# taz.de -- Neuseeland nach rassistischen Anschlägen: Nazidenke, verpixelt | |
> Wenn der mutmaßliche Attentäter von Christchurch vor Gericht erscheint, | |
> wollen Medien auf das Zitieren rechtsextremer Aussagen verzichten. | |
Bild: Erinnerung an die Opfer von Christchurch | |
Nachrichten sollen zeigen, was ist – aber sie können auch vergrößern, | |
verzerren. Zum Problem wird das besonders bei der Berichterstattung über | |
politisch motivierte Gewalttaten. Neuseeländische Medien haben jetzt eine | |
Vereinbarung unterzeichnet, wie sie den Prozess gegen den mutmaßlichen | |
Attentäter von Christchurch abbilden wollen. Der Australier soll Mitte März | |
in zwei Moscheen 50 Menschen getötet haben. | |
Die Medienhäuser wollen verhindern, dass der mutmaßliche Attentäter den | |
Prozess als Bühne für neonazistische Ideen nutzt. Dazu heißt es [1][in der | |
Erklärung]: „Soweit es mit dem Prinzip öffentlicher Rechtsprechung | |
vereinbar ist, beschränken wir das Zitieren von Aussagen, die aktiv | |
Ideologien von weißer Überlegenheit oder Terrorismus bewerben.“ | |
Ebenso wenig soll aus einem verschwörungstheoretischen Manifest des | |
Angeklagten zitiert werden. Rechtsextreme Symbole wie Handzeichen sollen | |
nicht gezeigt oder zumindest verpixelt werden. Der explizite Verweis auf | |
„Handzeichen“ bezieht sich auf die White-Power-Geste (ein Kreis aus Daumen | |
und Zeigefinger, die übrigen drei Finger gespreizt), die der Attentäter bei | |
seinem ersten Erscheinen vor Gericht gezeigt hat. | |
Unterzeichnet haben die Erklärung die fünf größten Nachrichtenmedien des | |
Landes, darunter der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie die | |
reichweitenstärksten Tageszeitungen. | |
## Gegenseitige Bezugnahme | |
Die Erfahrung mit ideologischen Anschlägen und Amokläufen, besonders bei | |
Einzeltätern, lehrt, dass die Täter eine Überhöhung ihrer selbst anstreben. | |
Sie setzen sich in Beziehung zu anderen Tätern, zu Vorbildern und | |
Bewegungen, mit denen sie meist gar nicht in Kontakt stehen. Der Attentäter | |
etwa, der im Juni 2016 in einem queeren Club in Orlando, Florida, 49 | |
Menschen ermordete, hatte sich als Entsandter der Terrormiliz „Islamischer | |
Staat“ inszeniert – obwohl er nachweislich kaum etwas über die Politik in | |
der Arabischen Welt wusste. | |
Der Amokläufer von München, der kurze Zeit später im dortigen | |
Olympia-Einkaufzentrum neun Menschen – größtenteils Teenager – erschoss, | |
wählte dafür den Jahrestag des Massakers auf der norwegischen Insel Utøya | |
von 2011. In die Kamera eines Anwohners schrie der Münchner zudem | |
Versatzstücke neonazistischer Ideologie. [2][Am Ende stellte sich heraus], | |
dass der Jugendliche als Einzeltäter agiert hatte und nicht als Teil einer | |
Bewegung. | |
Der Hang vieler Nachrichtenmedien zur personenbezogenen Berichterstattung | |
überhöht die Täter und produziert Nachahmer – das ist hinreichend bekannt. | |
Der deutsche Presserat hat daher schon nach dem Amoklauf 2009 in der | |
Albertville-Realschule in Winnenden Empfehlungen abgegeben und vor einer | |
„täterzentrierten Amokberichterstattung“ gewarnt. Im Prozess gegen den | |
Utøya-Mörder im Jahr 2012 schaffte es dessen politische Selbstinszenierung | |
allerdings quasi ungefiltert auf die internationalen Titelseiten und | |
Bildschirme. | |
Um so wichtiger, dass Medien sich hier Grenzen setzen – und dass sie dabei | |
einheitlich und transparent vorgehen. Personenkult muss vermieden, die | |
Täter möglichst nüchtern und sachlich eingeordnet werden. Und Medien dürfen | |
sich nicht für die Promo neonazistischer Inhalte einspannen lassen. | |
## Schwierige Selbstverpflichtung | |
Allerdings wird es genau da schwieriger als man denken mag. Rassistische | |
Statements und Symbole aussieben kann man nur, solange diese nicht für den | |
Verlauf des Prozesses relevant sind. Das Prinzip der „Öffentlichen | |
Rechtsprechung“, das die neuseeländischen Medien in ihrer Absichtserklärung | |
einschränkend erwähnen, ist in der englischsprachigen Juristerei ein hohes | |
Gut. Es sieht vor, dass die Öffentlichkeit alle Indizien nachvollziehen | |
kann, die den Prozess und das Urteil formen. Dazu gehört die Gedankenwelt | |
des Täters. Die neuseeländischen Medien werden es also schwer haben, ihre | |
Selbstverpflichtung umzusetzen. | |
Und letztlich fragt sich auch, ob hier nicht wiederum der Auftrag zu | |
„zeigen was ist“ vernachlässigt wird. Denn um die Realität, dass da jemand | |
inspiriert von neurechter Denke 50 Menschen ermordet hat, kommt man als | |
Berichterstatter nicht herum. Eine White-Power-Geste prominent auf der | |
Titelseite zu zeigen, verbietet sich gewiss. Aber wem ist gedient, wenn man | |
sie wegpixelt? | |
1 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.stuff.co.nz/national/christchurch-shooting/112352367/christchur… | |
[2] /Amoklaeufer-als-popkulturelle-Figuren/!5321658 | |
## AUTOREN | |
Peter Weissenburger | |
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