Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ukrainischer ESC-Vorentscheid: Wenn Musik politisiert
> Gewinner der Absage der ESC-Vorentscheidsgewinnerin Maruv ist
> Poroschenkos Präsidentschaftsherausforderer. Die ukrainische Regierung
> ist hilflos.
Bild: Der ursprüngliche Sieg von Maruv zeigt, dass die nationalistische Propag…
Kiew taz | Man stelle sich einmal vor, eine Jury erklärt nach einem
demokratischen Verfahren unter Einbeziehung tausender Zuschauer, die ihre
Stimme per Telefon abgegeben haben, eine international renommierte
Künstlerin zur Gewinnerin eines Musikwettbewerbes. Man stelle sich weiter
vor, dass dieser Sieg von hochrangigen Regierungsmitgliedern gekippt wird
und dass sich das Land mitten in einem Wahlkampf befindet, in dem der
ernsthafteste Herausforderer ein Mann aus dem Showgeschäft ist. [1][Genau
diese Situation haben wir heute in der Ukraine.]
Verloren haben nicht nur die Gewinnerin, die Sängerin Hanna Korsun,
Künstlerinnenname „Maruv“, verloren haben auch all die Tausende, die eigens
beim Wettbewerb angerufen haben, um Maruv ihre Stimme zu geben. Sie wollen
kein zweites Mal ihre Stimme sinnlos abgeben. Und sie werden ihre Stimme
keiner Regierung geben, die sogar Musikwettbewerbe zensiert. Verloren haben
aber auch andere ukrainische KünstlerInnen.
So erklärten die Künstlerinnen der Frauen-Band „Freedom Jazz“, die als
Zweitplatzierte statt Maruv nach Israel hätten fahren können, kurz nach
Bekanntwerden der Absage an Maruv, dass auch sie nicht nach Israel fahren
werden. Wer auch immer nun die Ukraine bei dem Song-Contest in Israel
vertreten wird, wird mit dem Makel leben müssen, nicht allein wegen seiner
oder ihrer künstlerischen Fähigkeiten entsandt worden zu sein.
Dabei kann man Maruv wirklich keine Sympathien für die russische Politik
nachsagen. Wenn ein Land einen schlechten Präsidenten habe, so die
Künstlerin auf die Frage, warum sie auch in Russland auftrete, heiße das
noch nicht, dass auch die Menschen in diesem Land schlecht seien. „Die Krim
ist ukrainisch“ hatte sie klar auf dem Wettbewerb gesagt.
## „Wie Sex für die Jungfräulichkeit“
Die ukrainischen Behörden haben mit ihrer Entscheidung gegen die 27-jährige
Maruv die Musik politisiert. Neu ist das nicht. 2009 lehnten die
Veranstalter des Contests den georgischen Song „We don´t wanna Put in --“
ab, weil dies eine Anspielung auf Putin sei. 2012 reisten armenische
KünstlerInnen aus politischen Gründen nicht zum ESC-Contest nach Baku.
[2][2016 hatte die Krimtatarin Dschamallah mit dem Titel „1944“,] eine
Anspielung auf die Deportation der Krimtataren unter Stalin, für die
Ukraine den ersten Platz geholt. Im nächsten Jahr verbot die Ukraine der
russischen Sängerin Julia Samoylova die Einreise in die Ukraine, weil
Samoylova auch auf der von Russland annektierten Krim aufgetreten war.
Gewinner dieses Spiels, bei dem die ukrainische Regierung einen sehr
hilflosen Eindruck macht, ist der Showman Wladimir Selenski,
aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Poroschenko bei den
Präsidentschaftswahlen im nächsten Monat. Mit der Absage an Maruv hat die
Regierung dem Showman die Möglichkeit gegeben, da zu punkten, wo er zu
Hause ist, im Showgeschäft. Und der nutzte die Steilvorlage. Unter
Anspielung auf Geschäftsbeziehungen des ukrainischen Präsidenten
Poroschenko mit Russland wundert er sich in einem Video-Clip, wieso man
zwar mit Russland handeln dürfe, wenn es um Ersatzteile und Süßigkeiten
gehe, Maruv aber nicht Gewinnerin sein dürfe.
Und die Atomkraftgegnerin Iryna Holovko wundert sich, warum man im
Showgeschäft eine Zusammenarbeit mit Russland anprangere, gleichzeitig aber
bereit sei, mit einer russischen Firma zwei Atomreaktoren zu bauen. Doch
der Skandal um Maruv zeigt auch etwas anderes: die nationalistische
Propaganda, die auf allen ukrainischen Kanälen läuft, scheint bei einem
Großteil der Bevölkerung überhaupt nicht angekommen zu sein. Wie sonst
könnten sich Jury und Publikum für eine Künstlerin entscheiden, die zu
ihren Konzerten in Russland steht und zum Krieg befragt, vom ukrainischen
Internetportal „znaj.ua“ mit den Worten zitiert wird: „Für den Frieden
militärisch zu kämpfen ist wie Sex für die Jungfräulichkeit“.
Mit ihrem Druck auf das Auswahlverfahren für den Song-Contest haben sich
Vertreter der Regierung offen über eine demokratische Entscheidung von Jury
und Publikum hinweggesetzt. Keiner guter Aperitif für die anstehenden
Präsidentschaftswahlen.
27 Feb 2019
## LINKS
[1] /European-Song-Contest-in-Israel/!5576775
[2] /Eurovision-Song-Contest-in-Kiew/!5389578
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Maruv
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Ukraine
Russland
Petro Poroschenko
Wolodymyr Selenskij
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Maruv
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
Schwerpunkt Eurovision Song Contest
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Ukraine sagt ESC ab: Eine vertane Chance
Der Eurovision Song Contest bietet eine Möglichkeit des Austauschs. Auch
wenn die Beziehungen zwischen den Regierungen vergiftet sein mögen.
ESC und die Ukraine: Kein Auftritt in Tel Aviv
Nach dem Streit um die Siegerin des nationalen Vorentscheids Maruv sagt
Kiew seine Teilnahme ab. Ex-Gewinnerin Ruslana hält das für falsch.
European Song Contest in Israel: Ukrainerin sagt Teilnahme ab
Die Sängerin Maruv streitet sich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Der diktiert ihr Bedingungen, was Auftritte in Russland angeht.
Deutscher ESC-Vorentscheid: Unbekümmerte Frauenpower
Das Duo „S!sters“ gewinnt die Vorentscheidung zum ESC auch dank
Publikumshöchstwertung. Die antiisraelische BDS-Kampagne ist auch vor Ort.
Eurovision Song Contest: Ein verdammt gutes Jahr
Mit „You let me walk alone“ ersang Michael Schulte beim ESC im Mai 2018
Deutschland einen vierten Platz. Das brachte ihm Ruhm und Ehre.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.