# taz.de -- Ärztin über Seenotrettung im Mittelmeer: „Sie waren unglaublich… | |
> Die Ärztin Nicole Grimske erzählt von ihrem Hilfseinsatz im Mittelmeer, | |
> von emotionalen Momenten an Bord und der Schwierigkeit, einen Hafen zu | |
> finden. | |
Bild: Engagiert sich aus Empathie: Internistin Nicole Grimske | |
taz: Frau Grimske, Sie waren gerade mit einem Rettungsschiff auf dem | |
Mittelmeer unterwegs. Wie war’ s? | |
Nicole Grimske: Auf der einen Seite war es gut, wir waren mit der | |
„Professor Albrecht Penck“ auf ihrer ersten Mission unterwegs. Es war für | |
mich ein ganz toller Moment, als klar war: Ja, wir können wirklich | |
losfahren! Aber es war genauso frustrierend zu sehen, dass die Kritiker | |
unserer Aktion sich was haben einfallen lassen, um uns am Ende wieder zu | |
blockieren. | |
Was ist denn passiert? | |
Wir mussten etwas über eine Woche warten, bis es eine | |
Unterbringungsmöglichkeit für die aufgenommenen Flüchtlinge gab – damit | |
hatten wir gerechnet. Aber auch danach durften wir als Mannschaft nicht von | |
Bord gehen. Wir durften in Malta nicht in den Hafen einlaufen. Nur die | |
Crew-Mitglieder, die dringend nach Hause mussten, durften nach langem Hin | |
und Her an Land gehen. Das Schiff ist noch immer unterwegs, es hat noch | |
keinen Hafen. | |
Ist dann nicht auch irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Vorräte | |
aufgebraucht sind? | |
Schon während die Flüchtlinge noch an Bord waren, hatten wir nur noch wenig | |
Frischwasser und die Lebensmittel gingen langsam aus. Da haben wir dann | |
eine Versorgungslieferung bekommen. Aber zu dem Zeitpunkt, als die Gäste | |
nicht mehr an Bord waren, waren wir ja wieder ein ganz normales Schiff und | |
durften trotzdem nicht anlegen. Es gab keine Erklärung dafür, es war klar, | |
dass es eine reine Schikane war. | |
Wie war Ihre erste Begegnung mit den Flüchtlingen? | |
Ich kann sagen, dass das für mich erst einmal fremde Leute waren. Aber sie | |
waren in dem Moment, als sie aufs Boot kamen, unglaublich froh, erleichtert | |
und dankbar – gleichzeitig aber auch unterkühlt, schwach und hilflos. Die | |
sind ein wenig in sich zusammengesackt, als sie in Sicherheit waren. Und | |
dann ist das erst einmal Routine. Es geht darum, zu gucken: Wie geht es | |
denen? Was brauchen sie? Ist jemand dabei, dem es körperlich richtig | |
schlecht geht? Das war bei uns zum Glück nicht so dramatisch. Dann wird | |
heißer Tee ausgeschenkt und es werden trockene Klamotten verteilt. Wir | |
hatten nicht viel Kleidung dabei, nur diese weißen Overalls, sodass sie | |
ihre Klamotten zum Trocknen aufhängen konnten. Das Emotionale kommt eher | |
später. | |
Können Sie einen emotionalen Moment beschreiben? | |
Wir hatten eine junge Frau an Bord, die sich sofort unheimlich herzlich | |
bedankt hat. Man hat sehr gemerkt, dass sie unheimlich erleichtert und froh | |
war, auf dem Schiff zu sein und dass sie unglaublich Angst hatte, dass die | |
lybische Küstenwache sie wieder zurückbringt. | |
Wie viele Gästen waren auf dem Boot? | |
Es waren insgesamt 17 Leute, eine junge Frau und 16 junge Männer, fast alle | |
im Alter zwischen 17 und Ende 20. Wir haben deren Boot gefunden, als wir | |
gerade ein Tag in dem Suchgebiet waren – was auch die Dringlichkeit zeigt. | |
Ich denke nicht, dass wir Glück hatten und die Nadel im Heuhaufen gefunden | |
haben. Da gibt es eine ganze Menge solcher Boote, die keiner findet. | |
Wie war Ihre Anreise? | |
Unser Einsatzgebiet ist ja das zentrale Mittelmeer vor der lybischen Küste. | |
Wir sind aber in Algeciras in Spanien losgefahren. Und momentan ist es so, | |
dass viele versuchen, über Tunesien, Marokko und Spanien rüberzukommen und | |
schon, als wir gerade erst losgefahren sind, haben wir mehrere Notrufe | |
mitbekommen. Die werden an alle Schiffe geschickt. Das war jetzt nichts, wo | |
man hätte hinfahren können, weil man nicht wusste, muss man jetzt zurück | |
oder vorwärts? Es war komisch zu sagen, wir fahren jetzt in eine bestimmte | |
Richtung, um Einsätze zu haben und hören aber, dass um uns herum eigentlich | |
auch schon Boote in Seenot sind. | |
Worum kümmern Sie sich als Ärztin auf so einem Schiff? | |
Auf dieser Mission hatten wir medizinisch keine großen Herausforderungen. | |
Unsere Gäste waren um Mitternacht von der lybischen Küste losgefahren und | |
wir haben sie morgens gegen 7 Uhr gefunden. Ihnen war kalt und es ging | |
ihnen nicht gut, aber das war vergleichsweise harmlos. Vor Kurzem gab es | |
ein Boot, das in Lybien mit Toten wieder angespült worden ist, die Menschen | |
sind einfach verdurstet. Es gab Missionen, auf denen reanimiert wurde oder | |
bei denen Leute Meningitis hatten. | |
Wie hat sich die Crew auf der „Professor Albrecht Penck“ zusammengesetzt? | |
Da wir unter deutscher Flagge gefahren sind, musste eine festgelegte Crew | |
von professionellen Seeleuten dabei sein. Das fängt mit dem Kapitän an, | |
dann die Maschinisten, erster Offizier – das waren insgesamt acht Leute. | |
Darüber hinaus gibt es für die ehrenamtliche Crew bestimmte Positionen, die | |
immer dabei sind. Das ist ein Mediziner und ein Paramedic, das heißt, eine | |
Krankenschwester oder ein Rettungssanitäter. Dann gibt es den | |
Einsatzleiter, der auch von der ehrenamtlichen Crew gestellt wird. Und | |
jemanden, der das Rib fährt. | |
Rib? | |
Das sind die Schlauchboote. Man kann ja nicht direkt mit dem großen Schiff | |
an die Flüchtlingsboote heranfahren. Das macht man mit den Schlauchbooten. | |
Und auf jedem Rib gibt es einen Kommunikator, der sich mit den Gästen | |
verständigen kann, der sollte bestenfalls mehrere Sprachen sprechen. Was | |
unglaublich wichtig ist: Jemanden dabei zu haben, der gut kochen kann. Das | |
ist schwierig, vor allem bei einer Mannschaft mit um die 20 Leuten. Und wir | |
hatten professionelle Wachen dabei, die sich gegenseitig ablösen und | |
vielleicht auch zu ungewöhnlichen Zeiten etwas zu essen haben wollen. | |
Wie war die Stimmung an Bord? | |
Sehr ernst war es nie. Das hat ganz gut harmoniert und natürlich werden | |
auch Witze gemacht und man hat Spaß miteinander. Die Stimmung ist aber | |
ziemlich in den Keller gegangen, als unsere Gäste von Bord gehen durften | |
und klar war, dass dieses große internationale Problem gelöst ist und wir | |
dann nicht anlegen durften. | |
Wie handhaben Sie die Diskussion über Flucht und Rettung privat? | |
Ich gehe der Debatte auf keinen Fall aus dem Weg, weil ich die sehr wichtig | |
finde. Die meisten Leute, mit denen ich zu tun habe, unterstützen mich. | |
Aber wir als Organisation Sea-Eye merken den Stimmungswandel ganz massiv, | |
allein an den Kommentaren, die man in den sozialen Medien so bekommt. | |
Wie reagieren Sie auf negative Kommentare? | |
Ich reagiere, indem ich sie mir nicht durchlese. Am Anfang habe ich solche | |
Sachen noch gelesen und mich nur darüber geärgert, weil es zum Teil | |
sinnfrei ist, was die da schreiben. Ich hab jedes Mal gedacht: Oh, du | |
müsstest darauf jetzt antworten! Aber es hat kein Sinn, auf so etwas | |
einzugehen. Ich weiß, dass es ganz viele Menschen in Deutschland gibt, die | |
sagen, dass es natürlich wichtig und richtig ist, Menschen aus der Seenot | |
zu retten. Das Problem ist, dass diese Menschen oft viel zu leise sind. | |
Durch die negativen Kommentare bekommt man das Gefühl, dass unglaublich | |
viele Menschen der Meinung wären, so etwas müsse man unterbinden. Und ich | |
hab das Gefühl, die Politik richtet sich danach. Das ist das Verrückte. | |
Wie lange sind Sie schon bei Sea-Eye dabei? | |
Tatsächlich erst seit Anfang 2018. Ich hatte vorher schon häufiger gehört, | |
dass es so etwas gibt und hatte auch immer gedacht, dass man das mal machen | |
könnte. Es war dann letztlich purer Zufall, dass ich bei Sea-Eye gelandet | |
bin und nicht bei einer anderen NGO. Und dann war ich sehr viel schneller | |
auf dem Schiff, als ich mir das vorgestellt hatte, weil da gerade Mediziner | |
gesucht wurden. | |
Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade auf einem Seenotrettungsschiff | |
unterwegs sind? | |
Ich bin Internistin, ich habe etwas mehr als fünf Jahre im Krankenhaus | |
gearbeitet, überwiegend in der Kardiologie. Dann habe ich meinen Facharzt | |
gemacht und bin in die Arbeitsmedizin gewechselt. Das heißt, ich betreue | |
und berate Betriebe in medizinischen Fragestellungen und in | |
Sicherheitsaspekten. | |
Woher kam dann Ihre Motivation, sich einem solchen Hilfsprojekt | |
anzuschließen? | |
In erster Linie war es Empathie. Ich wollte so etwas schon immer machen, | |
auch als ich noch studiert habe. Ich habe vorher auch schon Sachen in die | |
Richtung gemacht, war in Äthiopien in Flüchtlingslagern. Während meiner | |
Zeit im Krankenhaus habe ich festgestellt, dass es schwierig ist wegen der | |
ganzen Restriktionen, die in so einer Klinik herrschen. Das war auch ein | |
Hintergedanke, als ich in die Arbeitsmedizin gewechselt und mich | |
selbstständig gemacht habe. | |
Und was hält Ihre Familie von Ihrer Mission? | |
Natürlich hat sich meine Familie Sorgen gemacht, als ich auf dem Schiff | |
war. Aber ich glaube, dass die Gefahr, der man sich selber aussetzt, | |
relativ überschaubar ist. | |
Was wäre gewesen, wenn man Sie nicht vom Boot runtergelassen hätte? | |
Naja, die Malteser hätten uns schon nicht verhungern oder verdursten | |
lassen, allein schon, weil sie keinen Skandal wollen. Die wollten uns | |
einfach nicht an Land lassen. Ich war aber zu keiner Zeit in Gefahr. | |
Natürlich macht man sich Gedanken. Auch was mit meiner Praxis passiert, | |
wenn ich noch drei Wochen länger auf dem Schiff bleiben muss. Aber auch | |
daran wäre ich nicht gestorben. | |
Geht es bald wieder los für Sie? | |
Der nächste Termin steht noch nicht, auch weil noch gar nicht klar ist, ob | |
und wann wir wieder fahren können. Wir brauchen erst einen Hafen, der uns | |
aufnimmt. Es müssen auch noch einige Sachen am Schiff repariert werden. | |
Dann brauchen wir noch Geld, weil das alles natürlich echt teuer ist, | |
gerade mit der professionellen Crew. Dann wird es irgendwann weitere | |
Missionen geben. Und für mich ist klar, dass ich dafür auch weiter zur | |
Verfügung stehe. | |
21 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Frieda Ahrens | |
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