# taz.de -- Interview mit einer Puppe: „Ich habe ein Herz aus Pflaume“ | |
> Alphonsine Terego, genannt Al, ist 52, Supermodel und Influencerin. Sie | |
> war ein kleiner Star im Internet – bis Facebook ihr Profil löschte. | |
Bild: Al Terego hat „mega Augen“ | |
Alphonsine Terego, genannt Al, ist 52, Supermodel und Influencerin. Sie war | |
ein kleiner Star im Internet – bis Facebook ihr Profil löschte. Nun will | |
sie alles tun, um wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu kommen. Die | |
Künstlerin [1][Christine Denck], der Alphonsine ihre Existenz verdankt, sei | |
dafür keine gute Ansprechpartnerin, findet Al: „Sie ist eher | |
menschenscheu“. | |
taz: Frau Terego, möchten Sie überhaupt so genannt werden? | |
Al Terego: Ich heiße Alphonsine Terego, du kannst aber auch Al zu mir | |
sagen. | |
Ähm, also duzen wir uns gleich? | |
Unbedingt. „Sie“ ist eine Beleidigung. Das sage ich nur zu jemandem, vor | |
dem ich Respekt habe. Und das meine ich negativ. | |
Also eher Angst? | |
So was Ähnliches. Vor mir braucht jedenfalls niemand Angst zu haben, ich | |
bin harmlos. | |
Dann also „du“. Kannst du dich einfach noch mal kurz vorstellen? | |
Ich bin 52 Jahre alt und komme aus der Prignitz. Dort ist mein Baum | |
aufgewachsen, an so’nem Bach. Ein Sturm hat ihn dahingerafft und dann kam | |
Christine und hat eine wunderschöne Marionette daraus geschnitzt. | |
Kannst du beschreiben, wie du aussiehst? | |
Ich bin groß, schlank, habe eine tolle Figur und wunderschöne Haare. Ganz | |
rote Locken. Und mega Augen natürlich. | |
Wie wichtig ist dir dein Aussehen? | |
Das ist doch jedem wichtig. | |
Manche würden auch sagen, die inneren Werte zählen. | |
Ich habe ein Herz aus Pflaume. | |
Aber es ist dir besonders wichtig, schön zu sein. | |
Ich bin schön, findest du etwa nicht? | |
Doch sicher. Du zeigst dich ja auch gern, vor allem im Internet. Was suchst | |
du denn da? | |
Beifall natürlich. Ich möchte, dass die Leute mich mögen. | |
Für dein Äußeres? | |
Mein Inneres kennen sie ja noch nicht. Dafür müssen sie sich mit mir | |
befreunden. | |
Wie viele Freunde hast du denn? | |
Oh, ich hatte 2.500 Freunde. Aus der ganzen Welt, Brasilien, China, | |
Russland, Amerika. Aber Facebook hat mein Profil ge-x-t. Ich habe fast alle | |
verloren. | |
Warum denn das? | |
Weil Facebook findet, ich bin nicht real. Das ist furchtbar. | |
Wofür brauchtest du all diese Freunde? | |
Ich muss lernen. Ich weiß ja nichts über die Menschen. | |
Kann das dir nicht Christine erklären, die hat dich doch geschnitzt? | |
Die checkt das doch selber nicht. Die ist da wirklich keine gute | |
Ansprechpartnerin. Ich muss rausfinden, wo der Hase langläuft, und dann | |
kann ich ihr das verklickern. | |
Christine hat eine Störung aus dem Autismus-Spektrum. Hast du das auch? | |
Nee, ich doch nicht. Ich bin nur ein bisschen anders, ich bin halt aus | |
Holz. | |
Dich kann man nicht so leicht verletzen? | |
Doch, das geht schon auch. Aber ich habe keine Angst vor der Welt. Ich will | |
da raus. | |
Wie würdest du dein Wesen beschreiben? | |
Freundlich, offen, etwas frech, neugierig. | |
Ist dir klar, dass du eigentlich eine Puppe bist? | |
Ja. Aber eine tolle Puppe. | |
Ohne Christine kannst du gar nichts machen. | |
Ich kann leider nicht laufen, das muss Christine für mich machen. | |
Wie ist die so? | |
Sie sieht mir recht ähnlich, in manchen Dingen ticken wir auch ähnlich. | |
Hat sie auch 2.500 Facebook-Freunde? | |
Nein, überhaupt nicht. Man kann schon sagen, sie ist eher menschenscheu. | |
Sie schaut immer so ernst. Das sagen die Leute auch über mich. Ich bin aber | |
sehr fröhlich. | |
Du posierst in schönen Kleidern, in Dessous. Wirst du damit nicht Teil | |
einer Verwertungsgesellschaft? | |
Was soll das denn heißen? | |
Teil einer Welt, in der es vor allem um die Vermarktung von Äußerlichkeiten | |
geht. | |
Das machen doch alle so. Ich mache es so wie die anderen. | |
Du findest es also gut, wenn die Menschen ihr Leben bei Facebook und | |
Instagram zur Schau stellen? | |
Mich gibt es erst dadurch. Ich kann hier allein an meinem Faden hängen. | |
Aber da sieht mich ja keiner, da werde ich nicht wahrgenommen. Also bin ich | |
nicht. | |
Glaubst du wirklich, dass man im Internet echte Freunde findet? | |
Warum nicht? | |
Man zeigt ja dort nur, was man zeigen will. Es ist wie eine Rolle, die man | |
spielt. | |
Du meinst, das ist gar nicht echt? | |
Ich würde sagen, es ist so, wie die Menschen gern gesehen werden wollen. | |
Aber nicht unbedingt, wie sie sind. | |
Also ich bin so. | |
Was ist dein Ziel? | |
Ich bin noch ganz jung und ich will mich entwickeln. Dafür schaue ich, was | |
gut ankommt. | |
Du entwickelst dich, indem du schaust, was gut ankommt? | |
Ja. | |
Nicht indem du schaust, was dir gefällt, sondern indem du guckst, wie die | |
anderen reagieren? | |
Wenn etwas gut ankommt, dann gefällt mir das. | |
Erzähl doch mal ein bisschen über deine Erfahrungen, die du im Internet | |
gesammelt hast. | |
Ach, jetzt mach ich ja überhaupt keine Erfahrungen mehr, es redet ja keiner | |
mehr mit mir. | |
Dann lass uns über die Zeit reden, in der du ein kleiner Star warst. | |
An meinem Geburtstag hatte ich 60 Glückwünsche. Von ganz vielen Leuten – | |
aus der ganzen Welt. Ich habe viele klasse Tipps bekommen, zum Beispiel, | |
dass ich in die Natur rausgehen soll. Und dann habe ich das gemacht. | |
Wunderschöne Fotos. Auch die Männer fahren auf mich ab. Ich habe schon in | |
der ersten Woche einen Heiratsantrag bekommen. Und ganz viele Einladungen. | |
Echt wahr. | |
Du zeigst dich ja auch recht freizügig. | |
So machen das die anderen doch auch. Wenn ich andere Bilder sehe, auch die | |
Mädels. Die machen das genau so. Manche meiner Freunde haben mir aber auch | |
gesagt, dass ich nicht mehr so freizügig sein soll. Seitdem mache ich das | |
anders. Der künstlerische Anspruch steht jetzt im Vordergrund. Ich lerne ja | |
noch. | |
Was sind deine nächsten Schritte, um wieder mehr in die Öffentlichkeit zu | |
kommen? | |
Es gibt viele Fotoanfragen, ich werde also weiter Shootings machen. Ich | |
versuche natürlich auch, meinen Facebook-Account wiederzubekommen. Und im | |
März habe ich vielleicht meine erste eigene Ausstellung. | |
Und dann? | |
Ich will ein Superstar werden, ich bin einfach toll und damit werde ich | |
ganz groß rauskommen. | |
Woher nimmst du denn die Gewissheit, dass du so toll bist? | |
Guck mich doch mal an! | |
Es gibt auch Menschen, die toll aussehen, sich aber nicht toll finden. | |
Vielleicht sagt denen einfach niemand, dass sie toll sind. | |
Du denkst, wenn man den Leuten mehr sagen würde, dass sie toll sind, dann | |
würden sie sich auch toller fühlen? | |
Na klar. Ich fühle mich ja auch toller, wenn mir das jemand sagt. Ich habe | |
das auch schon oft gehört. Schon ganz oft. | |
Können die anderen auch etwas von dir lernen? | |
Natürlich, ich bin ein Influencer. | |
Ein was? | |
Ich beeinflusse andere. Ich zeige, was krass schön ist und angesagt. | |
Ah, und was ist gerade schön und angesagt? | |
Spaß haben, mit Leuten zusammen kommen, die Sau rauslassen, zu sich finden | |
… | |
Hast du auch Hobbys? | |
Ich geh total gern shoppen, das mache ich am allerliebsten. Und ich steh | |
auf Fotos, ich liebe Selfies. Und neulich habe ich festgestellt, wie geil | |
Kanu fahren ist. | |
Und das aber alles nur, wenn auch jemand zuschaut? | |
Ich will doch, dass meine Freunde sehen, dass es mir gut geht. | |
Zeigst du dich nur, wenn du fröhlich bist oder auch, wenn du mal traurig | |
bist? | |
Früher haben mich dann meine Freunde getröstet. Das hat mir natürlich | |
geholfen. | |
Glaubst du, das ist die Lösung für Leute, die sich nicht so gut fühlen: | |
einfach ins Internet gehen, sich mehr zeigen und dafür gemocht werden? | |
Also bei mir schon. | |
Funktioniert das auch für Christine? | |
Die ist doch selbst dauernd im Netz unterwegs, aber sie ist einfach zu | |
schüchtern. Die traut sich ja nicht mal eine Freundschaftsanfrage zu | |
verschicken. | |
Findet Christine eigentlich alles toll, was du so im Internet treibst? | |
In anderen Parallel-Universen würde sie wahrscheinlich auch so abgefahrenes | |
Zeug machen wie ich. Wäre ja ’ne mögliche Realität. Und wenn wir mal einer | |
Meinung sind, bin ich die, die es laut sagt. Das findet sie cool, so kommt | |
sie nämlich auch zu Wort. | |
Welche Erfahrungen willst du gern noch sammeln? | |
Ich will auf die Bühne und zu Youtube, aber da sträubt sich Christine noch. | |
…ist sie auf dem Weg zum Star nicht eh ein Hindernis? Sie ist ja eher | |
verschlossen. | |
Es geht aber nur mit Ihr. Ich kann’s nicht alleine. | |
Du könntest dir jemand anderen suchen. | |
Den müsste ich erst einmal finden, und das in der Welt außerhalb des | |
Internets, Christine kenne ich schon so gut. | |
Magst du Christine? Und mag sie dich? | |
Sie weiß, dass ich ein Teil von ihr bin. Also gibt sie sich zumindest Mühe. | |
Glaubst du, dass in jedem ein Teil steckt, der raus auf die Bühne will? | |
Na klar! Bei mir ist dieser Teil jedenfalls gigantisch. | |
28 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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