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# taz.de -- Prozess um getöteten Flüchtling: Ungeklärte Gewalttat
> Das Bremer Landgericht verurteilt die drei Männer, die einen syrischen
> Flüchtlingsjungen totprügelten, zu insgesamt 30 Jahren Haft.
Bild: Schwiegen im Prozess: die drei Männer, die einen syrischen Jungen tötet…
Bremen taz | Insgesamt 30 Jahre Haft verhängte das Landgericht Bremen am
Montag zum Abschluss des Prozesses gegen die drei Männer, die in der
Silvesternacht von 2016 auf 2017 den damals 15-jährigen syrischen
Flüchtling Odai K. zu Tode prügelten – zwei Mal 12 Jahre für die beiden
kurdisch-stämmigen Brüder (26, 37) und sechs Jahre Jugendstrafe für ihren
heute 18-jährigen Neffen. Damit folgte das Gericht der Forderung der
Staatsanwaltschaft.
Es hatte in der Silvesternacht eine regelrechte Hetzjagd auf Odai gegeben,
der in einem Ladenlokal Schutz suchte. Der jugendliche Verfolger kam da als
erster an. „Brüder, Hilfe“ hatte Odai offenbar zu den türkischen Männern
gesagt, die dort Silvester feierten.
Die Verfolger traten vor allem auf seinen Kopf und schlugen mit einer
Flasche zu, auch als Odai schon wehrlos am Boden lag, so stellte es die
Richterin fest – damit hätten sie die Todesfolge billigend in Kauf
genommen. Die Feiernden waren von dem Geschehen derart überrascht, dass sie
den Tätern erst Einhalt geboten, als es zu spät war. Odai K. starb eine
Woche später an schweren Kopfverletzungen.
Der Verteidiger des minderjährigen Angeklagten hatte in seinem Plädoyer
erklärt, man dürfe ihm nicht die Taten seiner Onkel anlasten. Das Gericht
folgte dem nicht und verurteilte auch ihn wegen der „gemeinschaftlichen“
Herbeiführung der massiven Verletzungen. Was der Anlass für die Verfolgung
war, konnte das Gericht nicht aufhellen. Auf der Straße war aus der Gruppe
der späteren Täter offenbar drohend „Seid ihr Daesch“ zu den feiernden
syrischen Jugendlichen hinübergerufen worden, und „Sprecht ihr arabisch?“
Mehr hatten die Augenzeugen der anfänglichen Szene auf der Straße nicht
bemerkt und die drei angeklagten Täter schwiegen bis zuletzt vor Gericht.
Laut Verteidiger Martin Stucke ist der Hintergrund des Geschehens der
damalige Krieg des „Islamischen Staates“ gegen kurdische Yesiden.
Als der Angeklagte Hayat G. die Gelegenheit zu einem Schlusswort bekam,
dankte er den Wachtmeistern für ihre faire Behandlung und den treuen
Familienangehörigen, die im Zuschauerraum über die 70 Prozesstage das
Verfahren verfolgten, fand aber kein Wort des Bedauern oder der Reue, wie
die Richterin bemerkte. Die Angeklagten hätten gut daran getan, sich zu den
Vorwürfen zu äußern und nicht über ihre Anwälte die Aussagen der Tatzeugen
als „Komplott“ abtun zu lassen, meinte die Richterin.
Der zur Tatzeit minderjährige Sipan äußerte sich erst mitten in der
Urteilsverkündung – indem er die Richterin als „Schlampe“ bezeichnete. A…
ihre Nachfrage bestätigte er, dass er sie damit gemeint habe. Mehrmals
knallte während der Verlesung des Urteils die Tür zum Zuschauereingang des
Gerichtssaales – demonstrativ verließen einzelne Prozesszuschauer den Saal.
## Schweigsame Zeugen
Auch die Gruppe der Tatzeugen bewies wenig Interesse gegenüber dem Auftrag
des Gerichtes, die Wahrheit über den Tathergang herauszufinden. Täter und
Zeugen wohnten seit Jahren in demselben Viertel, zum Teil in derselben
Straße, kannten sich schon lange. Bei ihren ersten polizeilichen
Vernehmungen sagten die Zeugen, sie hätten nichts mitbekommen, Alkohol
getrunken. Erst als Odai K. tot war, erinnerten sie sich – und begründeten
ihre anfängliche Verweigerung damit, die Familie G. sei eine große
kurdische Familie im Stadtteil. „Da hat man automatisch Angst vor diesen
Leuten“, sagte ein Zeuge.
Einer der Augenzeugen ist verheiratet mit einer Frau aus der Großfamilie G.
Dieser Zeuge blieb bis zum Schluss bei der Aussage, dass er nichts
mitbekommen habe – absolut unglaubwürdig, so die Richterin. Denn nach
Aussage anderer Zeugen hatte er in der Tatnacht versucht, die Täter aus
seiner angeheirateten Familie zurückzuhalten.
Da die Familie der Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Opferfamilie
wohnte, zog diese unter Polizeischutz an einen unbekannten Ort um. Die
Mutter des Getöteten, die als Nebenklägerin an dem Strafverfahren teilnahm,
brach nach dem Urteil im Gerichtssaal zusammen; sie wurde noch beim
Abtransport mit einem Krankenwagen vor dem Gebäude beschimpft.
9 Apr 2019
## AUTOREN
Klaus Wolschner
## TAGS
Prozess
Bremen
Kurden
„Islamischer Staat“ (IS)
Jesiden
Syrische Flüchtlinge
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