# taz.de -- Ein dadaistischer Badezimmerteppich: Wenn das Unbewusste häkelt | |
> Wegen einer Augen-OP konnte unsere Autorin schlecht sehen. Sie ließ die | |
> Finger arbeiten – an einem Teppich fürs Bad. | |
Bild: Das Werk der Autorin | |
Es gibt Dinge, deren Schönheit entfaltet sich, wenn man ihre Geschichte | |
kennt. Da, dieser Badeteppich etwa, mit seinem Design ohne Konzept. Kein | |
Rhythmus ist zu erkennen, keine bewusste Gestaltung. | |
Die Entstehungsgeschichte könnte man „automatisches Häkeln“ nennen, | |
vergleichbar mit den assoziativen Schreibtechniken, mit denen schon die | |
Dadaisten Texte entstehen ließen, ganze Gedichtzyklen gar, die dann zum | |
Beispiel „Die Hyperbel vom Krokodilcoiffeur und dem Spazierstock“ hießen. | |
Die Surrealisten gaben dem später den Namen écriture automatique und holten | |
sich die Psychoanalyse mit ins Boot. Aufgeschrieben wurde ohne Plan, ohne | |
Aufbau, ohne Zensur und Korrektur. So wurde das Unbewusste zum Motor der | |
Kreativität. | |
Das musste jetzt mal aufgeschrieben werden, damit ich mich besser fühle. | |
Denn dieser Badeteppich, gehäkelt aus heruntergerockten Spannbettlaken, ist | |
genau so entstanden: ohne Plan, ohne Aufbau, ohne Korrektur, er wurde | |
„automatisch“ gehäkelt. Als ich ihn mit einer Häkelnadel, so dick wie mein | |
kleiner Finger, machte, konnte ich nämlich nicht viel sehen. | |
Zuvor hatte ich eine Augenoperation, eine Hornhauttransplantation. Meine | |
eigene Hornhaut hatte sich von innen aufgelöst. Lieber keine Details. Nur | |
eines ist klar: Wenn ich jetzt wieder sehe, dann durch die Hornhaut eines | |
Menschen, der ganz anderes in seinem Leben sah als ich. Es ist eine zweite | |
Vergangenheit, die jetzt mit meiner verschmolzen ist. Und auf eine gewisse | |
Weise lebt dieser Mensch, eine Frau ist es, mehr weiß ich nicht, in mir | |
weiter. | |
## Weiterleben im Nehmenden | |
Ich bin ihr sehr dankbar. Und ja, ich werde alles versuchen | |
herauszubekommen, wer die Frau war, was sie gesehen hat, was für ein Leben | |
jetzt mit meinem verschmolzen ist. Und ja, wenn ich es herausgefunden habe, | |
werde ich es aufschreiben. | |
Bisher hatte ich Organtransplantation nur so verstanden: Jemand gibt, | |
jemand nimmt. Erst jetzt weiß ich, dass es beides ist. Wer genommen hat, | |
gibt auch dem Gebenden etwas, das wie ein Weiterleben im Nehmenden ist, | |
wenn auch ohne Bewusstsein, soweit wir wissen. Aber was wissen wir schon? | |
Wie dem auch sei, nach der Operation wie in einen Tunnel gestoßen, das | |
Licht war weit weg, und gleichzeitig war alles neblig überblendet, fiel ich | |
in die Beschäftigungslosigkeit. Nur das Grobe blieb mir und das Kochen. Das | |
hat mich auch überrascht. Ich habe ziemlich viel gekocht, als könne man | |
dabei keine Fehler machen, sich nicht in die Finger schneiden, sich nicht | |
verbrennen, sich nicht vertun bei den Mengenangaben, nicht Salz und Zucker | |
verwechseln. (Gut, sehend kann das auch alles passieren.) Ja, und dann ging | |
ich noch dieses Projekt mit den Spannbettlaken an, die ein Badeteppich | |
werden. | |
Sicher kann man Spannbettlaken aus Jersey, die ausgeleiert sind, | |
durchgelegen, mit Löchern oder ohne, in den Kleidercontainer stecken. Man | |
kann sie auch flicken, es dauert allerdings nicht lange, bis neben dem | |
Flicken ein neues Loch entsteht. Ich habe es probiert. Früher wurden auch | |
geflickte Flicken noch geflickt, wie meine Mutter über ihre sparsame | |
Schwester schimpfte, denn das ging ihr wirklich zu weit. | |
## Reingehäkelte T-Shirts | |
Wegwerfen konnte ich die Laken indes auch nicht. Deshalb habe ich sie in | |
Streifen gerissen, diese zusammen genäht, mit der Hand und nicht auf | |
Noblesse und Akkuratesse achtend, dabei durchaus geflucht, weil es eine | |
langweilige Tätigkeit ist. Aus diesem Streifengarn habe ich mein | |
Unbewusstes anschließend den Badeteppich häkeln lassen, was nicht immer | |
einfach war, denn so ein Laken lässt sich nicht in schöne gleichmäßige | |
Streifen reißen, nee, das klappt nicht mit durchgescheuertem Material. | |
Hätte ich es geschnitten, wären sicher bessere Streifen entstanden, aber | |
dazu fehlte mir die Geduld. Nur die T-Shirts, die ich noch reingehäkelt | |
habe, habe ich geschnitten. | |
Die gerissenen Streifen waren mal zu dick, mal zu dünn. Waren sie zu dick, | |
war das auch kein Häkeln mehr, sondern ein Kampf mit dem Material. Egal. | |
Wenn ich das Ergebnis heute betrachte, wenn ich sehe, denn ich kann es | |
wieder, wie der Badeteppich da vor der Badewanne liegt, dann finde ich ihn | |
schön. Denn ich sehe seine Geschichte. | |
4 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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