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# taz.de -- Proteste in Istanbul: Türken wollen Brot, Arbeit, Freiheit
> Hohe Lebensmittelpreise und wachsende Arbeitslosigkeit treiben Tausende
> Menschen in Istanbul auf die Straße. Präsident Erdoğan droht mit
> Sanktionen.
Bild: Machen ihrem Unmut Luft: Protestierende in Istanbul
Athen taz | „Wir wollen Brot, Arbeit und Freiheit“ stand auf den Plakaten,
die am Samstagnachmittag Tausende Demonstranten in Istanbul in den tristen
Winterhimmel streckten. Nachdem vor einer Woche bereits ganz im Osten, im
hauptsächlich von Kurden bewohnten Diyarbakir, gegen die steigenden
Lebenshaltungskosten demonstriert worden war, wagten sich nach langer Zeit
auch in Istanbul wieder die Leute auf die Straße.
Aufgerufen hatte ein breites Bündnis von Gewerkschaften unter der Führung
von KESK, der politisch sehr aktiven Gewerkschaft des öffentlichen
Dienstes. Unterstützt wurden die Demonstranten, die auch aus anderen
Städten aus dem Nordwesten der Türkei angereist waren, von Abgeordneten der
oppositionellen CHP und der kurdisch-linken HDP.
Doch der Zug blieb von den meisten Istanbulern unbemerkt. Statt im
Stadtzentrum, am Taksim-Platz oder in der Flaniermeile İstiklal Caddesi
mussten die Demonstranten aus politischen Gründen in den Vorort Bakırköy
ausweichen, weil eine Bezirksverwaltung der CHP den Zug dort möglich
machte. Trotzdem wurden die Demonstranten noch von Tausenden Polizisten
abgeschirmt.
Im Fernsehen wurde über die Demonstrationen gar nicht berichtet, in den
großen Zeitungen fanden sich allenfalls Kurzmeldungen. Denn die Regierung
will verhindern, dass der wachsende Unmut in der Bevölkerung öffentlich zum
Ausdruck kommt. Bei mehreren Auftritten warnte Präsident Recep Tayyip
Erdoğan die Opposition vor Protest auf der Straße. Die Demonstranten würden
einen hohen Preis dafür bezahlen müssen.
## Hysterie im Regierungslager
In der Regierung grassiert offenbar die Angst, die
Gelbwesten-Demonstrationen in Frankreich könnten zum Vorbild für
Oppositionelle in der Türkei werden. Die Angst geht so weit, dass die
Polizei angeblich bereits gegen die Produktion gelber Westen vorgeht.
Medien berichteten, in einigen Provinzen sei die Polizei dem Gerücht
nachgegangen, es würden insgeheim massenhaft gelbe Westen gefertigt.
Der Grund für die Hysterie im Regierungslager ist die Befürchtung, die
Wirtschaftskrise könnte auf die im März bevorstehenden Kommunalwahlen
durchschlagen. Vor allem die Frage, wer Istanbul und Ankara gewinnt, ist
von landesweiter Bedeutung. Deshalb tut die Regierung alles, um die
Wirtschaftskrise kleinzureden oder als einen Angriff aus dem Ausland
darzustellen. Doch die Inflation von 23 Prozent ist an jedem Markttag an
den steigenden Gemüsepreisen abzulesen. Dass insbesondere jüngere Leute
keinen Job mehr finden, erlebt auch fast jede Familie.
Zwar konnte der massive Währungsverfall der Lira im Sommer durch eine
starke Erhöhung der Leitzinsen und die Besänftigung der USA durch die
[1][Freilassung des US-Pastors Andrew Brunson] gestoppt werden. Die
US-Sanktionen sind aufgehoben, aber die Wirtschaftskrise vertieft sich
dennoch. Vielen Firmen fehlt das Geld für die Rückzahlung ihrer
Dollarschulden. Es gibt deshalb viele Konkurse, insbesondere die
Bauindustrie, Motor des türkischen Wirtschaftswunders des vergangenen
Jahrzehnts, liegt brach.
Es gibt bereits Überkapazitäten in einigen Branchen, auch Wohnungen und
Gewerberäume werden kaum noch verkauft oder vermietet. Besserung ist
erstmal nicht in Sicht. Die meisten neutralen Ökonomen prophezeien wie die
großen Ratingagenturen, dass 2019 ein schweres Jahr für die Türkei wird.
23 Dec 2018
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## AUTOREN
Wolf Wittenfeld
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Schwerpunkt Türkei
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