# taz.de -- Betroffene über Schizophrenie: „Es ist ein höllischer Zustand“ | |
> Eines Tages hörte Puja Angelika Büche eine unheimliche Stimme ganz nah an | |
> ihrem Ohr. Aber da war niemand. Ein Gespräch über Gedanken, die einem | |
> nicht gehören. | |
Bild: Hat ein Buch über Ihre Schizophrenie geschrieben: Puja Angelika Büche | |
taz: Wie geht es Ihnen? Sind Ihre Stimmen in diesem Moment hier? | |
Puja Angelika Büche: Wir sind zu zweit, es geht mir prima. | |
Sie waren Cellistin im Masterstudium, sind mit Leonard Bernstein auf Tour | |
gefahren, hatten viele Freunde – bis eines Tages eine Stimme in Ihrem Kopf | |
Ihnen befohlen hat, von einer Brücke zu springen. Danach waren Sie in der | |
Psychiatrie, Ihr Leben war ein Scherbenhaufen. Haben Sie geahnt, dass Sie | |
krank sind? | |
Ja, einige Monate vorher hörte ich einmal eine junge Frau um Hilfe rufen. | |
Als die Polizei sie nicht fand, ging ich zum Arzt. Er gab mir | |
Schlaftabletten. Auch ein zweiter Arzt und eine Therapeutin erkannten die | |
Schizophrenie nicht. Ich habe selbst nicht verstanden, dass das eine | |
psychische Erkrankung ist. | |
Sie mussten akzeptieren, dass nicht mehr alle Ihre Gedanken Ihnen gehören. | |
Was hat das mit Ihrem Selbstvertrauen gemacht? | |
Es ist ein höllischer Zustand. Ich habe gedacht, meine Gedanken sind für | |
alle hörbar, und habe mich für einige davon sehr geschämt. Je mehr ich | |
versuchte, sie zu kontrollieren, desto mehr gehässige Gedanken kamen. Heute | |
habe ich gelernt, die zu benutzen, die ich brauche, und die anderen | |
vorbeiziehen zu lassen, ohne zu kommentieren und bewerten. Die Gedanken | |
dürfen Quatsch erzählen, aber ich lade sie nicht zum Tee ein. | |
In dem Film „A Beautiful Mind“ geht es um einen Schizophrenen, der es am | |
Ende schafft, dass seine Stimmen ruhig auf der Treppe sitzen. Lassen sich | |
die Stimmen zähmen? | |
Es gibt Leute, die können die Stimmen gern haben und integrieren. Bei mir | |
ging das nicht, meine waren ausnahmslos quälend. | |
Berühmte Schizophrene wie Jeanne d’ Arc hatten es besser. | |
Dafür müsste man in einer Kultur leben, wo Stimmen im Kopf nicht als krank | |
oder bizarr angesehen werden. Wenn das nicht gesellschaftlich so geächtet | |
wäre, könnte die Krankheit vielleicht anders verlaufen. In meiner Kultur | |
ist es krank, Stimmen im Kopf zu hören. Es ist Wahnsinn, und Wahnsinn ist | |
erschreckend. | |
Stimmen von Heiligen zu hören, war ja eine Zeit lang in der christlichen | |
Tradition gar nicht so ungewöhnlich. | |
Ich glaube, dass nicht jeder, der Stimmen hört, verrückt ist. Es gibt | |
Menschen, die Antennen haben und Dinge außerhalb des Normalen wahrnehmen | |
können. Die Antennen sind ähnlich, aber ein Schizophrener wird sich immer | |
bedroht fühlen. | |
Jeanne d’ Arc hörte die Stimmen von Heiligen. Erkennen Sie jemanden in den | |
Stimmen wieder? | |
Erkannt habe ich sie nicht, aber ich habe immer versucht, die Stimmen | |
jemandem zuzuordnen. Im Mittelalter war es ja noch normal, Gott zu hören. | |
Es muss echtes Multitasking sein, sich mit jemandem zu unterhalten, während | |
man gleichzeitig im Kopf Stimmen hört. | |
Ja. Ich bin hypersensibel und kann mich nicht unterhalten, wenn in einem | |
Raum der Fernseher läuft. Zusätzlich muss ich die Stimmen managen, die sich | |
einmischen. | |
Sie nehmen Medikamente. Was machen sie mit Ihnen? | |
Im Krankenhaus habe ich eine hohe Dosierung Antipsychotika und Angstlöser | |
bekommen. Da habe ich die Welt durch eine Watteschicht wahrgenommen. Sie | |
beruhigen, aber ich hatte kein Gefühl der Besserung, die Krankheit war noch | |
da. Die Medikamente haben mich also gerettet, aber nicht geheilt. Ich war | |
müde, antriebsarm und schnell übergewichtig. Heute habe ich nur noch eine | |
Mini-Dosis. | |
Welche Rolle spielte Ihre Psychotherapeutin für Sie? | |
Ich war ein totales Wrack, unglücklich und verzweifelt. In den 14 Jahren | |
hat sie es geschafft, dass ich jetzt glücklich und stabil bin. Dafür bin | |
ich ihr unglaublich dankbar. | |
Ihr Zustand änderte sich dann sehr schnell? | |
Es war wie ein Aufwachen, das ging von einem Tag auf den anderen. Der Wahn | |
hat Risse bekommen, und plötzlich war die Sicht frei. | |
Über Ihre Erfahrungen mit der Krankheit haben Sie ein Buch geschrieben. Ist | |
Ihnen Ihr Outing schwer gefallen? | |
Privat habe ich mich schon früher geoutet. Das Buch konnte ich dann | |
schreiben, weil ich nicht mehr im sozialen Bereich arbeite. Als | |
Ergotherapeutin, systemische Beraterin und Sozialarbeiterin darf man nicht | |
schizophren sein. | |
Weil es nicht geht, oder weil die Arbeitgeber einen nicht lassen? | |
Ich habe meine Arbeit sehr gut gemacht, so waren auch meine Bewertungen. | |
Aber einmal hat mich eine Freundin unfreiwillig geoutet, und ich galt | |
sofort als inkompetent und bekam alle Fälle entzogen. Vier Wochen später | |
hatte ich den nächsten Job und war wieder eine der Besten. Wenn die | |
Arbeitgeber wissen, dass man schizophren ist, trauen sie einem nicht zu, | |
dass man gute Entscheidungen fällen kann. | |
Es gibt also systematische Diskriminierung? | |
Ja. Es gibt schizophrene Anwälte, schizophrene Ärzte, es gibt sie in allen | |
Berufen. Aber wir sagen nichts, denn damit kann man keine Karriere machen. | |
Erleben Sie auch in anderen Kontexten Diskriminierung, dass Leute Ihnen zum | |
Beispiel ausweichen oder Sie nicht ernst nehmen? | |
Ja, aber das ist auch so, weil ich vielen stigmatisierten Gruppen angehöre: | |
Ich bin dunkelhäutig, lesbisch, psychisch krank, übergewichtig, weiblich … | |
mit Diskriminierung kenne ich mich aus. | |
Warum haben Sie Ihre Karriere als Sozialarbeiterin beendet? | |
Ich war ausgebrannt. Jetzt arbeite ich selbständig als Cello-Lehrerin und | |
kann den Schülern absagen, wenn es mir schlecht geht. Sie schicken mir dann | |
eine SMS mit Herzchen. Manchmal komme ich nicht aus dem Bett, aber das Buch | |
konnte ich ja auch im Bett schreiben. | |
Sie sitzen auch für die Grünen in zwei Ausschüssen, machen Sport, haben | |
einen Hund. Woher nehmen Sie so viel Energie? | |
Es klingt nach mehr, als es ist. Ich schreibe in kurzen Abschnitten, gehe | |
nur zu ausgewählten Terminen der Grünen, ich versuche, mich auf das | |
Wichtigste zu begrenzen. Ich mache mir bewusst, was mir wirklich wichtig | |
ist, und setze Prioritäten. So kann ich das, was ich mache, gut machen. | |
Welchen Rat haben Sie für andere Erkrankte, ihre Freunde oder Familien? | |
Man sollte sich von negativen Prognosen nicht einschüchtern lassen. Mir | |
haben Ärzte gesagt: Sie werden behindert sein, heiraten Sie gut, damit Sie | |
versorgt sind. Zum Glück habe ich das nicht ernst genommen. Alle anderen | |
Tipps gibt es im Buch. | |
Gibt es Möglichkeiten, sich gegen den Ausbruch von Schizophrenie zu | |
schützen? | |
Ich weiß nicht, ob sich das verhindern lässt. Aber es hilft einem | |
Erkrankten sehr, sein Leben als sinnhaft wahrzunehmen. Nicht immer ist es | |
bilderbuchschön: Manchmal komme ich Tage lang nicht aus dem Bett. Trotzdem | |
habe ich das Gefühl von Wachstum und Glück. | |
Sie waren in Indien und haben dort Ihren ersten Namen „Puja“ angenommen. | |
Sind Sie spirituell? | |
Ich habe eine buddhistische Lehrerin. Sie hat mir gesagt: „Du kannst nicht | |
kaputt gehen, denn innen ist jeder Mensch rein und unversehrt.“ Langsam | |
bekomme ich eine Ahnung, was das bedeutet. Ich habe kranke und gesunde | |
Anteile, und die gesunden Anteile haben die Führung. | |
Wie sehen Sie heute die Welt? | |
Es ist noch viel zu tun. Ich möchte auf der richtigen Seite der Geschichte | |
stehen und meine begrenzten Kräfte dafür einzusetzen, dass die Welt ein | |
besserer Platz wird. | |
15 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Friederike Grabitz | |
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