# taz.de -- Polizeigewalt in Frankreich: Hände zerfetzt, Augen weg | |
> Mit Tränengasgranaten und Hartgummigeschossen malträtiert Frankreichs | |
> Polizei Demonstranten. Regeln werden missachtet | |
Bild: Auch mit Hartgummi schießen ist ein Schusswaffeneinsatz. Paris, 9. Febru… | |
Paris taz | Zehntausende haben erneut am Samstag in zahlreichen Städten | |
Frankreichs mit oder ohne gelbe Weste demonstriert. „Akt XIII“ hieß in der | |
Bewegung der „Gilets jaunes“ die 13. Auflage der Straßenproteste seit Mitte | |
November. | |
Wie eine Woche zuvor stand die „Polizeigewalt“ im Zentrum. Die | |
Gelbwestenbewegung zählt mittlerweile über 2.000 Verletzte. Elf Menschen | |
sind an Blockaden auf Kreisverkehren oder Autobahnzufahrten gestorben. | |
Auf www.desarmons.net werden im Detail die Opfer der Ordnungseinsätze | |
aufgeführt, darunter bisher 5 Personen, die eine Hand verloren haben und | |
20, die voraussichtlich auf einem Auge blind bleiben. | |
Ganz vorn bei der Pariser Kundgebung am Samstag waren mehrere Opfer der | |
Polizeigewalt mit dabei, je nach Verletzung mit Krücken, Kopfverband, | |
Augenklappen oder Rollstuhl. | |
Unter ihnen befand sich Jérôme Rodrigues, der eine Woche zuvor auf der | |
Bastille vermutlich von einem Hartgummigeschoss der Polizei an einem Auge | |
schwer verletzt wurde und zu einem der prominentesten Sprecher der Bewegung | |
aufrückte. | |
Neue Beweise für die Anschuldigung, das Innenministerium setze auf | |
Repression und verwende trotz bekannter Risiken unverhältnismäßige Mittel, | |
hätten die Gelbwesten aufgrund der allzu zahlreichen Präzedenzfälle nicht | |
gebraucht. | |
## Fotograf die Hand abgerissen | |
Am Samstag hat indes ein weiterer Demonstrant bei der Explosion einer | |
Polizeigranate eine Hand verloren, er wurde zudem am Kopf verletzt. Der | |
30-jährige Schlosser Sébastien M. war als Fotograf der Gilets jaunes ganz | |
vorn dabei, als ein paar Hitzköpfe eine für Renovierungsarbeiten dienende | |
Bretterwand vor dem Gebäude der Nationalversammlung zu demontieren | |
versuchten. Die Polizei antwortete mit Tränengasgranaten. | |
Hat Sébastien M. eine dieser Granaten in die Hand genommen, oder wurde er | |
direkt getroffen? Laut Augenzeugen waren seine Verletzungen schrecklich. | |
Eine Untersuchung soll nun klären, wie und warum er vermutlich von einer | |
Granate vom Typ GLI-F4 verletzt wurde. | |
Diese wird in Europa nur von Frankreichs Polizei bei Kundgebungen | |
verwendet. Sie enthält 25 Gramm TNT, damit bei der Detonation nicht nur das | |
Tränengas entweicht, sondern auch ein gewaltiger Knall erzeugt wird. | |
## Einmalig in Europa | |
Auch der Einsatz von Hartgummigeschossen durch Frankreichs Polizei wird | |
aufgrund der zahlreichen Verletzungen heftig kritisiert. Diese werden aus | |
Waffen des Typs LBD-40 abgefeuert und unterscheiden sich vom in anderen | |
Ländern bekannten Gummischrot. | |
Laut Vorschrift dürfen die Patronen mit 4 Zentimeter Durchmesser nicht auf | |
Kopfhöhe und nicht auf kurze Distanz verschossen werden. Diese Regel wird | |
aber, wie auf Videos zu sehen ist, ständig missachtet. | |
Laut dem Magazin Nouvel Obs wurden diese „Hartgummi-Granatwerfer“ in der | |
überwiegenden Zahl von rund 9.000 registrierten Fällen auch nicht von | |
darauf spezialisierten Einheiten der Gendarmerie oder CRS-Ordnungspolizei | |
eingesetzt, sondern von aus diversen Polizeibeamten gebildeten | |
Adhoc-Formationen. | |
## Falsche Munition im Einsatz | |
Außerdem verwendet die französische Polizei laut Angaben von Brügger & | |
Thomet, dem Schweizer Hersteller der LBD-40 (auch als GL06 angeboten), | |
nicht die mit geschäumtem Kunststoff versehene Originalmunition „SIR“, | |
sondern ein Produkt der Konkurrenz. | |
Auf taz-Anfrage erklärt der Waffenfabrikant: „Bei Nutzung von Munition von | |
Drittherstellern kann die Präzision beeinträchtigt werden und das | |
Verletzungsrisiko steigt signifikant.“ | |
Trotz aller Einwände hat Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht vor | |
wenigen Tagen eine Klage der Menschenrechtsliga gegen die LBD-40 abgewiesen | |
und damit für deren weiteren Einsatz grünes Licht gegeben. | |
10 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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