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# taz.de -- Die Wahrheit: Einer geht noch
> Auf einem streng geheimen Verkehrsübungsplatz werden trinkfeste Probanden
> erstmals einer alkoholgestützten Fahrprüfung unterzogen.
Bild: Schwankender Fahrstil ist Grundbedingung für den Promillelappen
In irgendeinem beliebigen Mittelgebirge, hinter dichten Wäldern versteckt,
liegt ein geheimes Übungsgelände der Bundespolizei. Auf einem ganz
normalen Verkehrsparcours, wie ihn jeder Führerscheinanwärter kennt, wird
dort in einem Pilotprojekt eine radikale Wende der deutschen
Verkehrspolitik eingeleitet.
Am Rande des Geländes stehen Baracken, aus denen Gelächter und
Gläserklirren dringen. In regelmäßigen Abständen fallen Betrunkene aus
Türen oder Fenstern. Sie torkeln zu den bereitstehenden Autos und setzen
sich ans Steuer.
Nüchterne Instruktoren nehmen auf den Beifahrersitzen dieser speziellen
Fahrschulwagen Platz. Traumwandlerisch sicher beginnen die Pkw, Lkw und
Motorräder dann um die Hindernisse zu schlingern, nur ganz gelegentlich
scheppert es. Auf den Grünflächen schlafen die Fahrschüler anschließend
ihren Rausch aus. Was jedoch anmutet wie ein Schützenfest im Endstadium,
ist das Projekt „Promilleführerschein 2.0“, ein neuer Ansatz im Kampf für
mehr Sicherheit und Gerechtigkeit im Straßenverkehr.
Es begann mit einer wissenschaftlichen Studie der Universität des
Saarlandes. In großangelegten Versuchen wurde das Verhalten von Menschen
unter Alkoholeinfluss an Fahrsimulatoren getestet. „Das Ergebnis war
überraschend und widersprach der herrschenden Lehrmeinung“, erklärt
Verkehrsanthropologe Dr. Phineas Semmelrogge, der Leiter der Studie. Ein
Teil der betrunkenen Probanden erzielte sogar bessere Testergebnisse als
nüchterne Kandidaten.
Nach Veröffentlichung der Ergebnisse meldete sich prompt das CSU-geführte
Bundesverkehrsministerium bei Professor Semmelrogge und schlug eine
Zusammenarbeit vor. Vor allem auf Betreiben der Bayern wurde das Projekt
Promilleführerschein 2.0 aus der Taufe gehoben, bald soll gar der gesamte
Freistaat zur Versuchsfläche erklärt werden.
„Wir müssen lernen, zu akzeptieren“, sagt der zuständige Polizeisprecher
Hans-Dieter Schnäuzer, „dass es Leute gibt, die betrunken genauso sicher
fahren wie andere nüchtern. Da wäre es doch ungerecht, diesen Menschen den
Führerschein abzunehmen. Objektiv betrachtet, stellen sie keine Gefahr im
Straßenverkehr dar.“
## Mangelndes Talent am Steuer
Genau hier greift das Projekt Promilleführerschein 2.0: Wer seine
Führerscheinprüfung mit zwei Promille im Blut bestanden hat, bekommt den
blauen Lappen ausgehändigt und darf ab sofort straffrei unter
Alkoholeinfluss fahren.
„Für uns als Polizei ist das natürlich eine willkommene Entlastung“, meint
Hans-Dieter Schnäuzer. „Wenn wir unsere Zeit nicht mehr damit verschwenden
müssen, harmlose Gewohnheitstrinker zu behelligen, können wir die wahren
Gefährder aus dem Verkehr ziehen, Radfahrer zum Beispiel.“
Bisher wurden im Rahmen des Pilotprojektes 52 Promilleführerscheine im
Saarland und in Bayern ausgehändigt, und noch kam es zu keinem
nennenswerten Unfall. Für Professor Semmelrogge ein weiterer Beweis, dass
der verteufelte Alkohol oft als Ausrede für menschliches Versagen oder
mangelndes Talent am Steuer herhalten muss.
## Unfall unter Bohnen-mit-Speck-Enfluss?
„Dass jemand einen Unfall unter Alkoholeinfluss verursacht, muss noch lange
nicht bedeuten, dass Alkohol auch wirklich der ausschlaggebende Faktor
war!“, meint der Verkehrsanthropologe. „Lassen Sie es mich so erklären:
Wenn Sie zum Frühstück Bohnen mit Speck essen und auf der Fahrt zur Arbeit
einen Unfall bauen, wird kein geistig gesunder Mensch annehmen, dass es am
Frühstück lag. Man wird von einem Fahrfehler sprechen und ganz sicher nicht
von einem Unfall unter Bohnen-mit-Speck-Einfluss.“
Wir nicken benebelt. So viel Logik steigt schnell in den Kopf.
„Oder denken Sie mal an amerikanische Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg“,
spricht Semmelrogge weiter. „Die waren alle auf Amphetaminen und haben den
Krieg trotzdem gewonnen. Irgendwas müssen sie also richtig gemacht haben.
Auch Radprofis verrichten ihren Job unter schwerstem Drogeneinfluss. Und
auch das klappt!“
Natürlich gibt es Einschränkungen: Ein Probejahr müssen Neulinge unfallfrei
mit nur einem Promille überstehen, bevor sie den regulären Sufflappen
erhalten. „Da trennt sich dann die Spreu vom Weizen“, lächelt Hans-Dieter
Schnäuzer.
## Blasser Mann am Röhrchen
Er führt uns zu einem Schulungsauto und wir nehmen auf dem Rücksitz Platz.
Der Führerscheinaspirant ist ein schwankender junger Mann, der sehr blass
ist. Er bläst ins Röhrchen, das ihm sein Fahrlehrer hinhält.„Eins Komma
sieben Promille! Fuck yeah“, lallt er. „Einer geht noch“, sagt der
Fahrlehrer aufmunternd und hält ihm einen Flachmann hin, den der junge Mann
auf ex leert. Dann geht es los. Mit einer Hand steuert der Prüfling über
den Parcours, weicht routiniert entgegenkommenden Betrunkenen aus, hält
sich nur gelegentlich ein Auge zu. Eine Wildschweinattrappe taucht auf der
Fahrbahn auf: Vollbremsung, Motor abgewürgt, weiter geht’s. Aus der
Stereoanlage dröhnt Motörhead.
„Das sieht ganz gut aus“, meint der Fahrlehrer, „die Reflexe sind eins a,
wenn Sie jetzt noch eine Runde über die Pflastersteinpiste schaffen, ohne
sich zu übergeben, dann haben Sie Ihren Schein.“
„Alkohol am Steuer ist besser als sein Ruf. Da muss die Öffentlichkeit in
Zukunft besser informiert und behutsam sensibilisiert werden“, meint
Schnäuzer, als wir aussteigen und dem jungen Mann gratulieren.
## Dichte Rauchschwaden
Der 43-jährige Franz Wammendinger aus Kaufbeuren ist der Star auf dem
Übungsgelände: Bei 2,7 Promille hat er die Reflexe eines nüchternen
Zwanzigjährigen. Mit fast geschlossenen Augen manövriert er den Wagen über
den Parcours, umkurvt gekonnt einen Fußgänger nach dem anderen, überholt
Radfahrer, macht punktgenaue Stopps mit der Handbremse und schafft es dabei
gleichzeitig mit den Zähnen eine Bierflasche zu öffnen und sich eine
Zigarette zu drehen. Er hat gute Chancen, der erste Fahrer zu sein, der
sogar den begehrten „Dreimille“ erhält, einen Ehrenführerschein mit
persönlicher Widmung des Verkehrsministers.
Zum Ende unseres Besuchs weiht uns Hans-Dieter Schnäuzer in ein weiteres
Verkehrsprojekt ein. Am Rande des Geländes fahren bunt bemalte Autos im
Zeitlupentempo einen kleinen Rundkurs – immer um eine Verkehrsinsel mit
einem psychedelischen Mandala herum. Der Anblick hat etwas Meditatives. Aus
den heruntergekurbelten Fenstern der Wagen wabern dichte Rauchschwaden.
„Das ist das Projekt ‚StoneFree 2020‘“, erklärt der Polizist verlegen.…
ist aber nur eine informelle Testreihe.“ Vorerst bleibt dieses Experiment
drogenpositiven Fahrens unter Verschluss – bis sich in Sachen
Cannabislegalisierung endlich etwas tut.
29 Apr 2019
## AUTOREN
Francis Kirps
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