# taz.de -- Kolumne Lügenleser: Mord, Drogen – und natürlich: Tacos | |
> In Serien und Filmen wird ein eigentümliches Bild von Mexiko vermittelt. | |
> Klar, das Land hat unbestritten Probleme. Aber wie viel Klischee ist | |
> okay? | |
Bild: Mmmh, Tacos | |
Der Winter war kalt. Kalt und grau. Kalt und grau und trist und öde. Fad | |
und dröge, blass und eintönig – so würde es der ein oder andere | |
Feuilletonist beschreiben, damit es auch der Letzte versteht, die | |
redundante Sprache ist das Steckenpferd vieler Erzähler. Journalisten. | |
Schreiberlinge. Wiederholungen liegen im Trend. Immer und immer wieder das | |
Gleiche zu tun und dennoch ein anderes Ergebnis zu erwarten ist ein Merkmal | |
des Wahnsinns. Aber ich schweife ab. | |
Dieser kalte, graue Winter also. Was kann man da großartig tun, außer ein | |
wenig zu lesen und das gesamte Repertoire von Netflix durchzusuchen. Die | |
Versace-Story, „El Chapo“, „Peaky Blinders“, „Queen Of The South“, | |
„Narcos“, „Haus des Geldes“, „Die härtesten Gefängnisse der Welt“… | |
Sinner“ und was da eben noch auf einen wartet, in einer der größten | |
Geschichtenfabriken unserer Zeit. Auch hier wird gerne mit Wiederholungen | |
gearbeitet. | |
Unter anderem, was das schöne Ländchen Mexiko betrifft. Kartelle, Mord, | |
Drogen, Tacos. Alte Autos, Hinterwäldler, neureiche Gangster. Will sagen: | |
Joaquín Archivaldo Guzmán (El Chapo) verscharrte Journalisten, Dealer und | |
Kokain. Das ist das Bild von Mexiko, das wir in fast allen Serien und | |
Filmen überliefert bekommen. Na klar, es gibt auch noch „Frida“ mit Salma | |
Hayek und „Roma“. Aber in Ersterem geht es um die Biografie einer Frau – | |
mal wieder erzählt anhand der Geschichte ihres Mannes. Und mit – Achtung , | |
unpopuläre Meinung – Kunstfilmen, die absichtlich langweilig sind, tu ich | |
mich schwer. | |
Und jetzt sitze ich hier. In Mexiko. Da mir selbst Netflix nicht mehr durch | |
den Berliner Winter helfen konnte. Mit einem Backpacker-Rucksack. Und ja, | |
das Land hat unbestritten Probleme. Dennoch beschlich mich relativ schnell | |
das Gefühl, dass mir hier ein falsches Bild vermittelt wurde. Potzblitz! | |
Keine bahnbrechende Erkenntnis, aber wenn uns etwas immer wieder | |
eingetrichtert wird, dann bleibt eben doch was hängen. | |
Ich schreibe diesen Text auf einem öffentlichen Platz in Mexiko City und | |
fühle mich sehr sicher und willkommen. Der Artikel erreicht Deutschland | |
dank des kostenlosen Wi-Fi. Das nicht besonders schicke Restaurant stellte | |
mir ungefragt eine Powerbank zur Verfügung, als sie sahen, dass ich mit | |
technischen Geräten arbeite. Schräg gegenüber ist ein öffentliches | |
Fitnessstudio unter freiem Himmel, nebenan eine kostenlose Fahrradwerkstatt | |
mit allem Drum und Dran. Dazu werden Tacos gereicht. An jedem Klischee ist | |
etwas dran. | |
Wenn ich bei Netflix „Deutschland“ eingebe, geht es um weltbewegenden | |
Techno in Berlin, arabische Clans, die das Land kontrollieren, überlegene | |
Ingenieurskunst und Nazis. Auch hier redundante Geschichten. Ist ja | |
ebenfalls was Wahres dran. Wir fühlen uns immer noch überlegen und haben | |
Flugtaxis. Vielleicht. Irgendwann. Und Nazis haben wir auch. Blühende | |
Landschaften liegen vor uns. | |
23 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Juri Sternburg | |
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