| # taz.de -- Pro-Brexit-Proteste in London: In Feindesland | |
| > Am Tag, an dem Großbritannien die EU doch nicht verlassen hat, füllen | |
| > Brexiteers das Regierungsviertel. Es gibt zwei getrennte Kundgebungen. | |
| Bild: „Out!“ „Freedom“: Auf der ultrarechten Kundgebung in Whitehall | |
| London taz | Im Gegensatz zu den hunderttausenden EU-Anhänger*Innen, die am | |
| 23. März durch London marschiert waren, kamen am 29. März beim Aufmarsch | |
| der Brexit-Unterstützer*Innen nur einige zehntausend. Dennoch war auf | |
| vielen der mitgebrachten Plakate vermerkt, dass es sich bei dieser | |
| kleineren Schar um die 52-prozentige Mehrheit der Briten handele, die – | |
| beim Referendum vor drei Jahren für „Leave“ stimmten. | |
| Wie beim Referendum von 2016 standen sich auch diesmal zwei | |
| Pro-Brexit-Veranstaltungen im Regierungsbezirk gegenüber. Die von Nigel | |
| Farage mitangeführte Gruppe „Leave Means Leave“ hatte für diesen Tag den | |
| Abschluss ihres 14-tägigen Protestmarsches quer durch England geplant – | |
| eigentlich sollte dieser 29. März der letzte Tag der EU-Mitgliedschaft | |
| Großbritanniens sein. | |
| Dann entschied sich Farages einstige Partei Ukip (United Kingdom | |
| Independence Party) zu einem eigenen Protest. | |
| Farage war im Dezember aus Ukip ausgetreten, aus Protest gegen das | |
| neuerdings ultrarechte und islamophobe Auftreten der einst lediglich | |
| EU-feindlichen Partei unter ihrem neuen Chef Gerard Batten. Der hat den | |
| Rechtsextremisten Tommy Robinson (echter Name Stephen Yaxley-Lennon), | |
| mehrfach vorbestrafter Führer des nicht mehr bestehenden Schlägertrupps | |
| „English Defence League“, zum Berater gemacht. | |
| Am Freitag sprach Robinson also erstmals auf der Londoner Regierungsmeile | |
| Whitehall auf der Ukip-Bühne, während einen Katzensprung davon entfernt vor | |
| dem Parlament Nigel Farage, Kate Hoey von Labour und | |
| Leave-Means-Leave-Gründer John Longworth vor einem Meer britischer | |
| Unionsfahnen auftraten. | |
| Auch einige französische Gelbwestenfahnen und ein paar gelbe der | |
| Identitären Bewegung konnten gesichtet werden. | |
| Im blauen Maßazug beklagte Farage, dass dieser Tag kein Feiertag wurde. | |
| „Die Geschichte wird diesen Tag als den des großen Betrugs markieren“, | |
| behauptete er. Die letzten zwei Jahre seien das traurigste und schlimmste | |
| Kapitel der Nation. | |
| Angela Meads aus Dorset im Westen Englands ist gerade wegen Farage hierher | |
| gekommen. „Er ist mein Held, er müsste Premierminister sein, dann wären wir | |
| jetzt aus der EU raus“, schwärmte sie. Die 75-jährige hat sich von ihren | |
| Kindern extra nach London fahren lassen, obwohl sie im Rollstuhl sitzt. | |
| „Ich wollte klarstellen, dass wir aus der EU austreten müssen.“ | |
| Die Londonerin Venetia Taylor, 40, ist mit ihren Kindern auf eiFahrrad | |
| gekommen, bekleidet mit einem T-Shirt mit der Aufschrift „WTO Rules“ – das | |
| steht für einen No-Deal-Brexit, bei dem Großbritanniens Handel mit der EU | |
| lediglich den Regeln der Welthandelsorganisation unterliegt. | |
| „Wenn Remain beim Referendum gewonnen hätte, hätte ich klein beigegeben, | |
| aber das war nicht der Fall“, sagt sie. Ihre Angst ist, dass die Demokratie | |
| einfach zur Seite geschoben wurde, „Die EU ist nicht das gleiche wie | |
| Europa!“ | |
| Mit dabei sind auch Menschen wie Sam Ayumu, 54, ein Brite aus Uganda. Er | |
| sei für den Brexit, damit ein unabhängiges Großbritannien fair mit | |
| afrikanischen Ländern handelt, sagt er. „Die großen Summen von | |
| Entwicklungshilfe schaden uns. Sie verdonnern uns zur Armut und | |
| Ausgesetztheit und es ist das, was dann die Flüchtlingswelle anspornt“, | |
| glaubt er. | |
| Schließlich stimmen die Demonstranten Hymnen des britischen Patriotismus | |
| an. „I Vow to Thee My Country“ und „Rule Britannia“ schallt aus den | |
| Lautsprechern vor dem Parlament. | |
| Oben in Whitehall spuckt derweil Tommy Robinson große Töne. Er bezeichnet | |
| Westminster, das britische Regierungsviertel, als Feindesland. Lautes | |
| Gegröle vieler teils betrunkener Leute tönt ihm entgegen, fast wie bei | |
| einem Fußballspiel. „Brexit!“, „Out!“, „Freedom!“ lautet das Gesch… | |
| Wodka-, Wein- und Sektflaschen liegen verstreut auf dem Boden, hier und da | |
| sind violette Ukip-Fahnen zu sehen. | |
| Das alles liegt auch an der Anwesenheit der „Football Lads Alliance“, einer | |
| inzwischen als rechtsextrem eingestuften Gruppe von Fussballfans gegen | |
| islamistischen Extremismus. Dennoch herrscht keine bösartige Stimmung, | |
| obwohl manche Typen mit ihren Muskeln und Tätowierungen nicht gerade | |
| freundlich erscheinen, wenn sie „Verrat! Verrat!“ rufen und die | |
| Politiker*Innen damit meinen. | |
| Manche sitzen sogar auf Campingstühlen in der Sonne, als wäre es ein | |
| Picknick. Es sind Klempner, Pflegekräfte, Hausmeister, Arbeiter. | |
| Einige machen Fotos von Kerozia Roussh, 31, aus Ostlondon, die hier mit | |
| ihren Kindern steht. Ihre dunkle Hautfarbe lässt sie aus der Menge fallen. | |
| Roussh ist Krankenpflegerin, ihre Eltern seien nach England eingewandert, | |
| um hier als Krankenpfleger zu arbeiten, erzählt sie. „Ich will Brexit, | |
| damit keine Migranten ins Land kommen, die nicht arbeiten wollen, anders | |
| als die Generation ihrer Eltern.“ | |
| Deen Brockley, 45, aus Wigan findet, dass Tommy Robinson zum Ausdruck | |
| bringt, was er auch fühle. „Ich bin kein Rassist“, betont er gleich | |
| zweimal. „Aber dies ist mein Land, und es ist einfach nicht richtig, dass | |
| 27 andere Staaten das Sagen darüber haben.“ Er erzählt davon, wie sein | |
| Vater unter Thatcher Bergarbeiter war und dass man Gemeinschaften wie seine | |
| vergessen habe. | |
| „Das Problem ist, dass die Immigration der letzten Jahre zu schnell | |
| anstieg, zu schnell für Integration,“ sagt er. „Ich habe Angst, dass wenn | |
| es so weitergeht, Leute tatsächlich rassistisch werden können.“ | |
| Während er mit der taz spricht, raten ihm Umstehende, nicht mit | |
| Journalisten zu sprechen. „Die haben uns auch verraten“, ruft ein Mann. | |
| Die Demonstranten beider Veranstaltungen verflüchtigen sich schließlich | |
| rasch in den abendlichen Straßen Londons. Einige fallen mit ihren Fahnen | |
| und T-Shirts und ihrem Alkoholpegel unter den smart bekleideten | |
| Londoner*innen auf. Andere finden Aufnahme in den übervollen Kneipen der | |
| Stadtmitte. | |
| Jane Hill, 62, ist auf dem Nachhauseweg. Die pensionierte Fahrschullehrerin | |
| lebt in Manchester. Sie nahm am Leave-Protest teil. Wussten Menschen wie | |
| Hill nicht, was sie taten, als sie Brexit wählten? | |
| „Quatsch, Menschen wie ich wählten Brexit entgegen all den schlimmen | |
| Prophezeiungen, vor denen die Remain-Gruppen uns warnten“, sagt sie. Ihre | |
| Sorge ist jetzt eine andere: zerbrochene Beziehungen zu Freunden und | |
| Familien wegen des Referendums. | |
| „Ich weiß nicht, wie das gespaltene Land wieder zusammen finden kann“, | |
| bedauert sie. „Nein, ich habe keine Ahnung, wie wir wieder zusammenkommen | |
| können.“ | |
| 31 Mar 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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