# taz.de -- Mangelnde Diversität im Handball: Spiel der Autochthonen | |
> Im deutschen Handball tummeln sich weiße Recken. SpielerInnen mit | |
> Zuwanderungsgeschichte findet man fast gar nicht. Woran liegt das? | |
Bild: Handball ist Hallensport: Eine Straßenspielkultur wie im Fußball oder B… | |
Vor zwei Jahren wurde das deutsche Handball-Nationalteam Europameister. Dem | |
Sport wurde eine Blüte vorausgesagt. Doch der Berliner Philosoph Wolfram | |
Eilenberger wollte nicht so recht daran glauben. [1][In seiner Kolumne für | |
Zeit Online] beschrieb er den Handball als konservatives Provinzvergnügen, | |
in dem Menschen mit Migrationshintergrund keine Rolle spielen. | |
Eilenberger erhielt wütende Reaktionen. Sein Text sei eine Provokation | |
gewesen, sagt er, vielleicht zu hart im Ton. Doch er führte auch dazu, dass | |
in Verbänden und Vereinen intensiver über kulturelle Hintergründe | |
nachgedacht wurde. „In vielen Ländern, aus denen wir eine intensive | |
Zuwanderung haben, ist der Handball kein Sport mit hoher Strahlkraft“, sagt | |
Eilenberger. Die Folge: Menschen mit Wurzeln in der Türkei oder in | |
arabischen Ländern schicken ihre Kinder fast nie zum Handball, sondern zum | |
Fußball oder zu Kampfsportarten. | |
Vor der [2][am Donnerstag beginnenden Weltmeisterschaft] in Deutschland und | |
Dänemark hat sich kaum etwas geändert. Deutsche Nationalspieler, deren | |
Biografien an Fußballkollegen wie Özil, Boateng oder Khedira erinnern, | |
sucht man vergebens. | |
Natürlich ist die Handball-Bundesliga international, aber die | |
Nationalteams sind bis in die Jugend meist ziemlich homogen. | |
Sichtungslehrgänge zeigen, dass höchstens 5 Prozent der Spieler eine | |
Einwandererbiografie haben. Dabei hat in Deutschland ungefähr jede fünfte | |
Person einen Migrationshintergrund. Warum spiegelt sich gesellschaftliche | |
Vielfalt in der zweitwichtigsten Teamsportart nicht wider? | |
## Typisch deutsche Werte | |
Das Ursachen sind komplex: Handball war über Jahrzehnte nur in ländlichen | |
Gebieten und mittelgroßen Städten verankert. Der Trend zur Urbanisierung | |
ist vergleichsweise jung. Die Sportsoziologen Klaus Cachay von der | |
Universität Bielefeld und Carmen Borggrefe von der Universität Stuttgart | |
haben in einigen Städten Daten erhoben: in Stuttgart, Bielefeld, Minden und | |
Göppingen. | |
Nach ihren Beobachtungen, die im August 2018 im European Journal for Sport | |
and Society erschienen sind, schließen Vereine Migranten nicht bewusst aus. | |
Dennoch ziehen sie unbewusst Grenzen, indem sie Werte beanspruchen, die als | |
typisch deutsch gelten: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität. „Auf | |
manchen Internetseiten der Vereine sieht man nur blonde, autochthon | |
aussehende Kinder“, sagt Carmen Borggrefe. Das Signal: Wir sind eine | |
geschlossene Gruppe. | |
In ihren Forschungen stießen die Wissenschaftler auf einen | |
türkischstämmigen Spieler im Alter von 16 Jahren. Er erklärte im Interview, | |
dass es sich für Handball entschieden habe, weil er zu den Deutschen | |
gehören und sich von der türkischen Gemeinschaft abgrenzen wolle. „Das ist | |
ein Extrembeispiel“, sagt Borggrefe. „Aber in Abstufungen hatten wir andere | |
türkischstämmige Spielerinnen und Spieler, die Grenzen innerhalb ihrer | |
eigenen Community gezogen haben.“ | |
Der Handball wird in Hallen gespielt. Eine ungezwungene Straßenspielkultur | |
wie im Fußball oder Basketball gibt es nicht. Zudem sind die | |
Handballvereine sozial weniger durchmischt, sagt Klaus Cachay, der als | |
Spieler Anfang der 1970er Jahre mit Frisch Auf Göppingen erfolgreich war. | |
## „Der Handball muss in die Schulen und in die Kindergärten“ | |
Für eine gesellschaftliche Öffnung sollten die Vereine auf Schulen zugehen, | |
sagt Cachay: „Die Schule ist ein Raum des Vertrauens. Der Verein hat diesen | |
Vertrauensvorschuss bei Familien mit Migrationshintergrund nicht. Leider | |
findet Handball in der Schule so gut wie gar nicht statt. Die | |
Qualifizierung der Sportlehrer ist nicht genügend.“ Auch Handball-AGs | |
finden gibt es jenseits des Unterrichts selten. | |
Cachay und Borggrefe beleuchten in ihren Forschungen auch zwei | |
Breitensportvereine, die überdurchschnittlich viele Migranten in ihren | |
Reihen haben. Über Jahre waren dort engagierte Trainer und Betreuer auf | |
unterschiedliche Milieus zugegangen. Eine ähnliche Offensive erwarten die | |
Wissenschaftler vom Deutschen Handball-Bund. Es gebe zwar inzwischen | |
etliche Broschüren und Programme zu Integration im Sport, sagt Cachay. | |
„Aber ohne verpflichtende Fortbildungen werden diese von den Vereinen nicht | |
wahrgenommen.“ | |
Bob Hanning, Vizepräsident beim DHB für Leistungssport, nimmt die | |
Anregungen auf. „Beim Verband hat sich viel getan, aber er muss sich noch | |
weiter entwickeln“, sagt Hanning und verweist auf die Umstrukturierung im | |
DHB. Im Vorstand gibt es nun einen Posten für Mitgliederentwicklung. Bei | |
den Landesverbänden wird das Thema jedoch mit unterschiedlichem Tempo | |
angegangen. „Der Handball muss in die Schulen und in die Kindergärten“, | |
sagt Hanning. „Dort müssen wir die Kinder abholen.“ | |
Hanning hat als Geschäftsführer des Bundesligisten Füchse Berlin etliche | |
Projekte mit Schulen angestoßen. Jenseits der Metropolen haben viele | |
kleinere Vereine in den vergangenen zehn Jahren bis zu 30 Prozent ihrer | |
Mitglieder verloren. Ein Zugehen auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte | |
wäre für sie nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe. Es könnte | |
langfristig den Spielbetrieb sichern. Daher geht es bei der WM nicht nur | |
ums Nationalteam, sondern auch um Werbung für deren Basis. | |
9 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.zeit.de/sport/2016-02/handball-deutschland-europameister-altern… | |
[2] /Handball-Weltmeisterschaft-in-Berlin/!5560907 | |
## AUTOREN | |
Ronny Blaschke | |
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