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# taz.de -- Roman „Gegen die Träume“: Mersijas Augen
> Auslenda im Wirtschaftswunderland: In seinem Debüt „Gegen die Träume“
> erzählt Sead Husić kraftvoll von den „Jugos“ in der Bundesrepublik.
Bild: Die Skulptur „Der Ausländer“ steht symbolisch für den ersten Gastar…
Der Journalist, Werbetexter und nun auch Schriftsteller Sead Husić ist das,
was man auch fünfzig Jahre nach Beginn der jugoslawischen Einwanderung nach
Westdeutschland manchmal noch als Gastarbeiterkind bezeichnet.
Sein literarisches Debüt „Gegen die Träume“ ist aber kein typischer
Gastarbeiterroman. Es ist kein Drama über verlorene alte Heimat und
Schwierigkeiten beim Einfinden in die neue. Es ist etwas viel Besseres:
eine hyperrealistische und schonungslose, zugleich aber auch empathische
und liebevolle Darstellung des Lebens dieser Arbeitsmigranten, die seit dem
Anwerbeabkommen von 1968 in die Bundesrepublik gekommen sind, und zwar aus
deren Sicht.
Liebe und Hass, Freundschaft und Feindschaft, Erfolg und Misserfolg, Glück
und Unglück, Vorurteil und Verständnis – das alles ist bei diesem Autor nie
weit voneinander entfernt. Weder idealisiert noch verteufelt er die
Verhältnisse im sozialistischen Herkunftsland, und die im vom
Wirtschaftswunder geprägten Aufnahmeland Bundesrepublik auch nicht.
„Gegen die Träume“ dreht sich vielmehr ums Abreisen und Ankommen, um das
nicht immer konfliktfreie Verhältnis zwischen Einheimischen und
Zuwanderern, um Sex, um Gewalt zwischen Erwachsenen – und gegen Frauen und
Kinder. Die „Auslenda“ und die Deutschen beschreibt Husić dabei so
kraftvoll und plastisch, dass sie immer Menschen bleiben, die Hoffnungen
haben und letztendlich alle von einem besseren Leben träumen.
Der Roman ist aus weiblicher Perspektive geschrieben. Seine Hauptperson
heißt Mersija, ihre balkanische Heimatstadt hat sie verlassen, weil sie
Angst hatte, dass sie zum selben Schicksal verdammt sein könnte wie ihre
Mutter Saliha, die als Kind mit Ahmed verheiratet wurde, dem
„Großversager“, der sein ererbtes Vermögen mit Glücksspiel und einer Hure
verprasst hat. Die Geschichte von Mersjias Eltern und vor allem ihres
Vaters unterbricht Mersijas eigene Geschichte im Roman, so wie deren Folgen
Mersijas Leben durchbrechen.
## Auch das Herkunftsland verändert sich
Durch Mersijas Augen lernen wir ihren lügenden und fremdgehenden Mann Muso
kennen, den gemeinsamen Sohn Adem und dessen deutschen besten Freund Ralph,
dessen Mutter Christine, die lebenslustige Nada, die ihren vor Liebe
blinden Mann Sava mit dem reichen deutschen Hotelbesitzer Bernd betrügt,
„Frau Schmidt“, eine Vertriebene aus Böhmen und pensionierte Ärztin, Adems
und Ralphs Schulkameradin Svetlana, ihre Mutter Mira und deren sadistischen
Mann Kadrija.
Husićs Romanhelden sind aus Bosnien, Serbien, dem Kosovo – ärmeren Teilen
der damaligen jugoslawischen Föderation – ins westdeutschen
Wirtschaftswunderland gekommen. Dort ist die alte Heimat einerseits immer
präsent; andererseits merken die „Jugos“ in Deutschland nicht, dass sich
ihr Herkunftsland im Verlauf der 1980er rasend verändert. Sozialismus und
Kapitalismus, Islam und Christentum, Alkohol, Glücksspiel, Betrug,
Brandstiftung, Mord, Selbstmord und Krieg: Husić lässt die Jahrzehnte
lebendig werden durch die Menschen, die er eindringlich beschreibt.
Dass die Personen in „Gegen die Träume“ oft nur angeschnitten werden, ist
Mersijas Perspektive geschuldet: Wir LeserInnen lernen so viel wie sie über
die Menschen, denen Husićs Heldin begegnet. Erst spät erfahren wir, dass
Adems Großvater als Kind dem „Šjetan“, wie die Muslime den Satan nennen,
begegnet ist. Trotz dieses Fluches hat er die Hoffnung auf ein gutes Leben
erst als reifer Mann aufgegeben.
Sein Enkel Adem ist dem Opa nie begegnet. Er hatte dagegen schon „immer
gewusst, dass es keine gute Zukunft geben würde“ für seine Eltern und die
anderen „Jugos“; „dafür hatten sie sich zu viel vorgenommen. […] Sie w…
für ihre Träume nicht bestimmt gewesen, und weil sie das nicht wussten,
liefen sie in ihr Verderben.“ Die Ablehnung des Traums vom besseren Leben
wird Adems Mantra.
Traunstein, der Ort, in dem der Autor aufwuchs, taucht nur einmal auf.
Nicht nur das zeigt, dass „Gegen die Träume“ keine Autobiografie ist. Husi…
schöpft aus eigenen Erfahrungen; aber er bleibt nicht an ihnen hängen.
19 Jan 2019
## AUTOREN
Rüdiger Rossig
## TAGS
Sead Husić
Gastarbeiter
Ex-Jugoslawien
Literatur
Kroatien
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