herstellung eines Grabmals | |
betraut war, weiß, welch schlechte Gefühle Kolonnen von poliertem Granit | |
oder Heerscharen puttengekrönter Marmorstelen ausstrahlen können. Ja, in | |
manchen Augenblicken trifft der gleichförmige Horror deutscher | |
Trauerdüsternis schlimmer als die Trauer um die verstorbenen Liebsten | |
selbst. | |
Doch es gibt auch Ausnahmen. Eine davon ist der Berliner Steinmetz Michael | |
Spengler, dessen Betrieb auf einem an einen Friedhof grenzenden begrünten | |
Hof an der Bernauer Straße residiert. Spengler ist ein Handwerker, der | |
fachgerecht (wenn auch wohl ohne Einsatz der heute auch in diesem Gewerbe | |
eingezogenen Computertechnologie) den praktischen und diskursiven Umgang | |
mit den unterschiedlichsten Gesteinen meistert. | |
Doch der Mann mit der Ballonmütze auf den blonden Locken betreibt mit | |
seiner Arbeit auch ein therapeutisches Programm, das in Intensität und | |
Wirkung weit über das seelsorgerische Einzelgespräch hinausgeht – auch wenn | |
es ähnlich beginnt. | |
## Das Büro im Zirkuswagen | |
In seinem Büro mit Grünblick in einem alten Zirkuswagen versucht Spengler | |
erst mal, in ausführlichen Unterhaltungen mit den Hinterbliebenen zur | |
„Essenz“ der Verstorbenen zu finden, um dann gemeinsam ein Konzept für ein | |
dazu passendes angemessenes „Grabzeichen“ oder „Denkwerk“ (wie er die | |
Steine selbst und auch seine Firma nennt) zu entwickeln. | |
Bedeutsamer aber ist, dass er die Trauernden auch an wichtigen Stationen | |
der folgenden Ausgestaltung beteiligt und sie konzeptuell, künstlerisch und | |
praktisch an dem entstehenden Stein mitarbeiten lässt. Selbst das | |
Aufstellen auf dem Grab erfolgt in gemeinsamer Anstrengung. Ganz konkrete | |
Trauerarbeit und -gestaltung also mit Spengler als Katalysator und | |
Mediator. | |
Drei solcher Prozesse begleitet der Film der Dokumentaristin Katinka | |
Zeuner, die nach dem Tod ihrer Mutter selbst „Kundin“ bei Spengler war. Im | |
Film sind die Betrauerten männlichen Geschlechts, bei den Trauernden stehen | |
Frauen im Zentrum. Da ist Hardburg Stolle, die eine Möglichkeit sucht, dem | |
Gedenken an den ungewöhnlichen Lebensweg ihres durch seine Flucht aus der | |
DDR geprägten Ehemanns eine bleibende Form zu geben. | |
## Kamera mit ruhiger Hand und sicherer Distanz | |
Da ist die Familie Neustadt, die ihren zweijährigen Sohn an eine Krankheit | |
verloren hat. Tochter und zwei Enkel eines umtriebigen Rechtsanwalts und | |
Hedonisten handeln untereinander eine dessen Vermächtnis angemessene | |
Grabgestaltung aus. Die von Katinka Zeuner selbst geführte Kamera begleitet | |
die seelischen und handfest materiellen Entwicklungen ausführlich mit | |
ruhiger Hand und sicherem Gespür für die richtige Distanz jeder | |
Einstellung. | |
Da kriecht die Kamera in die trichterförmige Öffnung, die nach der Idee von | |
Josefs Eltern in einer organisch aufgebrochenen und aufgerauten | |
Kalksteinstele den Akt des Atmens sichtbar machen soll (in diesem | |
Zusammenhang ist der englische Filmtitel „Breathing Life in Stone“ fast | |
schöner als der deutsche). Sie beobachtet aufmerksam das feine Mienenspiel | |
zwischen den Spengler gegenübersitzenden Ruth Jacob und ihren beiden | |
Söhnen. Und wenn Hardburg Stolle irgendwann neben Spengler am Boden hockt | |
und mit kräftigem Hammerschlag einen großen Stein spaltet, spürt man fast | |
körperlich die ihr in diesem Moment neu erwachenden Kräfte. | |
Die Trauernden haben nicht zufällig den Weg zu Michael Spengler gefunden. | |
Ihre Auswahl für den Film ist ein weiterer Filter. So gibt es bei allen | |
Unterschieden im Einzelnen starke Ähnlichkeiten in der ausgeprägten | |
Fähigkeit, Fragen ästhetischer Inszenierung wortreich zu erörtern. Ein | |
gewisser symbolischer Überschuss gehört dabei zur existenziellen Sache. | |
Doch verbale Esoterik („Was für ein Metall wäre er, wenn er ein Metall | |
wäre?“) erdet sich im Film immer wieder in der Praxis des Handwerks, wenn | |
Spengler einen schweren Stein per Seilzug in Arbeitshöhe hievt, der Bohrer | |
rattert und Steinsplitter fliegen. | |
## Dokumentarfilmen ist auch Handwerk | |
Dabei bricht sich unser faszinierter Blick auf diese Arbeit am Stein mit | |
dem der Trauernden in der Werkstatt selbst. Und die Arbeit des Filmemachens | |
spiegelt die der Beschleifung und Behauung. Auch das Machen von | |
Dokumentarfilmen ist ja ein Handwerk, das durch Bearbeitung und gezieltes | |
Wegnehmen etwas Vergänglichem dauerhafte Präsenz gibt. | |
Auch deswegen, so berichtet Katinka Zeuner, haben die im Film Vorkommenden | |
spontan ihre Mitwirkung zugesagt. Und ihr Film ist neben einer Reflexion | |
über das Trauern generell auch ein lebendig pulsierender Trauerraum für | |
diese ganz besonderen drei Verstorbenen geworden. Stark und schön, dass das | |
ganz ohne die bei solchen Themen übliche Musikbesäuselung gelingt. | |
31 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Silvia Hallensleben | |
## TAGS | |
Dokumentarfilm | |
Katinka Zeuner | |
Steinmetz | |
Grabmal | |
Trauerarbeit | |
Filmrezension | |
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