# taz.de -- US-Sängerin Sarah McCoy: Die Lady ist ein Tramp | |
> Sarah McCoy singt Noir-Jazz mit Blues-Stimme. Auf ihrem Debütalbum „Blood | |
> Siren“ verarbeitet sie die Dämonen ihres Hobodaseins. Nun ist sie auf | |
> Tour. | |
Bild: „Es gibt immer jemanden, der noch durchgeknallter ist.“: Sarah McCoy | |
Eine kräftige Frau mit Nasenpiercing tritt in einer Spelunke in New Orleans | |
auf und spielt auf einem verstimmten Klavier: Ein toller Videoclip, in dem | |
Sarah McCoy mit dem Fuß stampft, Stühle als Percussion nutzt und mit ihrer | |
Contralto-Stimme markerschütternd den Laden zusammenbrüllt. Aber das | |
Publikum widmet sich lieber dem Billard-Spiel. Das Schicksal vieler | |
KünstlerInnen, die sich täglich in den Kneipen im French Quarter verdingen. | |
Sarah McCoy ist an dieser Ausnahmesituation gewachsen. „Ich spielte, wo | |
man mich ließ“, erinnert sich die Sängerin. „Und wenn ich zwei Stunden f�… | |
drei Betrunkene singen musste, egal.“ In New Orleans könne man die Luft | |
schmecken und die Farben hören, meint McCoy. Die US-Künstlerin kam bereits | |
abgehärtet in die Stadt, vorher lebte sie ihre Hobo-Leidenschaft aus. | |
Sarah McCoy wuchs im ländlichen South Carolina auf. Als sie 15 war, starben | |
Vater und Großmutter innerhalb weniger Tage. Ihre Rettung, so will es die | |
Legende, war die Musik, sogar der Klavierunterricht half. Als Erwachsene | |
trampte sie nach Kalifornien, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, | |
machte Straßenmusik, lebt in einem Wohnwagen in der Küstenstadt Monterey. | |
„Das war hart“, seufzt McCoy, „Es ist nicht lustig, als Anhalterin über | |
Stunden mit suizidalen Lkw-Fahrern unterwegs zu sein, während aus der | |
Anlage Elvis-Imitate in maximaler Lautstärke dröhnen. Das hat Elvis für | |
mich ruiniert.“ | |
Mit befreundeten Musikern landete McCoy in New Orleans, wo sie bald in | |
einer Jazzpinte auftrat. „Das Schöne an der Stadt ist: Du bist nicht die | |
einzige Verrückte, die rumläuft. Es gibt immer jemanden, der noch | |
durchgeknallter ist.“ Nachdem ihr jetziger Manager eines ihrer Konzerte | |
gehört hatte, hat sie es ins Vorprogramm von Chilly Gonzales geschafft. Der | |
frankokanadische Entertainer hat auch ihr Debüt produziert: „Blood Siren“. | |
Darauf ist eine eigenwillige Künstlerin zu hören: McCoys Stimme ist dunkel | |
und rau, hat einen beinah morbiden Twang. Ihr Klavier dominiert, ab und an | |
klingt eine traumverlorene Akustikgitarre an, einmal croont sie zum Fender | |
Rhodes. | |
## Die Blut weinende Madonna | |
Es ist Film-noir-artiger Barjazz, der durch die schlichte Instrumentierung, | |
bei der das Piano nur durch subtile Synthie-Overdubs von Gonzales ergänzt | |
wird, umso klaustrophobischer wirkt. Auf dem Backcover des Albums | |
präsentiert sich McCoy als Blut weinende Madonna. „Ich kämpfe mit | |
Depressionen, Musik ist meine Therapie“, erklärt McCoy. „Sie erlaubt mir, | |
dunkle Gedanken zu haben und sie dann an einem schöneren Ort zu lassen, | |
damit ich wieder lachen kann.“ | |
Die 33-Jährige singt von unerwiderter Liebe und zerbrochenen | |
Freundschaften, zuweilen in der dritten Person. „She knows she’s just the | |
ugly dog“, heißt es im gleichnamigen Song. Erfreulicherweise suhlt sich die | |
Sängerin nicht in Selbstmitleid. „Someday“ ist gar eine | |
Ermächtigungshymne: „Go on and run / Be everything you wanted to become.“ | |
Sie könne sich einfach nicht dazu durchringen, nie mehr an all die | |
schlechten Tage zu denken. „So einfach geht das nicht. In mir ist diese | |
Stimme, die flüstert: Du bist nicht gut genug. Deshalb brauche ich Songs, | |
die mir sagen, dass ich mich selbst liebe.“ | |
Zum Schluss bekommt „Blood Siren“ den federnden New-Orleans-Swing. Nach dem | |
R&B-Gospel-Stampfer „Devil’s Prospects“ ist „Show’s Over“ ein | |
Rausschmeißer, wie man ihn hören möchte, bevor man morgens um sechs aus | |
einer Canal-Street-Kneipe auf die Straße torkelt, in die schmutzige Sonne | |
hinter dem Mississippi River blinzelt und sich fragt, in welchem Glas man | |
seinen Verstand gelassen hat. Ehe man ins Bett fällt und von blutenden | |
Madonnen träumt. | |
28 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Paersch | |
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