# taz.de -- Die Autistin und ihre Puppe: Irgendwie so komisch | |
> Eine Künstlerin mit Asperger-Syndrom und ihre „rotzfreche“ Puppe“ bahn… | |
> sich einen Weg in die Öffentlichkeit. Für Outsider Art gibt es sonst kaum | |
> Nischen. | |
Bild: Sehen sich verdammt ähnlich: Christine Denck und ihr Kunstprojekt | |
Seit Christine Denck 41 ist, weiß sie, dass sie Autistin ist. | |
Asperger-Syndrom. „Wrong Planet Syndrom“ nennt man das auch. „Und das | |
trifft es sehr gut – immer irgendwie falsch fühlen“, sagt sie. Christine | |
Denck, die nicht gern mit fremden Menschen redet, nicht gern telefoniert, | |
nie friert, immer nach Anerkennung suchte und sie selten fand, immer wieder | |
Jobs verlor, weil ihre Kommunikation „irgendwie so komisch“ ist. | |
Mit Christine Denck reden, heißt viel fragen und lange zuhören. Sie stockt, | |
überlegt lange, manche Sätze verlieren sich, andere sind gestochen scharf | |
formuliert. Früher sei sie total schweigsam gewesen. Aufgewachsen in einem | |
unterfränkischen Dorf, anders als die anderen Mädchen. Sie kann nicht | |
verstehen, warum niemand so tickt wie sie. Ihre Wahrnehmung sei anders, | |
ihre Art zu denken. Schon als Jugendliche ist sie depressiv. „Weil ich | |
unterbewusst so viel unterdrücken musste, um halbwegs mit dem Strom | |
schwimmen zu können.“ Ein Anpassungsdruck, der nicht nur, aber gerade auch | |
Autisten, krank mache. Vor allem in der Zeit ohne Diagnose. | |
Nach der Schule arbeitet Denck mit Holz und ist gut darin. „Ich lerne | |
ziemlich schnell“, sagt sie. Perfektion und Präzision – auch das ist | |
typisch für das Asperger-Syndrom, von dem sie damals noch nichts weiß. Doch | |
aus jeder Firma fliegt sie raus. Sie, die kaum redet, und wenn, dann | |
Klartext, ist „schlecht fürs Betriebsklima“. Sie wirke arrogant, ihre | |
schwache Mimik verunsichert andere, der schräge Humor auch. Denck hat etwas | |
Unnahbares und sucht doch vor allem nach einem: akzeptiert zu werden. | |
## Kunst, um zu überleben | |
Aus Franken flieht sie nach Berlin, ist wohnungslos, schläft bei Bekannten, | |
in besetzten Häusern – „aber auch die wollten mich nicht“. Immer nur | |
kommunizieren, und „kommunikativ war ich eben nicht“. Mit Ende zwanzig wird | |
sie Mutter, die Beziehung mit einem Maler scheitert. Für ihn ist sie Muse, | |
aber Denck will selbst Kunst machen. Vielleicht muss sie es auch, um zu | |
überleben. | |
Sie macht eine Ausbildung zur Film- und Videoeditorin, dreht Filme, die auf | |
Festivals laufen und Preise gewinnen. Fotografieren wird einer ihrer | |
Lebensinhalte. Viele der Negative liegen immer noch in der Wohnung herum, | |
das Geld für die Entwicklung fehlt. „Ich komme irgendwie nicht an, ich weiß | |
nicht, wo mein Platz ist“, sagt Denck. Manchmal erdrücke sie die | |
Einsamkeit. „Wie muss man sein, um akzeptiert zu werden?“, ist eine Frage, | |
die ihr Leben bestimmt. Und ihre Kunst. | |
Für KünstlerInnen wie Christine Denck hat die Kunstwelt ein Wort: Outsider. | |
Nun kann man ein Außenseiter sein in der Kunst, in gewisser Weise ist das | |
sogar eine Eintrittspforte. Aber, und hier wird es schwierig für Menschen | |
mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen, man muss sich als solcher | |
vermarkten können, die Spielregeln des etablierten Kunstbetriebs bedienen. | |
Gerade auch für Menschen mit Störungen aus dem Autismus-Spektrum ist es | |
schwer, nach außen zu treten. | |
Einer, der es ihnen leichter machen will, ist Volker Elsen. Sein Verein | |
[1][Akku e. V.] fördert KünstlerInnen mit Autismus. Deren Spektrum ist so | |
groß wie das des Autismus. Menschen, die in Einrichtungen leben und auf | |
Betreuung angewiesen sind, und solche, die eben nur „irgendwie so komisch“ | |
sind. Sie schreiben melancholische Gedichte wie die Bielefelderin Karita | |
Guzik, malen lebensfrohe Wimmelbilder wie der Berliner Till Kalischer, | |
zeichnen geometrische Reiseberichte wie Konrad H. Giebeler oder schaffen | |
bizarr-befremdliche Objekte aus den widerspenstigsten Materialien wie | |
Marina Sonnenberg aus Teterow. Es gibt Themen, die wiederkehren: | |
Informations-Overload, Wiederholung, Stereotype, Lichtwahrnehmungen, | |
Depression. | |
„Aber die Frage, was autistisch ist an dieser Kunst, interessiert mich gar | |
nicht“, sagt Elsen, im Hauptberuf Gestalter. Sein älterer Bruder bekam in | |
den 1970ern die Diagnose frühkindlicher Autismus. Auf Endlospapier | |
zeichnete er, auch in Öl, ein umfangreiches Werk. Elsen wollte wissen, ob | |
es noch mehr Kunstschaffende wie seinen Bruder gibt, und wandte sich an den | |
Interessenverband „Autismus in Deutschland“. Er wurde fündig. 183 | |
KünstlerInnen stellten 2010 in der documenta-Halle in Kassel bei „Ich sehe | |
was, was Du nicht siehst“ aus. 7.000 BesucherInnen in 3 Wochen, die erste | |
Gruppenausstellung dieser Größe in Deutschland. | |
## Nischen für die Außenseiterkunst | |
Für viele der ausstellenden KünstlerInnen sei es eine besondere Erfahrung | |
gewesen, so sichtbar zu sein, erzählt Elsen. Manche entwickelten sich | |
fortan von selbst nach außen. Nur das Verhalten der etablierten Kunstszene | |
bleibt despektierlich. „Diese Kunst wird nicht einfach so in der Kunstwelt | |
aufgehen“, sagt Elsen. Das sei vielleicht mal schick und bleibe ansonsten | |
der Initiative Einzelner vorbehalten. Wie in Berlin die Ausstellungsreihe | |
„Secret Universe“ im Hamburger Bahnhof vor einigen Jahren, die kleine | |
Galerie für Outsiderkunst [2][Art Cru] in der Oranienburger Straße oder die | |
Kunstwerkstätten der gemeinnützigen Träger [3][Mosaik] und [4][Thikwa] in | |
Spandau und Kreuzberg. | |
Der [5][Verein Außenseiterkunst] für Berlin kämpft seit 2013 um ein eigenes | |
Haus für die Außenseiterkunst. Doch der Plan, im Maschinenhaus am Schloss | |
Charlottenburg zunächst Ausstellungen der international bekannten | |
Heidelberger [6][Prinzhorn-Sammlung] von Psychatrieerfahrenen zu zeigen und | |
dann eine eigene Sammlung aufzubauen, musste jüngst auf Eis gelegt werden – | |
aus finanziellen Gründen und weil das Haus nun doch nicht zur Verfügung | |
steht. | |
Christine Denck, auch seit Jahren beim Verein Akku vernetzt, hat mit ihrem | |
aktuellen Kunstprojekt einen Weg nach außen gefunden. „Al Terego“ ist eine | |
Marionette und sehr aktiv in den sozialen Medien. „Sie ist rotzfrech und | |
hat mich rausgeholt aus meiner Depression“, sagt Denck. | |
Weiterlesen: [7][“Ich habe ein Herz aus Pflaume“] (Interview mit Al Terego) | |
28 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.akku-ev.org/home.php | |
[2] http://www.art-cru.de/ | |
[3] https://www.mosaik-berlin.de/kunden-auftraggeber/branchen/kunstwerkstatt/ | |
[4] http://thikwa.de/werkstatt/index.html | |
[5] http://www.aussenseiterkunst-berlin.de/ | |
[6] https://prinzhorn.ukl-hd.de/index.php?id=84 | |
[7] /Interview-mit-einer-Puppe/!5565173 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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