# taz.de -- Die Wahrheit: Gib’s auf, greif zu! | |
> Ist nicht der gemeine Wochenmarkt der letzte Ort der Ehrlichkeit? | |
> Zumindest wenn man Bärlauch kaufen möchte? Nun ja … | |
Ein ganz normaler Tag, drei Unannehmlichkeiten: Alle wollen nicht! Die | |
Antiquare, vier an der Zahl, wollen keine aussortierten Bücher kaufen. Die | |
Postbeamtin, die keine -beamtin, ja nicht mal mehr Post ist, will keinen | |
Karton verkaufen, um mich, ihren taufrischen Mitmenschen auf der anderen | |
Seite des Tresens, einen toten Vogel versenden zu lassen, der unter | |
Artenschutz steht. | |
„Das Porto würde 7,50 Euro kosten“, sagt sie; dann nichts mehr. „Aber oh… | |
Karton? Reden Sie doch mit mir!“ Keine Antwort. Bis heute suche ich einen | |
genügend großen Karton. Ein Freund hatte kürzlich dasselbe Erlebnis mit | |
Blech – man hielt ihn schlicht für verrückt. | |
Der Wäschereimann schließlich will das Hemd nicht reinigen, es vielmehr | |
lassen, also das Reinigen. „Nehmen Sie doch Gallseife“, empfiehlt er | |
freundlich. Was ich wohl von der Gallseifenhändlerin zu hören kriegen | |
werde? | |
Das soll keine Meine-Rechte-als-Kunde-Apologie werden. Allein: Etwas hakt | |
im Getriebe. Nichts mehr kann praktisch bearbeitet werden, was in der | |
geräuschlosen Welt der Algorithmen nicht vorgesehen ist. Das öffnet den | |
Raum für alte, neue, direkte Formen der Belaberung. | |
Der gemeine Wochenmarkt wird zum Gewissheitszentrum. Die schicken, grünen | |
Formen der Unmittelbarkeit lassen keine Fragen offen – gegessen wird, was | |
in den Wald gekotzt wurde. Zweifel stören. Und woher sie auch nehmen? Es | |
muss doch gut sein, was es da gibt. Und es ist ja auch gut. Das ist ja das | |
Problem. Gesund, knackig, gewaltig, rein, garstig frisch und um die Ecke: | |
Da kann man nichts machen. | |
„Wie viel Bärlauch nimmt man denn so? Für Bärlauch-Pesto? Für zwei | |
Personen?“ Frage ich also an einem anderen, normalen Tag die | |
Gemüseverkäuferin. Was eigentlich eine Quatschfrage ist, weil, na ja, ein | |
Büschel halt, was denn sonst. Aber auf dem Wochenmarkt kann man so was ja | |
ausnahmsweise mal fragen, denke ich gutgläubig. Auf dem Wochenmarkt sind | |
sie noch ehrlich: ein letzter Hort des authentischen Gesprächs zwischen | |
echten Menschen inmitten von Wurzeln und Kräutern. Die Erde knirscht beim | |
Reden. | |
„Hmm, also ich würde schon eher zwei empfehlen. Das kann man ja auch prima | |
aufbewahren“, antwortet sie. Und wenn man also unbedingt zwei Büschel zu je | |
drei Euro braucht, mithin ein einziges alleine nicht reicht: Warum soll man | |
das dann aufbewahren müssen? Ein Widerspruch in zwei geraden Sätzen – nicht | |
schlecht. „Okay, nehme ich.“ | |
Da ich noch nie zuvor Bärlauch-Pesto gegessen hatte, wusste ich nicht, dass | |
es schmeckt wie eine Mischung aus Wasabi und Erbsensuppe und den einzigen | |
Zweck hat, die Atemwege zu verengen. Tag für Tag hatte ich seither | |
Gelegenheit, das am eigenen Leibe zu erfahren, und habe mich nicht schlecht | |
geschlagen. Vor drei Wochen gekauft, ist inzwischen fast alles | |
aufgebraucht. Danke, hinterhältige Wochenmarktfrau! | |
14 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
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