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# taz.de -- Debatte Bruneis Strafen für Homosexuelle: Tradition ist kein Mensc…
> Bruneis Sultanat bittet um Verständnis für Todesstrafen. Doch Religion
> verdient Kritik – um jene Menschen zu schützen, die sich von ihr
> distanzieren.
Bild: Hassanal Bolkiahs Sultanat verteidigte die Einführung der Todesstrafe ge…
Dass das Sultanat von Brunei kürzlich [1][die Todesstrafe für Homosexuelle
einführte], musste nicht wirklich schockieren: Viele Staaten kennen die ein
Menschenleben auslöschende Sanktion wegen gleichgeschlechtlich gelebten
Begehrens. Die meisten sind aktuell muslimischer Prägung, [2][Iran und
Saudi-Arabien kennen diese Strafbestimmung auch] – schwule Männer, die von
Hochhäusern in den Tod gestürzt oder am Kran aufgehängt werden, solche
horriblen Nachrichten erreichen uns aktuell regelmäßig.
Wirklich neu an der Nachricht ist, dass eine steinreiche Autokratendynastie
sich erklärt. In einem Brief an die Europäische Union hat das Sultanat,
kein Scherz, um Verständnis und Toleranz gebeten. Gesteinigt werde nur, wer
in einem aufwendigen Justizverfahren mit ehrenwerten Zeugen von „hohem
moralischen Rang und Frömmigkeit“ als Homosexueller erkannt werde. Denn es
gelte, die sogenannten traditionellen Werte des Landes zu wahren – die
heterosexuelle Familie.
Wie lächerlich, wie fröstelnd widerlich die Toleranz heischende Bitte um
Verständnis. Gleichwohl: Das Schreiben darf schon als Reaktion auf den
internationalen Protest wider das Regime verstanden werden. Als die
Gesetzesänderung bekannt wurde, war es der Schauspieler George Clooney, der
auf die ökonomischen Verstrickungen des Sultanats mit internationalen
Luxushotels hinwies – und deren Filialen nicht mehr empfohlen wissen
wollte.
Das ist eine noble Geste, aber natürlich änderte dieses Statement nichts an
den Plänen Bruneis – wie jetzt der Verständnis heischende Brief an die EU
unterstrich: Was soll schon dabei sein, wenigstens eine Todesstrafendrohung
zu formulieren, wenn die sie Betreffenden die religiös-frömmelnde Ordnung
des Landes konterkarieren?
## Der Westen und die Kulturrelativist*innen
Problematisch hier ist indes, dass die Argumente nur aus
menschenrechtlicher Perspektive zurückzuweisen sind. Nicht jedoch mit den
gedanklichen Instrumenten postkolonialer oder antiimperialistischer Art,
wie sie etwa international [3][in der Person Judith Butlers] die stärkste
Promoterin hat.
Denn was soll schon falsch sein an den Toleranz ersehnenden Wünschen, wie
sie in Brunei formuliert wurden, wenn es denn die ihren sind? Der Westen
hat den Kulturrelativist*innen zufolge nichts zu melden – gelobt sei
kulturell das, was dort Tradition ist. Und ist es nicht so, dass
Traditionalität, vermeintlich gelebte Authentizität jedes Menschenrecht auf
individuelle Unversehrtheit durch staatliche Organe aushebelt – zumal wenn
es aus Ländern kommt, die alles in allem nicht dem reichen Westen
zugerechnet werden?
Und ist es nicht auch so, dass Brunei wie auch Iran oder Saudi-Arabien
schon deshalb nicht kritisiert werden können, weil die Position des oder
der Kritiker*in als „homonationalistisch“ verstanden werden müssen – aus
der angeblich kolonial zuweisenden Absicht der Diskreditierung
nichtwestlicher Länder? Und sollte man nicht sowieso aus westlicher, also
auch linksalternativer Sicht darauf verzichten, etwa mit Frauen in Algerien
oder Marokko, mit Lesben und Schwulen jenseits der reichen demokratischen
Industrieländer Solidarität zu üben, weil sie ja tatsächlich mit ihren
kopftuchlosen oder sexuellen Praxen gegen die frömmlerischen religiösen,
allermeist islamischen Mainstreams ihrer Heimaten verstoßen, ja sich
versündigen?
Aber es hängt ja nicht an einer speziellen Religion, das
Frömmlerisch-Gewalttätige ist allen Glaubensgemeinschaften tendenziell
innewohnend: Auch die Bundesrepublik hätte noch bis 1969 für die
Nazihaftigkeit ihres antihomosexuellen [4][Paragrafen 175] um Toleranz und
Verständnis bitten können – die Mehrheit der Bevölkerung war ja, durchaus
christlich tief begründet, für die schwere Bestrafung schwuler Männer.
## Religion verdient Kritik
Kurzum: Der linksalternative Kult um Traditionalität und Rücksichtnahme,
Toleranz und Postkolonialität führt politisch genau zu jenen
Entscheidungen, für die nun das Sultanat von Brunei sich nicht nur nicht
schämt, sondern auch noch diplomatisch als kulturell fundamentale Eigenheit
wirbt. Sie wird religiös begründet, was obendrein darauf verweist, dass
Religion keineswegs irgendeinen Schutz braucht, schon gar keinen
menschenrechtlichen. Was sie verdient, ist Kritik – um jene Menschen zu
schützen, die sich von ihr distanzieren, mit ihr nichts zu tun haben wollen
und schon gar nicht diese in Machtpositionen wissen möchten.
Rechte von einzelnen Menschen, von Individuen sind unteilbar. Nicht die
Ansprüche von Religionen. Menschenrechte dienen in einer säkular, also
glaubensfern verstandenen Welt dem Schutz aller, die aus religiösen Gründen
verfolgt werden – warum und von wem auch immer.
Die Charta der Menschenrechte musste nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die
islamische (und christliche) Nomenklatur durchgesetzt werden. Tradition mag
alles sein, aber eines gewiss nicht: ein Menschenrecht.
23 Apr 2019
## LINKS
[1] /Homosexuellen-droht-jetzt-Steinigung/!5584063
[2] /Bericht-von-Amnesty-International/!5587104
[3] /Feministische-Philosophie-und-Koerper/!5487457
[4] /Opfer-des-Paragrafen-175-verstorben/!5472849
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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Brunei
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