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# taz.de -- Rechte Dauerdemonstrationen verboten: Kandel ist wieder nur eine kl…
> Mehr als ein Jahr lang besuchten Rechtsextreme den pfälzischen Ort.
> Endlich sind die Rechten verschwunden. Gestoppt hat sie eine Baustelle.
Bild: Neue Strategie gegen rechts?
Kandel taz | Es ist still an diesem feuchtkalten Samstagnachmittag in
Kandel. Fast wie früher. Nur die Schilder mit dem regenbogenfarbenen Slogan
„Wir sind Kandel“ in den Schaufenstern, erinnern daran, dass sich seit
einem Jahr etwas verändert hat in dem kleinen Örtchen in der Südpfalz.
Es ist der erste Monat seit über einem Jahr, an dem nicht zugereiste
Rechtsradikale, Reichsbürger und Hooligans an den Schaufenstern in der
Fußgängerzone vorbeiziehen. Der erste Monat ohne Polizeihubschrauber, die
über den Fachwerkhäusern kreisen. Und zum ersten Mal seit Januar 2018
müssen die Läden am ersten Samstag im Monat nicht schon um 12 Uhr schließen
und müssen die Bürger von Kandel sich nicht zur Gegendemonstration rüsten.
Die Rechten demonstrieren diesmal im acht Kilometer entfernten Wörth. Sie
sind ausgewichen, weil sie nicht mehr demonstrieren dürfen. Aber sind sie
ganz weg?
„Eine Verschnaufpause“, sagt Bürgermeister Volker Poß, ein jovialer Pfäl…
mit dröhnendem Bariton, „mehr erst mal nicht.“ Es war ja in den letzten
Monaten schon ruhiger geworden, es kamen weniger Rechte, die Zahl der
Gegendemonstranten blieb erfreulich hoch.
Sarah Boos, Sprecherin von „Kandel gegen Rechts“ freut sich, dass Marco
Kurz, der Organisator der rechtsextremen Aufmärsche, seinen verbliebenen
Anhängern trotzig angekündigt hat, in drei Monaten ganz aufzuhören, sollte
er nicht genügend Unterstützung bekommen. „Vielleicht will Kurz ja
scheitern“, spekuliert Boos, um sich stärker seinem neuen Thema, der
Vernetzung mit den Gelbwesten, widmen zu können. Sicher ist jedenfalls,
dass es jetzt erst einmal keine Demonstrationen mehr in Kandel geben wird,
wahrscheinlich sogar die nächsten zwei Jahre. Auch wenn der Grund dafür
schon fast zum Lachen ist.
## Eine Beziehungstat, von Rechten instrumentalisiert
Es war der 27. Dezember 2017, als das südpfälzische Städtchen mit seinen
gerade mal 9.500 Einwohnern mit einem Schlag bundesweit bekannt wurde. Es
ist die Art von Bekanntheit, vor der sich wohl jeder Bürgermeister
fürchtet. Ein möglicherweise minderjähriger Afghane erstach damals im
örtlichen Drogeriemarkt ein 15-jähriges Mädchen aus dem Ort. Eine
[1][grausame Beziehungstat], begangen von einen Flüchtling, die sich in
eine Reihe vergleichbarer Taten in Freiburg, Offenburg oder Chemnitz
stellen ließ.
Die Bevölkerung habe großen Anteil an dem Verbrechen genommen, sagt
Bürgermeister Poß, aber es habe keine Wut auf Flüchtlinge gegeben. Poß hat
sein Büro im ersten Stock eines schmucklosen Funktionsbaus zwischen
Innenstadt und Bahnhof. Fünf Tage danach, am 2. Januar, zog ein erster
sogenannter Trauermarsch durch Kandel. Damals seien sicher auch einige
betroffene Kandler dabei gewesen, erinnert sich Poß. Er schaute sich den
Zug vom Fenster aus an. Aber schon da habe es „Merkel muss weg“-Rufe
gegeben. Poß war klar, hier marschieren in ihrer überwiegenden Mehrheit
keine betroffenen Kandler Bürger ,und es geht nicht um Trauer, sondern um
Politik.
Das war erst der Anfang. Beim zweiten Marsch im Januar sind es schon
Hunderte Rechte, die nach Kandel kommen, auch die NPD marschiert mit. Schon
die erste Kundgebung war von Marco Kurz, einem Elektriker aus dem Badischen
mit guten Kontakten in die Reichsbürgerszene und zu der
baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Christina Baum, angemeldet
und organisiert worden. Baum ist selbst in ihrer Partei umstritten, der
rheinland-pfälzische AfD-Landesvorsitzende distanzierte sich rasch von
ihren Aktivitäten im benachbarten Bundesland.
Die AfD ist es auch, die das Gerücht in Umlauf bringt, dass die Familie des
ermordeten Mädchens Mia hinter den Protesten stehe. Das sei unwahr, sagt
der Bürgermeister. Die Familie habe weder bei ihm noch bei anderen Gruppen
um Unterstützung gebeten. Sie habe sich im Gegenteil ausdrücklich
gewünscht, mit ihrer Trauer allein zu bleiben.
## Das „Frauenbündnis Kandel“ führt ein Mann
Marco Kurz und Christina Baum ist das egal. Kurz meldet die Demos im Namen
eines „Frauenbündnisses Kandel“ an. Dessen Sprecher ist allerdings er
selbst, ein Mann mit tätowieren Oberarmen. Christina Baum gründet „Kandel
ist überall“, offenbar schon mit der Idee, den Protest in andere Regionen
zu tragen.
Am 4. März marschieren dann 4.000 Rechte, Hooligans und Reichsbürger durch
das Örtchen. Sie skandieren „Reconquista“ und „Dumm, dümmer,
antifaschistisch“. Bilder, die die Kandler bisher nur aus dem Fernsehen
kannten. Auf der Gegenseite stehen jetzt neben den vereinten Antifa-Gruppen
aus der Südpfalz erstmals Bürgerinnen und Bürger der Stadt und
proklamieren: „Wir sind Kandel“.
Es habe einige Zeit gedauert, bis sich die Kandler klar darüber wurden,
dass sie selbst etwas tun müssen, um die Stadt nicht den Rechten zu
überlassen, gibt der Bürgermeister zu. „Am Anfang galt die Devise
‚Rollladen runter und Bürgersteige hochklappen‘, erinnert sich Volker Poß.
Aber als die Rechten riefen, dass sie wiederkommen würden, habe es den
Kandlern gedämmert, dass man dem etwas entgegensetzen muss.
## Der Gegenprotest formiert sich
„Dann im April waren wir zum ersten Mal mehr“, erinnert sich Rüdiger Stein.
Der Mann mit Glatze und runder Brille erinnert sich noch an jede Demo. Er
ist Gewerkschaftssekretär und hat dabei geholfen, „Wir sind Kandel“ zu
gründen. Stein sagt, er glaube, dass in Kandel mehr Leute gegen die Rechten
sind, als sich auf den Demonstrationen zeigen. Aber es gebe am Ort eben
auch viele Vorbehalte gegen die Antifa.
Die Antifa der Region hat sich im Bündnis „Kandel gegen Rechts“
zusammengeschlossen, sie waren im letzten Jahr schneller zur Stelle, als
die Kandler Bürger. Schon bei der Demonstration im Januar zeigten sie klare
Kante. Das Bündnis „Wir sind Kandel“ ist den Linken oft zu zögerlich.
Kaffeetrinken und Picknick weitab des Aufmarschs der Rechten reiche nicht,
versucht „Kandel gegen Rechts“ den Bürgerlichen zu erklären. Man wolle ab…
keine Konfrontation, antwortet „Wir sind Kandel“. Als bei einer Gegendemo
Böller aus den Reihen der Antifa in Richtung Polizei fliegen und der
Kandler Stadtrat einen Beschluss fasst, den Widerstand gegen die Rechten
nur dann zu unterstützen, wenn dabei keine linksextremen Symbole gezeigt
werden, ist der Riss zwischen „Kandel gegen Rechts“ und „Wir sind Kandel�…
offensichtlich.
„Das Verhältnis hat sich wieder verbessert“, sagt Sarah Boos. Die
Sprecherin von „Kandel gegen Rechts“, wohnt seit letztem Herbst in Ort. Die
junge Frau aus Trier arbeitet im nahen Karlsruhe, ihr Freund war aber
zuerst dagegen, nach Kandel zu ziehen. „Da gebe es zu viele Nazis.“ Heute
muss Sarah Boos darüber lachen. Jetzt organisieren sie in Kandel den linken
Widerstand gegen die Rechten, die, wie sie sagt, auf ihren neuen Wohnort
„Anspruch erheben“. Sie kommt gerade von einem gemeinsamen Workshop mit dem
bürgerlichen Bündnis, bei dem beide Seiten den Gesprächsfaden wieder
aufgenommen haben. Die Antifa in Kandel sei gewaltlos, sagt sie, „aber wir
wollen schon so demonstrieren, dass es die Rechten merken.“
Das wollten inzwischen auch viele Bürger. Inge Heimer etwa macht sich seit
Oktober mit Kuhglocken bemerkbar. Die 57 Jahre alte Rentnerin hat nach
österreichischem Vorbild in Kandel das Bündnis „Omas gegen Rechts“
gegründet. Die Demonstration im Oktober ist ihr erster politischer Protest
überhaupt. Vielleicht liegt es daran, dass sie seit einem Jahr Großmutter
von Zwillingen ist. „Ich möchte nicht, dass die beiden in einer
Nazi-Atmosphäre aufwachsen“, sagt sie. Dass sie sich mit Kuhglocken den
Rechten entgegen stellt, hätte ihr nicht einmal ihr Sohn zu getraut. „Ich
glaube der Protest hat viel an der politischen Kultur im Ort verändert“,
sagt Bürgermeister Volker Poß. Es gibt viele Informationsveranstaltungen.
Und vielleicht könne man auch an der Kommunalwahl im kommenden Mai ablesen,
dass die Kandler politisch sensibilisiert worden sind.
## Am Ende stoppt eine Baustelle die Rechten
Am Ende ist es aber weder „Kandel gegen Rechts“ noch „Wir sind Kandel“,…
es sind auch nicht die „Omas gegen Rechts“, die die rechten Aufmärsche in
Kandel gestoppt haben. Es ist die Erneuerung der Kanalisation und des
Straßenbelags in der Rheinstraße, an der die Rechten nicht vorbeikommen.
Die Baumaßnahme ist seit Jahren geplant und angekündigt. Die Kommune
bekommt dafür Geld vom Land. Durch die Baustelle wären während der
Demonstration alle Verkehrswege zur Feuerwehrstation und zum Krankenhaus
blockiert. Deshalb hat die Verwaltung während der Bauzeit
Demonstrationszüge durch die Stadt untersagt. Vielleicht sitze da ja ein
ganz großer Antifaschist im Ordnungsamt, witzelt Sarah Boos von „Kandel
gegen Rechts“. Aber die Stadt beteuert, es gebe keine andere Lösung. Das
Verwaltungsgericht hat das Verbot bestätigt.
Während es mit den Demos in Kandel erst einmal vorbei ist, versucht sich
Marco Kurz mit seinem „Frauenbündnis“, das bisher die Trauermärsche
angemeldet hat, im Ort festzusetzen. Es wurde ein Verein gegründet.
Vorsitzende ist eine Altenpflegerin, die ihr mit Deutschlandfähnchen
geschmücktes Haus als dessen Sitz zur Verfügung gestellt hat. Mit dem „e.
V.“ hat sich das Bündnis das Recht erstritten, seine Veranstaltungen im
örtlichen Amtsblatt anzukündigen; die Mitgliedsbeiträge könnten eine
Einnahmequelle werden, wenn der Verein denn genügend Unterstützer findet.
Marlies Wildberg ist eine Kandler Bürgerin, die das „Frauenbündnis“
unterstützt. Sie wolle verhindern, dass „aus Deutschland ein Scharia-Staat
wird“, sagt die Frau in dem grünen, figurbetonten Kleid und mit dem
dezenten Schmuck. Marlies Wildberg ist nicht irgendwer in Kandel. Sie war
hier 35 Jahre als Psychotherapeutin tätig, erzählt, dass sie früher gegen
Atomkraft protestiert habe. „Wir kommen eigentlich aus der grünen Ecke“,
sagt sie. Das ist aber lange her. Ihr Mann, früher tatsächlich
Grünen-Mitglied, sitzt heute für die AfD im Bundestag. Heiko Wildberg hat
sich aus den Protesten in Kandel stets herausgehalten, seine Frau lief
derweil eifrig mit.
In der Welt der Marlies Wildberg spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel in
Israel vor der Knesset in einer „fremden Sprache“ über ihren Auftrag, alle
Flüchtlinge ins Land zu lassen und die Schuld gegenüber den Juden
auszugleichen. In ihrer Welt sind die Indentitären „friedliche,
interessante Leute“. All das trägt Marlis Wildberg in wohltemperiertem Ton
bei Kaffee und Kuchen in einer kleinen Konditorei in der Kandler Innenstadt
vor, als wäre es Allgemeingut.
## Die Rechten demonstrieren weiter – im Nachbarort
Wenn das seine Anhänger sind, dann ist der Alu-Hut, den sich Marco Kurz an
diesem Demo-Samstag auf den Kopf gesetzt hat, vielleicht gar nicht ironisch
gemeint. An diesem regnerischen Samstag, an dem die Kandler die Ruhe in
ihrer Innenstadt genießen dürfen, beschallt Kurz nun die Fassaden der
Nachbarorts Wörth mit seinen Parolen. Trotz der Baustelle wollte er auf den
Zug nicht verzichten. Im Vorfeld hatten Kurz’ Anhänger heftig darüber
diskutiert, welchen Sinn es haben soll, außerhalb von Kandel zu
demonstrieren. Pegida und die Rechten aus dem Rest der Republik sind
deshalb zu Hause geblieben. Das Bündnis mit der AfD-Politikerin Christina
Baum ist schon vor längerer Zeit zerfallen. Man habe sich zerstritten, ist
zu hören.
Und so folgt dem Zug nur ein Häuflein von etwa 80 Demonstranten, dekoriert
mit Gelbwesten, durch die gesichtslose Wörther Innenstadt. Einer trägt ein
selbst gebasteltes Schild, auf dem steht: „Putin und Trump for ever –
Retter der Zivilisation“, bei einem anderen geht es um das
Dieselfahrverbot. Um den Mord an Mia geht es auch Kurz schon lange nicht
mehr. Er brüllt etwas zum Thema Korruption der Eliten in sein Mikrofon, es
gibt müden Applaus, eine Frau spielt auf der Gitarre ein selbst
komponiertes Lied: „Schaut euch um, so viel Leid um uns herum.“ Dann setzt
sich der Zug in Bewegung.
So bleibt der Zug der Rechten in Wörth ziemlich allein. Selbst die Kandler
Initiativen haben sich im Vorfeld darauf verständigt, dem letzten Aufgebot
des Marco Kurz nicht mit einer Gegendemonstration unnötige Aufmerksamkeit
zu verleihen. Sie sind zu Hause geblieben.
Nur ein Grüppchen von ihnen ist erschienen, um den Zug zu beobachten. Inge
Heimer von den „Omas gegen Rechts“ ist dabei. Sie und ihre Mitstreiter
werden von der Polizei aufgehalten, man findet ein Transparent. Das reicht
den Beamten für einen Platzverweis. Inge Heimer fährt, erbost über das
rabiate Vorgehen der Ordnungshüter, nach Hause. Vorher aber sagt sie noch:
„Wenn die Rechten wieder nach Kandel zurückkommen, sind wir wieder da. Mit
unseren Kuhglocken.“
7 Feb 2019
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## AUTOREN
Benno Stieber
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