| # taz.de -- Evangelikaler Missionar in Indien getötet: Mission made possible | |
| > Trotz Verbot und Warnungen wollte er isoliert Lebende missionieren. John | |
| > Allen Chau war Teil eines evangelikalen Netzwerks. | |
| Bild: Der Evangelikale John Allen Chau wurde beim Versuch, Insulaner zu mission… | |
| New York taz | John Allen Chau ging vergangenen November an Land auf die | |
| North Sentinel Insel im Indischen Ozean, die Bewohner töteten ihn mit | |
| Pfeilen. Er war allein, aber hinter dem 26-jährigen selbst erklärten | |
| Missionar, der eine der letzten Gesellschaften von Jägern und Sammlern zu | |
| seinem Glauben bekehren wollte, stand ein breit gefächertes [1][Netzwerk | |
| evangelikaler Christen] in den USA. Diese Hintermänner und -frauen geben | |
| seit seinem mutmaßlichen Tod Mitte November keine Interviews. Gegenüber | |
| ihren Anhängern freilich haben sie längst damit begonnen, Chau zu einem | |
| Märtyrer zu machen. | |
| „Er war ein großartiger junger Mann“, schwärmte William Wilson, Präsident | |
| der evangelikalen Oral Roberts Universität in Tulsa/Oaklahoma, in seiner | |
| diesjährigen Weihnachtsansprache von seinem Absolventen. Hunderte von | |
| Studierenden hielten brennende Kerzen in Händen, während Wilson von ihrem | |
| toten Ex-Kommilitonen Chau als Vorbild sprach und versicherte: „Seine | |
| Mission war nicht sinnlos, wie es die Kritiker in den warmen Bürostuben | |
| mehrheitlich sterbender Kirchen behaupten. John hat versucht, die Liebe | |
| Jesu in eine der dunkelsten Ecken der Erde zu tragen.“ | |
| Auch bei der Missionsorganisation „All Nations“ in Kansas City/Missouri, wo | |
| sich Chau zum Missionar ausbilden ließ, wird er posthum verehrt. In einer | |
| Hommage auf der Webseite lobt die Chefin der Organisation, Mary Ho, die | |
| Bereitschaft von Chau, „Gottes Liebe mit den Sentinelesen zu teilen“. | |
| Dass dies nicht auf Gegenliebe der Insulaner stoßen würde, war Chau klar. | |
| Kurz vor seinem Tod nämlich nahm er an einem „Boot Camp“ von „All Nation… | |
| teil, um sich für Extremsituationen vorzubereiten. Dabei wurden die | |
| Teilnehmer in ein Trainingsdorf in Kansas geführt, dessen „Bewohner“ | |
| unverständliches Kauderwelsch sprachen und die Eindringlinge mit Pfeilen | |
| beschossen. | |
| ## Aktion war illegal, unerwünscht und gefährlich | |
| Chau lernte, sich mit einer Zange selbst Pfeile aus dem Körper zu ziehen. | |
| Die Ausbilder betrachteten ihn als einen ihrer besten Kursabsolventen. Bei | |
| einer anderen evangelikalen Gruppe, dem auf Übersetzungen spezialisierten | |
| „Summer Institute of Linguistics“ (SIL) in Britisch Columbia/Kanada bemühte | |
| sich Chau, die Bibel in die Sprache der Sentinelesen zu übersetzen – ein | |
| Idiom, das allerdings schon den Bewohnern der Nachbarinseln unverständlich | |
| ist. | |
| Mitte November, als Chau sich der Insel von der Größe Manhattans mit einem | |
| Kajak näherte, rief er den am Ufer stehenden Menschen vom Wasser aus auf | |
| Englisch zu: „Ich liebe euch. Und Jesus liebt euch auch.“ Ein Insulaner | |
| schoss einen Pfeil auf ihn, der in Chaus Bibel stecken blieb. Andere | |
| Insulaner hätten gelacht, berichtete Chau anschließend in einem letzten | |
| Brief an seine Familie. Er schrieb auch, dass er nicht sterben wolle. | |
| Dennoch ließ er sich tags drauf erneut von Fischern in die Nähe der Insel | |
| bringen und schwamm von ihrem Boot aus an den Strand und in seinen Tod. | |
| Chau wusste, dass seine Aktion illegal, unerwünscht und gefährlich war. Die | |
| indischen Behörden verbieten Außenstehenden den Zugang zu der Insel, um die | |
| Bewohner vor ansteckenden Krankheiten zu schützen, gegen die sie keine | |
| Widerstandskräfte haben. Und die Sentinelesen selbst haben ihre Ablehnung | |
| gegen Eindringlinge immer wieder mit tödlichen Pfeilen deutlich gemacht. | |
| ## Missionare finanzieren sich durch Spenden | |
| Ron Free sagt dazu: „Wer von Gott aufgefordert wird, zu einem dieser Orte | |
| zu gehen, hat eine Verpflichtung, es zu tun.“ Der 73-jährige wiedergeborene | |
| Christ hat Chau nicht persönlich gekannt, aber er teilt dessen | |
| missionarischen Eifer. Chau habe „sehr mutig“ gehandelt und sei für einen | |
| „guten Zweck“ gestorben, ist Free überzeugt. | |
| Free war als Geologe im Goldbergbau in Südafrika tätig. Als er den Job | |
| verlor, machte er eine Ausbildung zum Missionar bei der evangelikalen | |
| Gruppe „Youth with a Mission“ (YWAM). Dann zog er mit Frau und Sohn in den | |
| vom Bürgerkrieg zerstörten Norden Mosambiks. Er verteilte Milchpulver an | |
| junge Mütter, organisierte Veranstaltungen mit Tausenden Teilnehmern und | |
| blieb zwölf Jahre. Wie die meisten evangelikalen Missionare finanzierte er | |
| sich mithilfe von Spenden – in seinem Fall waren es drei Kirchengemeinden | |
| sowie Privatpersonen in den USA. Im Gegenzug schickte er seinen Geldgebern | |
| monatliche Berichte. | |
| Free sieht ein riesiges Feld für Missionare – nicht nur in Afrika und | |
| Asien, sondern auch in Europa. Frankreich erscheint ihm besonders | |
| attraktiv: „Weil es dort nur 4 Prozent wiedergeborene Christen gibt“. Dem | |
| Vorwurf der Intoleranz gegenüber anderen Religionen und Kulturen | |
| widerspricht Free. Er würde das Evangelium ja niemanden einprügeln, sondern | |
| lediglich darüber aufklären. Damit helfe er, denn „erlöst“ könne nur | |
| werden, wer Jesus Christus kenne. | |
| ## Mischung aus „Abenteuerlust“ und spirituellem Antrieb | |
| Der tote Chau und der in die USA zurückgekehrte Free, der seinen | |
| Lebensunterhalt jetzt als Schulbusfahrer finanziert, weil er keine Rente | |
| bekommt, gehören zu einer [2][schnell wachsenden Bewegung]. Missionierung | |
| ist Teil des amerikanischen Mythos. Doch statt der 57.000 in den 1970er | |
| Jahren sind heute 130.000 Vollzeitmissionare aus den USA international | |
| unterwegs. Sie stellen die stärkste Gruppe unter den weltweit 400.000 | |
| Vollzeitmissionaren, gefolgt von den Brasilianern. | |
| Während sich die traditionellen Kirchen – Katholiken, Lutheraner, | |
| Methodisten – zurückziehen, entsenden Mormonen, gefolgt von den Baptisten, | |
| den Pfingstlern und anderen evangelikalen Konfessionen, immer mehr | |
| Missionare. Noch stärker als die Hauptberuflichen sind weltweit die | |
| Teilzeitmissionare aus den USA vertreten. Sie bleiben nicht länger als zwei | |
| Jahre und manchmal auch nur ein paar Wochen lang vor Ort. | |
| Religionshistorikerin Kathryn Long erklärt das Phänomen mit einer Mischung | |
| aus „Abenteuerlust“ und spirituellem Antrieb. „Manche Leute machen | |
| Ökotourismus“, sagt sie, „andere missionieren.“ | |
| Im Web und in Veröffentlichungen für das evangelikale Publikum in den USA | |
| gibt es Onlinekurse, Boot-Camps und Schnuppermissionen. Die Gruppe | |
| „GlobalFrontier Mission“ sucht nach „abenteuerlustigen, unternehmerischen | |
| und von Pioniergeist beseelten“ Kandidaten. Jenen, die nicht selbst | |
| losziehen wollen, schlagen evangelikale Organisationen vor, Geld zu | |
| spenden, um ihren biblischen Missionsauftrag zu erfüllen. | |
| ## Ein hässlicher Amerikaner? | |
| Chau kam über das „Joshua Project“ zu seiner „Berufung“. Die evangelik… | |
| Organisation führt eine Liste von „Unreached People Groups“ (nicht | |
| erreichte Volksgruppen), die sie bekehren wollen. Gegenwärtig listet das | |
| „Joshua Project“ drei Milliarden Menschen aus 7.063 Gruppen auf – dazu | |
| zählen so kleine wie die geschätzt mehreren Dutzend Sentinelesen und so | |
| große wie Hindus, Muslime und Buddhisten. Nachdem Chau die Sentinelesen für | |
| sich entdeckte, als er 16 war, wurde die Idee, ihnen das Wort Gottes zu | |
| bringen, sein Leitmotiv. | |
| Er dokumentierte seine Vorbereitung mit Wanderungen, Schwimmen, Paddeln und | |
| Tauchen auf einem Blog. Zusätzlich unternahm er kürzere missionarische | |
| Trips in den Irak und nach Südafrika. Liberale Christen in den USA haben | |
| Chau posthum als „Spinner“, „hässlichen Amerikaner“ und | |
| „Kulturimperialisten“ bezeichnet. Aber die Infrastruktur von | |
| konkurrierenden evangelikalen Organisationen in den USA ist inzwischen so | |
| dicht, dass Missionare wie Chau sicher sein können, auch in Zukunft die | |
| nötige Unterstützung zu finden. | |
| In der Geschichte des Christentums ist das nicht neu. Todd Johnson vom | |
| Center of the Global Study of Christianism in Boston, der den „Atlas of | |
| Global Christianity“ herausgibt, verweist darauf, dass es Missionare waren, | |
| die das Christentum verbreitet haben. „Auch Deutschland wurde erst durch | |
| Missionare christlich“, sagt er. | |
| ## Nicht alle Evangelikale finden Chaus Aktion gut | |
| Am Fuller Seminar in Kalifornien, der größten evangelikalen Universität der | |
| Welt, die „Missiologie“ als Studienfach hat und außerehelichen Sex | |
| verbietet, ist ein Anthropologe unglücklich über Chaus tödliche Mission. | |
| Professor Dan Shaw, der vor vier Jahrzehnten selbst bei einer „unerreichten | |
| Volksgruppe“ in Papua-Neuguinea lebte, um mithilfe des SIL eine Bibel zu | |
| übersetzen, kritisiert heute das Vorgehen des jungen Missionars: weil der | |
| trotz Verbots auf die Insel gegangen sei; weil er die Fischer bestochen | |
| habe, ihn in die Nähe der Insel zu bringen; weil er keine christlichen | |
| Partner auf den Nachbarinseln hatte und weil seine Aktion das Leben | |
| künftiger Missionare in Indien erschwere. | |
| „All das wird die Isolation der Sentinelesen verstärken“, beklagt Shaw. | |
| Aber grundsätzliche Kritik am Missionieren hat er nicht. Er will es | |
| lediglich anders und besser machen. „Wir brauchen ein New Age beim | |
| Missionieren“, sagt der evangelikale Anthropologe, „denn die Erfolge | |
| unserer Bewegung sind insbesondere in islamischen, buddhistischen und | |
| hinduistischen Regionen begrenzt.“ | |
| 2 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dorothea Hahn | |
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