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# taz.de -- Brandenburger Wald: Wandel im Wald
> Um das Klima zu retten, soll der Brandenburger Wald, der meist aus
> Kiefern besteht, zum Mischlaubwald werden. Unterwegs mit Studenten der
> Forstwirtschaft.
Bild: Kai-Birger Sünram, Kai Hamann, Caroline Lippold, Martin Guericke im Stad…
Braungebrannt, die Knöpfe des olivgrünen T-Shirts offen, schlendert Förster
Stefan Leitner alias Hardy Krüger jr. durch den Wald. Die Leine seines
Jagdhunds lässig über der Schulter, ahnt er noch nichts von dem Skandal
rund um das Forsthaus Falkenau, als eine blonde junge Frau …
Cut. Halt. Stopp! Caroline Lippold winkt ab, windet sich, geht nicht ganz
so in die Knie wie ihre Kommilitonen Kai-Birger Sünram und Kai Hamann. „Bei
Förster denken alle an Forsthaus Falkenau“, sagt Hamann, den Kopf
zurückgezogen und peinlich berührt lächelnd. Er ist in einem Forsthaus in
der Schorfheide aufgewachsen und weiß, dass Förster nicht ewig „mit Dackel
und Flinte durch den Wald streifen“. Sein Vater ist Revierförster. Er
selbst hat Forstwirt im Landesbetrieb Forst Brandenburg gelernt und
studiert nun wie Caroline Lippold und Kai-Birger Sünram im dritten Semester
Forstwirtschaft an der Hochschule Eberswalde.
Die künftige Försterin und die beiden Förster von morgen stehen mit
Dendrometer, Maßband und Zuwachsbohrer im Wald. Dendrometer bedeutet
Baummesser, sieht aus wie ein Flaschenöffner und ist so simpel wie genial.
FörsterInnen weltweit messen mit der kleinen Metallplatte am 50 Zentimeter
langen Band die Höhe von Bäumen und die Fläche der verstreut stehenden
Bäume auf einem Hektar. Caroline Lippold hält das Ende der Kordel über ihre
rechte Augenbraue, schaut dadurch in exakt 50 Zentimeter Entfernung durch
das eckige Fenster in der Metallplatte, dreht sich langsam im Kreis und
zählt alle Kiefern, deren Stamm die Aussparung im Dendrometer abdecken. Sie
zählt, rechnet und kommt auf 26,5 Quadratmeter Kiefern auf diesem Hektar.
Als zukünftige Försterin will sie wissen, wie viel Holz das ist, schätzt
die schlanken Stämme auf 22 Meter, was die beiden Kais auch sagen würden,
multipliziert Fläche mit Höhe und dem Faktor 0,5 und errechnet, dass 291,5
Kubikmeter Holz auf dem Hektar stehen. Förster sprechen von Festmeter, wenn
sie Kubikmeter meinen, und nennen das Holz am wachsenden Baum „Vorrat“, was
deutlich macht, worum es im Wald geht: um Wirtschaft.
## Das Problem beginnt im Boden
Brandenburg hat einen Riesenvorrat an Kiefernholz. Auf 70 Prozent der
Waldflächen stehen Kiefern, da sind 735.000 Hektar Forst, davon mehr als
die Hälfte „nicht standortgerechte Nadelbaum-Reinbestände“, wie das
Umweltministerium schreibt. Von Natur aus würden nördlich von Berlin Buchen
wachsen, im Süden Brandenburg Stiel- und Traubeneichen natürliche
Laubwälder bilden. Doch Generationen von Förstern haben erst
preußisch-militärisch, dann realsozialistisch Millionen Kiefern entlang von
zuvor gespannten Seilen gepflanzt. Entstanden sind artenarme
Nadelbaumplantagen, die mit Wald so viel gemein haben wie der Maisacker
nebenan. Nun bereiten sie Probleme, die die nächste Generation FörsterInnen
lösen müssen.
Das Drama in den reinen Kiefernwäldern beginnt im Boden. Die Nadeln
versauern die Böden und bilden einen Nadelteppich, der nicht verrottet und
der bei Dürre wie 2018 sich mit einem Funken entzündet und brennt. Und
sollten sich mal Ahornsamen oder gar eine Buchecker oder Eichel in den
Kiefernforst verirren, haben sie auf dem Nadelteppich kaum eine Chance, als
Saat aufzugehen.
Nur die Amerikanische Traubenkirsche wuchert in Brandenburgs Kiefernforsten
und verhindert zusätzlich die natürliche Waldentwicklung. Sie wurde schon
im 17. Jahrhundert aus Nordamerika nach Europa gebracht. Man erhoffte sich
damals einen wachstumsstarken Baum gefunden zu haben, der auch auf miesen
Böden super wächst. War aber nicht so. In Europa wächst die Amerikanische
Traubenkirsche nur als Busch – in USA wird sie bis 35 Meter hoch. Seit
einigen Jahrzehnten versucht man in Deutschland, die Amerikanische
Traubenkirsche auszurotten. Bislang vergeblich, da der Strauch sich auch
aus Wurzelresten wieder neu erschaffen kann. Mittlerweile sind 4 Prozent
der Waldfläche in Deutschland mit ihr besiedelt.
Brandenburg braucht aber dringend Laubwälder, um in trockenen und
stürmischen Zeiten des Klimawandels zu bestehen. Ohne die natürlichen
Waldökosysteme geht es nicht: Sie filtern Schadstoffe aus der Luft, bilden
und halten Grundwasser, binden CO2 in Boden und Holz und sind die Grundlage
des Lebens in der Natur. Deswegen erfreuen sie den Menschen.
„Was würden Sie hier machen?“, fragt Martin Guericke, deutet mit Armen und
nickendem Kopf in den kalten Wald und schaut Caroline Lippold, Kai-Birger
Sünram und Kai Hamann an. Guericke lehrt als Professor für Waldbau und
Waldwachstumskunde an der Hochschule Eberswalde. Mit 16 Kollegen und 2
Kolleginnen am Fachbereich Wald und Umwelt bildet er die nächste Generation
FörsterInnen aus, die aus den armseligen Nadelbaumplantagen wieder
ökologische Waldgesellschaften entwickeln müssen.
„Man denkt nicht an Ernte“, sagt Forststudent Kai Hamann bedächtig, schaut
mit langem Blick in die Tiefe des Waldes und wieder zurück zu den
rotschuppigen Stämmen neben sich. Er denkt an Durchforsten, bei Förstern
und Nachwuchs „Pflegen“ genannt. „Die Bedränger und die Scheurer
entnehmen“, empfiehlt Hamann, also die Kiefern raussägen, die in die Kronen
der vom Förster ausgesuchten Zukunftsbäume geraten und ihnen am Boden
Wasser und Nährstoffe streitig machen. „Früher hätte man die radikal
freigestellt“, sagt Hamann. „Heute dürfen sich die Kronen auch mal
verzahnen.“
## Forstwissenschaft ist keine objektive Wissenschaft wie Mathematik. Ein
Wald ist ein komplexes Ökosystem, das Förster nach ihren wirtschaftlichen
und waldbaulichen Zielen hegen. So bauen die einen Kiefernforste, pflegen
mit dem Harvester (einer Erntemaschine) und freuen sich über einzelne
Eichen und Buchen. Die anderen entwickeln artenreiche Mischwälder und
überlassen den Wald weitgehend der Natur. Der Waldbau unterliegt Ideologien
und wissenschaftlichen Annahmen, über die sich ForstwissenschaftlerInnen
unversöhnlich auf Kongressen und in unzähligen Aufsätzen bekriegen.
## Klima retten und Holz liefern
„Wir schauen, wie sich die Waldökosysteme aus sich heraus entwickeln und
welche biologischen Prozess ablaufen – die machen wir uns zu eigen, um sie
im naturnahen Waldbau einzusetzen“, sagt Guericke, der in grauer Jacke und
schwarzen Halbschuhen auf dem raureifbedeckten Waldboden steht. „Die Natur
zeigt uns, wie wir wirtschaften, mit möglichst geringem Einfluss des
Menschen und größtmöglichem Ertrag.“ Quer durch die Kiefern weist Guericke
auf schlanke und im Januar kahle Eichen, die bereits als Samenbäume zum
natürlichen Mischwald beitragen. Und auch einige Buchen haben sich
angesiedelt und zeigen, dass die Natur an dem dort eigentlich wachsenden
Buchenwald arbeitet.
„Wir streben im naturnahen Waldbau einen strukturreichen, deutlich
ungleichaltrigen Wald an“, sagt Guericke, der auch Agroforste und
Kurzumtriebsplantagen erforscht, also schnell wachsende Baumarten für die
Biomasse-Industrie. „Die Ansprüche steigen“, sagt er und meint damit sowohl
den Wald als auch seine Studierenden. Der Wald soll Natur sein, das Klima
retten und Holz liefern.
Die künftigen FörsterInnen lernen deswegen in sechs Semestern alles über
Böden, Baumarten und Betriebswirtschaft im Forstbetrieb, Waldpädagogik,
Naturschutzpolitik und das Gespräch mit der Öffentlichkeit. Obwohl sich das
Land Brandenburg in Eberswalde eine Hochschule mit Forstwirtschaftsstudium
in Bachelor- und Master-Qualität leistet, haben Caroline Lippold,
Kai-Birger Sünram und Kai Hamann im Landeswald keine Chance. Brandenburg
stellt seit Jahren nicht ein, Forstwirt-Auszubildende bekommen schon vor
der Prüfung die Kündigung.
Die AbsolventInnen aus Eberswalde mischen deswegen in anderen Bundesländern
oder bei Privatleuten den Wald auf. „Im Privatwald werde ich gutes Geld
verdienen“, sagt Sünram und klatscht die in dicken Lederhandschuhen
steckenden Hände zusammen. Er hat sich mit über 40 entschieden,
Forstwirtschaft zu studieren, ist von Hamburg nach Eberswalde ins
Studentenheim gezogen. „Jeder Eingriff muss abgewogen werden, aber ich will
ganz klassisch Holz ernten und verkaufen“, sagt er.
In seinem vorherigen Beruf war er Schauspieler und im Netz finden sich jede
Menge Filme mit ihm. Die Rolle des Försters war bislang nicht dabei.
1 Feb 2019
## AUTOREN
Ulrike Fokken
## TAGS
Naturschutz
Brandenburg
Bahnreform
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