| # taz.de -- Vor dem Super Bowl: Inszenierung der Gegensätze | |
| > Vergangenheit gegen Zukunft: Während die New England Patriots auf | |
| > Erfahrung setzen, wollen die Los Angeles Rams per Handstreich gewinnen. | |
| Bild: Auf dem Platz weitaus eleganter: Jared Goff von den Los Angeles Rams | |
| Am Abend zuvor, am Samstag, ist erst noch mal Party. Lil Wayne wird rappen, | |
| DJ Snoopadelic alias Snoop Dogg wird auflegen und vermutlich zur Feier des | |
| Tages einen Extrajoint durchziehen. Promis werden über den roten Teppich in | |
| die College Football Hall of Fame in Atlanta schlendern, das Magazin Sports | |
| Illustrated schickt ein paar Teilnehmerinnen seiner berüchtigten „Swim | |
| Suit“-Ausgabe als „Special Guests“, Getränke sind all inclusive. Billigs… | |
| Ticket: 500 Dollar, aber ein VIP-Tisch für dich und deine neun besten | |
| Freunde ist schon für schlappe 20.000 Dollar zu haben. Hey, [1][es ist | |
| Super Bowl]! | |
| Es hat schon seinen Grund, warum sich die National Football League zwei | |
| lange Wochen Zeit lässt, bevor sie ihr Endspiel in dem nach einem deutschen | |
| Autobauer benannten Dome von Atlanta anpfeifen lässt. Zwei Wochen zwischen | |
| Halbfinale und Super Bowl bedeuten: zwei Wochen Hype, zwei Wochen | |
| Schlagzeilen, zwei Wochen Zeit, noch mehr Geld zu verdienen. Das Spiel, das | |
| am Ende dieses zweiwöchigen Wahnsinns steht, ein ganz normales | |
| Football-Spiel, ist dann manchmal zwangsläufig eine Enttäuschung. | |
| In diesem Jahr, da [2][die New England Patriots] auf die Los Angeles Rams | |
| treffen, läuft die Aufmerksamkeitsmaschinerie besonders heiß, bietet die | |
| Konstellation doch so viele Erzählstränge wie selten zuvor: Alt gegen Jung, | |
| Ost- gegen Westküste, System gegen Stars, Silicon Valley gegen Harvard, | |
| Vergangenheit gegen Zukunft, Tradition gegen Moderne. Oder, wie es Sports | |
| Illustrated neulich beschrieben hat: „Die NFL als Mikrokosmos.“ | |
| Tatsächlich ist dieses Spiel eines der gewaltigen Gegensätze. Der | |
| deutlichste ist wohl der Altersunterschied zwischen den prägenden Figuren | |
| der beiden aufeinandertreffenden Mannschaften, allen voran den | |
| Quarterbacks. Auf der einen Seite Tom Brady, der mit 41 Jahren zum neunten | |
| Mal im Finale steht und nicht nur das Aushängeschild der NFL, sondern eine | |
| internationale Berühmtheit ist. | |
| Auf der anderen der 24-jährige Jared Goff, der in seinem dritten Profi-Jahr | |
| zum ersten Mal ein Team in den Super Bowl geführt hat. Goff ist jemand, den | |
| abseits des Spielfelds aber kaum jemand erkennen würde. | |
| Folgerichtig musste Quarterback Goff beim traditionellen „Media Day“, einem | |
| als riesige Pressekonferenz getarnten Ringelpiez mit Anfassen im | |
| Super-Bowl-Vorfeld, vor allem eine einzige Frage beantworten, die aber in | |
| vielen verschiedenen Varianten: Was er denn gemacht habe, während Brady | |
| gerade seinen ersten, zweiten, dritten, vierten oder fünften Super Bowl | |
| gewann, wahlweise auch: Gisele Bündchen das Ja-Wort gegeben hat. | |
| ## „Do your job!“ | |
| Noch größer ist der Altersunterschied bei den anderen großen Stars der | |
| Teams, den Cheftrainern. Patriots-Headcoach Bill Belichick gilt mit seinen | |
| 66 Jahren als strenger Schleifer und großer Stratege, aber eben auch als | |
| bester Football-Trainer aller Zeiten. Er ist berühmt dafür, im | |
| Zusammenspiel mit Brady eine 18-jährige Erfolgsserie hingelegt zu haben, | |
| die nicht nur in der NFL, sondern im gesamten US-Sport als einmalig gilt. | |
| Belichick ist aber auch berüchtigt für kurz angebundene Pressekonferenzen, | |
| seinen grimmigen Blick und eine radikale No-Nonsense-Attitüde. | |
| Sein Gegenüber Sean McVay dagegen ist ein gut aussehender junger Mann, der | |
| ganz und gar nicht dem traditionellen Bild eines Football-Coaches | |
| entsprechen will, sondern eher wie der CEO eines schicken Start-ups wirkt. | |
| Seit der mittlerweile 33-Jährige 2017 als jüngster NFL-Headcoach aller | |
| Zeiten engagiert wurde, hat er seinen Ruf als Wunderkind eindrucksvoll | |
| bestätigt, indem er die Rams von der Lachnummer zum Titelaspiranten | |
| beförderte. | |
| Von McVay kursieren Filmchen, in denen er bei Mannschaftssitzungen in | |
| T-Shirt und Shorts seine Spieler mit Sätzen motiviert, wie sie vermutlich | |
| eher in einem Software-Sales-Pitch fallen: „Kommunikation ist der | |
| Schlüssel. Wir brauchen großartige verbale und visuelle Kommunikation.“ | |
| Oder: „Unser Fortschritt ist unser Fokus, unser Wochen-, unser Tages-, | |
| unser Stundenrhythmus.“ | |
| Das Credo dagegen, mit dem Belichick seit Jahrzehnten die Patriots durch | |
| die Liga leitet, ist so simpel wie altbacken: „Do your job!“ gilt in Boston | |
| schon als höchste Form der Motivation. Wenn Belichick der Felix Magath der | |
| NFL ist, dann ist McVay Pep Guardiola, nur ohne Maßanzüge. | |
| ## Zwei Systemtrainer | |
| Auch wie die beiden Mannschaften aufgebaut wurden, könnte kaum | |
| unterschiedlicher sein. Die unglaubliche Konstanz der Patriots über | |
| Jahrzehnte war vor allem deshalb möglich, weil nahezu alle Spieler sich an | |
| das in New England errichtete System unter Wert verkauften und für den | |
| Erfolg Gehaltskürzungen akzeptieren. Das funktioniert nur, weil Brady mit | |
| gutem Beispiel vorangeht: Das Gesicht der NFL, den viele für den besten | |
| Football-Spieler aller Zeiten halten, ist sicherlich kein armer Mann, aber | |
| in dieser Saison schlechter bezahlt als sieben seiner Quarterback-Kollegen. | |
| Hinter McVay dagegen stand ein spendabler Teambesitzer, der vor dieser | |
| Saison eine schöne Shopping-Tour ermöglichte. Die Defensiv-Spezialisten | |
| Ndamukong Suh, Marcus Peters und Aqib Talib, dazu Passempfänger Brandin | |
| Cooks, der übrigens von den Patriots kam, waren nur die prominentesten | |
| Neuverpflichtungen des Teams aus der Entertainmentkapitale Los Angeles im | |
| vergangenen Sommer. Der mit Stars gespickte Kader der Rams droht deshalb | |
| auch nach dieser Saison auseinanderzufallen, weil für die halbe Mannschaft | |
| Vertragsverhandlungen anstehen – und alle Ausnahmekönner werden die Rams | |
| nicht unter die Gehaltsobergrenze, die für jedes Team gilt, quetschen | |
| können. | |
| Man darf angesichts dieser Stilunterschiede zwischen Belichick und McVay | |
| allerdings keinen Fehler machen: Systemtrainer sind sie beide. Anders geht | |
| das auch gar nicht, wenn man Erfolg haben will in der extrem technisierten, | |
| von denkbar avancierter Statistik und hochkomplexen Spielsystemen | |
| bestimmten NFL. | |
| Allerdings sind die Grundpfeiler der beiden Systeme unterschiedlich: | |
| Belichick kommt eher von der Defensive, er hat, bevor er Chef wurde, die | |
| Verteidigungsreihen trainiert. Auch wenn sein Zögling Brady als vermutlich | |
| bester Quarterback aller Zeiten für die Punkte zuständig ist, gilt | |
| Belichick immer noch vor allem als Defensiv-Genie. McVay dagegen hat | |
| während seines rasanten Aufstiegs ausschließlich Aspekte des Angriffsspiels | |
| trainiert. | |
| ## Spektakuläre Spielzüge | |
| Weil beide gute Trainer sind, sieht man das ihren Mannschaften nicht | |
| unbedingt an. Die haben Qualitäten auf beiden Seiten des Balls, in Angriff | |
| und Verteidigung, sie sind ausgeglichen und stehen deshalb auch im | |
| Endspiel. Aber die Philosophien, mit denen die beiden Trainer an den Sport | |
| herangehen, an die Konstruktion der Mannschaft und an die Taktik, sind dann | |
| doch unterschiedlich: Die Patriots stehen für eine konservative | |
| Herangehensweise, sie laufen mit dem Ball und lassen Brady vornehmlich | |
| kurze Pässe werfen, um das Risiko zu minimieren – manche Kritiker meinen, | |
| die Wurfkraft von Quarterback-Opa Brady hat dermaßen nachgelassen, dass | |
| anderes auch gar nicht mehr möglich ist. | |
| Die Los Angeles Rams dagegen wagen mehr, setzen immer wieder auf | |
| spektakuläre Spielzüge und lassen Goff auch mal einen langen und | |
| entsprechend riskanten Pass werfen. | |
| Ob das dann im Spiel tatsächlich so stattfinden wird, das allerdings ist | |
| fraglich. Schließlich gründet der Erfolg der beiden Cheftrainer in erster | |
| Linie darauf, dass sie gewiefte Strategen sind. Vor allem Belichick hat | |
| seine Kontrahenten immer wieder mit unerwarteter Taktik überrascht – am | |
| liebsten in den wichtigsten Spielen. | |
| Und wichtiger wird es erst einmal nicht. Allerdings auch nicht so wichtig, | |
| wie mancher meint, der ein schnödes Football-Spiel, das auch das | |
| meistgesehene Einzelsportereignis des Planeten ist, zur Zeitenwende | |
| hochjazzt. Man könnte fast meinen, die Moderne habe nun erst in der NFL | |
| begonnen – dank der Rams und ihres Trainer-Sunnyboys. | |
| ## Das „Dark Empire“ | |
| Als in den vergangenen Wochen diverse neue Cheftrainerstellen zu besetzen | |
| waren, schienen alle Klubbesitzer auf der verzweifelten Suche nach dem | |
| nächsten Sean McVay. Verdiente Coaches wie der von den Green Bay Packers | |
| gefeuerte Mike McCarthy (55) fanden keinen neuen Job. Angeheuert wurden | |
| stattdessen Jungspunde wie der 39-jährige Kliff Kingsbury, den die Arizona | |
| Cardinals verpflichteten, oder der ebenso alte neue Headcoach der Packers, | |
| Matt LaFleur. Headcoach-Erfahrung war nicht erwünscht, Hauptsache dagegen | |
| eine Verbindung zu McVay. LaFleur war mal dessen Assistent. Prompt | |
| spekulierten die Kommentatoren spottend, wer alles noch mit McVay schon mal | |
| einen Kaffee getrunken hat und demnächst ein NFL-Team anvertraut bekommt. | |
| Aber Vorsicht: Quarterback-Superstar Tom Brady hat bereits verkündet, dass | |
| „keine Chance“ besteht, dass er nach dem Super Bowl zurücktritt. Noch öft… | |
| hat er gesagt, dass er noch mit 45 Jahren spielen will. Man sollte die New | |
| England Patriots nicht abschreiben. Das „Dark Empire“, wie die Patriots und | |
| ihr unheimlicher Erfolg gern genannt werden, ist noch lange nicht besiegt. | |
| 3 Feb 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.nfl.com/gamecenter/2019020300/2018/POST22/patriots@rams?icampai… | |
| [2] /Kolumne-American-Pie/!5478030 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Winkler | |
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