# taz.de -- Die Wahrheit: Bitte schütteln Sie mit dem Kopf! | |
> Eine kleine Sprachkritik: Nur Miesmacher und Brummbären beschweren sich | |
> über eine Sprache, die vor die Wand fährt. | |
Bild: So sauber und rein kann nur eine Nörglerzunge sein | |
Originalität schön und gut, aber Konformismus ist besser. Warum sich wie | |
ein Sonderling aufführen, wenn man es bequemer haben kann! Sich schlauer | |
dünken als die Mehrheit ist überheblich. Sich anpassen und normal werden | |
ist der richtige Weg. Gilt auch fürs Reden! | |
Dann hat man sich richtig positioniert und ist auf der sicheren Seite und | |
wird verstanden, wenn man zum Beispiel bei der Badischen Zeitung seine | |
Brötchen verdient und die Überschrift verursacht: „Nach der Obduktion: | |
Junger Mann ertrunken“. Nur ein Erbsenzähler kommt doch auf den komischen | |
Gedanken, er sei erst nach der Obduktion ertrunken! | |
Es ist dünkelhaft, darauf zu pochen, dass Gemeintes und Gesagtes | |
zusammenpassen müssen, wenn man es mit einem bisschen guten Willen auch so | |
versteht. Schon Sigmund Freud lehrte, wie nützlich ersparter Aufwand ist! | |
Wenn also ein taz-Journalist erklärt: „Ein deutsch-palästinensisches | |
Kommando entführte 1976 einen Passagierjet von Tel Aviv nach Paris“, dann | |
hat er recht. Der Jet wurde nicht nach Paris entführt, sondern nach | |
Entebbe, klar. Aber es handelte sich um den Linienflug „von Tel Aviv nach | |
Paris“, und das steht ja wohl da! | |
Genauso vorbildlich schreibt die taz: „Jacques Derrida war ein besorgter | |
Vater. Doch einmal stellte er die Ermordung seines Sohnes nach.“ Zwar wurde | |
niemals einer von Derridas Söhnen ermordet, aber wer weiterliest, erfährt, | |
dass es sich um ein Tableaux vivant handelt, um die Nachstellung von | |
Nicolas Poussins Gemälde „Der betlehemitische Kindermord“ durch Derrida, | |
seine Frau und seinen Sohn. Was bitte gibt es daran zu bekritteln?! Darf er | |
das etwas nicht? | |
## Verwandte Ähnlichkeit | |
Nur Beckmesser haben an allem etwas auszusetzen. Man muss schon ziemlich | |
pingelig veranlagt sein, um an dem gut verständlichen Satz „Das Risiko, | |
dass Atomwaffen eingesetzt werden, ist größer als seit Langem“ | |
herumzumäkeln (Zitate ohne Quellenangabe: jaja, taz). Nur ein Pedant | |
„schüttelt mit dem Kopf“ über ebendiese anschauliche Beschreibung, nur ein | |
Wortklauber regt sich auf, wenn in einem Krimi ein Familienvater von | |
Gangstern, „die das Leben seiner Familie erpressen“, genötigt wird, ein | |
Verbrechen zu begehen und dadurch selbst zum Kriminellen zu werden, „obwohl | |
die Ähnlichkeit nur verwandt ist“. | |
Das ist der springende Punkt, liebe Miesmacher und Brummbären: die | |
verwandte Ähnlichkeit! Sie sorgt dafür, dass ein Satz richtig ist, selbst | |
wenn der sprachliche Ausdruck mal nicht wie angegossen sitzt, aber der Sinn | |
irgendwie rüberkommt. Die gern genommene Redensart, ein Vorhaben werde „an | |
die Wand gefahren“ oder (so Helene Hegemann im Spiegel:) „vor die Wand | |
gefahren“– was bloß stößt die Oberlehrer und Haarspalter daran? Dass es … | |
schlimm wäre, wenn gegen die Wand gefahren würde? Also bitte! | |
Sollen die pensionierten Deutsch-Oberstudiendirektoren doch nörgeln und | |
eine schlechte Zensur verteilen, wenn einer schreibt, dass ein Offizier | |
„seine Truppe durch das unwirsche Terrain“ (Frankfurter Rundschau) jagt – | |
sich darüber zu echauffieren, passt zum alles andere als wirschen Charakter | |
dieser Wortkrämer! | |
## Unglaubliche Glaubwürdigkeit | |
Wenn jemand „von einer gespaltenen Kindheit“ berichtet, allerlei „in den | |
beladenen Sälen des Museums“ erblickt oder „aus seinem kurzschlüssigen | |
Schlaf“ erwacht – na und?! Es ist doch schön, wenn man sagen kann: „Die | |
Liebe war erflammt“, und wenn einer „ein schütteres Brötchen isst“, ist… | |
Hauptsache doch wohl, dass es schmeckt! | |
Nur Rappelköpfe kriegen sich nicht mehr ein, wenn sich jemand mal | |
umständlich ausdrückt, etwas mehrfach sagt und „eine wilde Forschungsreise | |
durch ein halbes Jahrhundert der Geschichte des Rock ʻn’ Roll“ (aus einem | |
Göttinger Programmheft) unternimmt. Manchmal muss man eben mehr Aufwand | |
treiben, es kommt immer darauf an! | |
Kein Prinzip gilt überall, sondern man muss sich anpassen und normal sein, | |
wie oben schon bewiesen. „Das war sehr provokativ, und das ist es ja auch“, | |
befand laut NDR Info die Besucherin einer Satireverstaltung, und das war | |
nicht nur gut gesagt, sondern ist es auch. Genau das, Missverständnisse | |
auszuschließen, bezweckt dieser Satz aus der Vorschau auf eine | |
BBC-Dokumentation: „Bevor die Erde von Dinosauriern bevölkert wurde, gab es | |
schon Leben dort“ – das ist goldrichtig formuliert: Es gab Leben dort und | |
nicht anderswo, etwa auf dem Mond! Das ist klug um die Ecke gedacht, der | |
Aufwand hat sich gelohnt. | |
Anders gesagt: Nicht durch kleinliches Zurechtweisen gewinnt man Freunde | |
und Likes, sondern indem man normal spricht und schreibt wie hoffentlich | |
bald alle Menschen. Das ist die Voraussetzung für jene „unglaubliche | |
Glaubwürdigkeit“ (3sat), die allein zählt. Ja, ihr Besserwisser und | |
Kotzbrocken: Euch wollte ich mir hier „mal so richtig vorknüpfen“! | |
5 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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