| # taz.de -- Lebensmittelpreise in der Türkei: Streit um die Zwiebel | |
| > In der Türkei explodieren die Preise für Gemüse. Bei den Kommunalwahlen | |
| > drohen der AKP nun Verluste in Istanbul und Ankara. | |
| Bild: „Was kann ich dafür?“: Wegen der Preise werden nun viele Markthändl… | |
| Istanbul taz | Zwiebeln sind in der Türkei einfach ein Muss. Es gibt kaum | |
| ein Gericht ohne die Zwiebelknolle, und genau aus diesem Grund sind | |
| Zwiebeln, aber auch Grundnahrungsmittel wie Auberginen, Paprika und Tomaten | |
| jetzt zum Politikum geworden. | |
| Der Preis für Zwiebeln hat sich in den letzten Monaten verdreifacht, aber | |
| auch die Preise für andere Gemüsesorten stiegen Monat für Monat um mehr als | |
| 6 Prozent und damit weit über der allgemeinen Inflationsrate. Imam | |
| Bayildi (übersetzt: „der Imam fällt in Ohnmacht“), ein einfaches Gericht | |
| aus Aubergine, Zwiebeln, Paprika und etwas Gehacktem, „kann sich kaum noch | |
| jemand leisten“, klagen Leute auf Twitter, „alle Zutaten sind viel zu teuer | |
| geworden“. | |
| Weil im März wichtige Kommunalwahlen stattfinden, bei denen der | |
| Regierungspartei AKP der Verlust der Metropolen Istanbul und Ankara droht, | |
| sind die Lebensmittelpreise mittlerweile zum wichtigsten Streitpunkt | |
| zwischen der Opposition und den Dauerregenten um Präsident Recep Tayyip | |
| Erdoğan geworden. | |
| Finanzminister Berat Albayrak, der Schwiegersohn des Präsidenten und dessen | |
| Sprachrohr in allen Wirtschaftsfragen, hat am Mittwoch einen Aktionsplan | |
| zur Reduzierung der Lebensmittelpreise angekündigt und gleichzeitig dunkle | |
| Mächte für den Preisanstieg verantwortlich gemacht. Gegenüber Journalisten | |
| sagte er: „Ich nenne es Lebensmittelterror. Es ist keine Überraschung, dass | |
| diejenigen Kräfte, die den Terror insgesamt unterstützen, jetzt auch den | |
| Alltag unserer Bürger angreifen. Ich fordere eine Untersuchung, um die | |
| Verantwortlichen für die Lebensmittelspekulation dingfest zu machen.“ | |
| ## Kriminelle Verschwörung oder schlechte Agrarpolitik? | |
| Schon vor der Jahreswende hatte die Regierung Inspekteure losgeschickt, um | |
| nach angeblichen Lagern zu suchen, in denen „Kriminelle“ Zwiebeln horten | |
| sollten, um die Preise in die Höhe zu treiben. Gefunden wurde nichts. Dann | |
| forderte der Präsident die Supermarktketten auf, die Preise für Gemüse zu | |
| senken und sich nicht an den Spekulationen zu beteiligen. Viele Ketten | |
| nahmen daraufhin Auberginen und Zwiebeln gleich ganz aus dem Angebot, | |
| sodass jetzt die Händler auf den Wochenmärkten den ganzen Ärger der Kunden | |
| abbekommen. „Was kann ich dafür“, klagte ein Händler gegenüber der taz, | |
| „ich bekomme ja die Preise vom Großhandel diktiert“. | |
| Dabei sind weniger dunkle Mächte für den Anstieg der Lebensmittelpreise | |
| verantwortlich als vielmehr ein Mix aus schlechten Ernten, einer | |
| Agrarpolitik, die unter Erdoğan Monokulturen für den Export forciert und | |
| damit die Selbstversorgung der Türkei mit Lebensmitteln verspielt hat, was | |
| wiederum dazu führt, dass nun etliche Sachen importiert werden müssen, die | |
| angesichts des Absturzes der türkischen Lira gegenüber dem Dollar immer | |
| teurer werden. | |
| Albayrak will nun die Kommunen anweisen, den Verkauf von Gemüse selbst in | |
| die Hand zu nehmen. Erdoğan hat schon vor Tagen kommunale Großbäckereien | |
| als Vorbild gepriesen, die in einigen Städten trotz der forcierten | |
| Privatisierung kommunaler Einrichtungen unter seiner Regierung noch übrig | |
| geblieben sind und bis jetzt an zentralen Stellen in der Stadt Brot unter | |
| dem Marktpreis verkaufen. Genauso solle man es mit Gemüse machen. | |
| Außerdem hat die Regierung schnell noch den Mindestlohn erhöht, um den | |
| Ärger gerade in der ärmeren Bevölkerung, die bislang zu ihrer treuesten | |
| Wählerschaft zählt, etwas abzumildern. Aber trotz alledem geht in Erdoğans | |
| Arbeiterpartei AKP die Angst um, bei den anstehenden Kommunalwahlen | |
| abgestraft zu werden. | |
| 9 Feb 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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