# taz.de -- Kinofilm „Vice – Der zweite Mann“: Kein Diener der Macht | |
> Nur ein Katalysator für politische Katastrophen? Adam McKays polemischer | |
> Politfilm „Vice – Der zweite Mann“ über Dick Cheney. | |
Bild: „Egal wen Lynne geheiratet hätte, er wäre Präsident geworden“: Lyn… | |
11. September 2001: Während die Bilder von den brennenden Twin Towers über | |
die Fernseher im Weißen Haus flimmern, schieben die Agenten des Secret | |
Service Vizepräsidenten Dick Cheney vor sich her in Sicherheit. In der | |
Notfallkommandozentrale unter dem Ostflügel des Weißen Hauses sitzt Cheney | |
wie ein Fels in der Brandung der Aufregung, die ihn umgibt. In einem ersten | |
Telefonat sorgt er dafür, dass der Präsident in der Luft bleibt, in einem | |
zweiten übergeht er den Präsidenten bei der Entscheidung, jedes Flugzeug | |
abzuschießen, das als Bedrohung gilt. | |
Die fassungslosen Blicke der Mitarbeiter im Raum spiegeln, was gerade | |
passiert ist. Inmitten der Verwirrung, so der Kommentarton, der sich nun | |
über die Bilder schiebt, hat Dick Cheney eine Gelegenheit erblickt, hat | |
sich eine Macht angeeignet, die kein Vizepräsident vor ihm je hatte. | |
Adam McKay zeichnet in „Vice“ ein polemisches Porträt des ehemaligen | |
Vizepräsidenten Dick Cheney als sinistre Kraft, der unter einer präsidialen | |
Nullnummer wie George W. Bush die eigentliche Macht in den Händen hält. | |
Schon die Verhandlungen über die Vizepräsidentschaft zeigen, wie Cheney | |
den politisch unerfahrenen Bush junior über den Tisch zieht. | |
„Vice“ zeichnet den Werdegang Cheneys von einem saufenden Niemand in | |
Colorado zu einem der mächtigsten Männer der USA nach. In einem Interview | |
mit dem kalifornischen Radiosender KCRW hat McKay die Rolle von Cheneys | |
Frau, Lynne Cheney, als treibende Kraft hinter dieser Karriere betont: | |
„Egal wen Lynne geheiratet hätte, er wäre Präsident geworden.“ Eine | |
Deutung, die er immer wieder in den Aufstieg Cheneys vom Assistenten Donald | |
Rumsfelds während dessen Zeit in der Regierung von Richard Nixon über | |
Cheneys Zeit als Verteidigungsminister unter George H. W. Bush bis zur | |
Vizepräsidentschaft unter Bushs Sohn einwebt. | |
Wie der Kommentar sagt: „Cheney war immer ein mäßiger Student und | |
durchschnittlicher Sportler, aber er hat seine Berufung gefunden als | |
ergebener Diener der Macht.“ Cheneys machiavellistisches Gespür sollte aus | |
ihm weit mehr machen als einen Diener der Macht. | |
## Drehbuch als große Stärke des Films | |
Adam McKay hat als Drehbuchautor für die Unterhaltungssendung „Saturday | |
Night Life“ begonnen. Seine Finanzkrisenkomödie „The Big Short“ lebte vom | |
Zusammenspiel zwischen der Kraft des Drehbuchs und hervorragenden | |
Schauspielern. Auch bei „Vice“ ist das Drehbuch eine große Stärke des | |
Films, McKay findet in Cheneys Biografie eine Nische, die ihm erlaubt, | |
einen Kommentator in die Geschichte einzuschreiben, der vollkommen zufällig | |
und doch untrennbar mit Cheney verbunden ist. Und er nutzt Cheneys | |
Aufstieg, um nicht nur die persönliche Laufbahn Cheneys nachzuzeichnen, | |
sondern die einer ganzen Generation von konservativen Politikern. | |
Der Film vermittelt Hintergrundwissen zur Republikanischen Partei, zeigt | |
die Gründung konservativer Thinktanks und die Entstehung des rechten | |
Medienkonzerns Fox. Er arbeitet im Lauf des Aufstiegs zentrale Figuren für | |
die Verschiebungen im politischen System der USA heraus, wie Justice | |
Scalia. Der Richter am Supreme Court war einer der zentralen Anhänger der | |
Unitary Executive Theory, die zu einer bis dato ungekannten Ausweitung | |
präsidialer Befugnisse führte. Eine Machtverschiebung, die sich in den | |
Präsidentschaften Obamas und Trumps auf sehr unterschiedliche Weise | |
bemerkbar macht. | |
Christian Bale kann sich in der Rolle des Dick Cheney austoben, Amy Adams | |
gibt Lynne Cheney als kühl berechnende Second Lady, die ihren Mann an | |
Kalkül noch übertrifft. Doch die Cheneys bleiben ebenso wie die anderen | |
Rollen des Films strikt Funktionen der Drehbuchpolemik. McKay zeigt Cheney | |
und die Republikaner zutreffend als Dampfwalze, die alle Widerstände | |
gegenüber ihrer Politik niederwalzen. Ein Psychogramm der Handelnden wäre | |
vermutlich uninteressant geblieben, aber etwas mehr Komplexität darin, wie | |
und weshalb es möglich war, diese Politik durchzusetzen und warum nicht | |
zumindest im Rückblick Korrekturen in der politischen Landschaft | |
vorgenommen wurden, wären angesichts der nächsten Dampfwalze mit Mitch | |
McConnell im US-Senat durchaus interessant gewesen. | |
## Mehr Farce als Polemik | |
Adam McKays schnell erzählter, polemischer Film über Cheney gehört mit | |
Jason Reitmans „Der Spitzenkandidat“, dem zurückhaltenden Porträt eines | |
gescheiterten demokratischen Präsidentschaftskandidaten, zu einer neuen | |
Welle politischer Filme im Mainstream des US-Kinos. | |
Wie groß der Hunger nach dieser Art Film als Katalysator für politische | |
Frustrationen ist, zeigt sich in den acht Oscar-Nominierungen für „Vice“. | |
McKays Film ist nominiert als bester Film, für die beste Regie, das beste | |
Originaldrehbuch, Christian Bale als Dick Cheney, Amy Adams als Lynne | |
Cheney und Sam Rockwell als George W. Bush sind nominiert, außerdem für | |
Make-up/Frisuren und den besten Schnitt. | |
Ganz zu Beginn des Films arbeitet eine Montagesequenz aus Bildern der | |
aktuellen Arbeitswelt und der Freizeit das Bedürfnis nach einfachen | |
Deutungen, nach der Delegation von Komplexität heraus – wer achtet schon | |
auf Bürokraten der Macht wie Cheney, wenn man immer länger, immer | |
intensiver arbeiten muss. Dann sitzt man als Zuschauer gut zwei Stunden | |
staunend vor dem Spektakel, das McKay auf der Leinwand veranstaltet, die | |
offene Skrupellosigkeit von Cheney und Rumsfeld geraten in der polemischen | |
Zeichnung ebenso beeindruckend wie erschreckend. Doch am Ende fügt „Vice“ | |
dem Bild keine Komplexität hinzu und funktioniert als Farce besser denn als | |
Polemik. | |
20 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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George W. Bush | |
Kinofilm | |
Christian Bale | |
Schwerpunkt Finanzkrise | |
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