| # taz.de -- Mitgliederzulauf in der SPD: Schulz-Hype ohne Martin Schulz | |
| > Die Euphorie zu Beginn des Wahlkampfs bescherte der SPD 10.000 neue | |
| > Mitglieder. Nun ergibt eine Studie: Der Kandidat war eher nebensächlich. | |
| Bild: Kurz Hoffnungsträger, schnell verblasst: Martin Schulz | |
| Berlin taz | Im Januar 2017 löst der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar | |
| Gabriel eine kurzzeitige Euphorie aus. Er kündigt an, nicht als | |
| Kanzlerkandidat seiner Partei ins Rennen zu gehen – und zaubert stattdessen | |
| Martin Schulz aus dem Hut. Erstmals seit der Wiedervereinigung vor fast 30 | |
| Jahren steigt die Mitgliederzahl der SPD wieder. Am Ende des Jahres zählt | |
| die Partei einen Zuwachs von 10.000 Mitgliedern – nach dem Abzug von | |
| Austritten und Todesfällen. | |
| Nun hat ein Forscherteam des Göttinger Instituts für Demokratieforschung | |
| mit diesen Neumitgliedern gesprochen und herausgefunden: Die Mehrzahl ist | |
| gar nicht in erster Linie wegen Schulz in die Partei eingetreten. Und: Sie | |
| wünscht sich eine linkere und sozialpolitisch engagiertere SPD. | |
| In einem [1][Aufsatz], der gerade in der Institutszeitschrift Indes | |
| erschienen ist, schreiben die ForscherInnen Martin Grund, Pauline Höhlich | |
| und Hannes Keune: „Zunächst einmal äußerten nur sehr wenige der | |
| Interviewten, dass Martin Schulz tatsächlich eine wesentliche Rolle bei | |
| ihrem Parteieintritt spielte.“ | |
| „Die Kandidatur von Schulz bedeutete für die meisten allenfalls eine Art | |
| letzte Initialzündung“, sagt der Politikwissenschaftler Martin Grund der | |
| taz. Entscheidender sei die allgemeine gesellschaftliche Stimmung um den | |
| Jahreswechsel 2016/17 herum gewesen, die den Schulz-Hype erst ermöglicht | |
| habe: „Trump war Präsident geworden, der Brexit war entschieden, der | |
| Rechtspopulismus erstarkte.“ | |
| ## Schulz als Projektionsfläche | |
| Schulz als letzter Anstoß, als Projektionsfläche also. Ganz unwichtig war | |
| der Spitzenkandidat aber dennoch nicht: „Andererseits wäre eine Andrea | |
| Nahles vermutlich nicht in der Lage gewesen, die Sehnsucht nach Veränderung | |
| zu bedienen, die sich an den vermeintlich unverbrauchten Kandidaten Schulz | |
| heften konnte“, sagt Grund. | |
| Wer alte Videos der ersten Schulz-Reden von Januar und Februar 2017 noch | |
| mal ansieht, dem fällt auf, wie vor allem junge ZuhörerInnen gebannt an | |
| Schulz' Lippen hingen. Die Stimmung, mit der sie dem Spitzenkandidaten | |
| andächtig und konzentriert zuhörten – egal was er gerade sagte –, erinnert | |
| an die selige Stimmung, wie sie auf Konzerten von Altstars wie Bob Dylan | |
| oder früher Leonard Cohen herrschte. | |
| Das Forschertrio schreibt davon, dass viele Neumitglieder eine | |
| Neuausrichtung der SPD herbeisehnten. „Schulz schien diese zu verkörpern – | |
| und hat diese Interviewten wohl genau deswegen enttäuscht.“ An dieser | |
| Stelle sprechen sie den langen Niedergang der Euphorie ab dem Frühjahr 2017 | |
| an, als Schulz programmatisch zauderte und jenseits der Europapolitik | |
| profillos blieb. | |
| ## Keine neuen Milieus erschlossen | |
| Neue Milieus hat die SPD mit der Eintrittswelle nicht erschlossen. Die | |
| Älteren weisen laut Studie eine „klassische sozialdemokratische | |
| Sozialisierung in den 1970er und 1980er Jahren“ auf. Wenig schmeichelhaft | |
| ist das Urteil über die Jüngeren, die in der Mehrzahl aus SPD-Elternhäusern | |
| kommen: „Hier wählt man die SPD aus familiärer Konvention, ein wirkliches | |
| politisches Aha-Erlebnis mitsamt einer in den Tiefenschichten der eigenen | |
| Identität fest verwurzelten Entscheidung zugunsten der gegenwärtigen SPD | |
| findet sich hingegen nicht.“ | |
| Diffus ist die politische Ausrichtung der Neumitglieder. Sie wünschen sich | |
| zwar eine SPD als linke Volkspartei, allerdings bleibt unklar, was sie | |
| unter „links“ verstehen. Die Forscher stellen einerseits eine Sehnsucht | |
| nach dem alten bundesdeutschen Sozialstaat fest, andererseits heißt es: | |
| „Offen angegriffen werden die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze aber | |
| interessanterweise lediglich von wenigen Personen.“ | |
| Die Studie stützt sich auf so genannte leitfadengestützte Interviews mit 25 | |
| Neumitgliedern, die repräsentativ aus einem Pool von Angefragten | |
| herausgefiltert wurden. Gewonnen wurden diese durch Anfragen an | |
| SPD-Unterbezirke und durch Kontakte auf Neumitgliedertreffen. | |
| 8 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.demokratie-goettingen.de/aktuelles/indes-3-2018-sozialdemokratie | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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