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# taz.de -- Sprachwissenschaftler über #unten: „Es gibt keine Leiter“
> Ein Hashtag will zum Reden über Ungleichheit anregen. Anatol
> Stefanowitsch über Metaphern, Denkweisen und weshalb #metoo besser
> funktioniert.
Bild: „Sprache wirkt sich auf das gesellschaftliche Denken aus“, so der Wis…
taz: Herr Stefanowitsch, einige stoßen sich an dem Wort „unten“ in der
[1][Online-Kampagne], die von der Wochenzeitung Der Freitag gestartet
wurde, um soziale Ungleichheit zu thematisieren. Teilen Sie diese Kritik?
Anatol Stefanowitsch: Das Hashtag würde ich nicht kritisieren. Aber es ist
wichtig, dass wir, wenn wir über kulturelles und ökonomisches Kapital
reden, nicht in eine Sprache verfallen, die dem Ganzen eine natürliche
Ordnung überstülpt. Schon George Orwell hat ein Buch namens „Down and out
in Paris and London“ geschrieben. Er hat auch den den Begriff „unten“
benutzt. Ich finde es wichtig, dass der Begriff auch selbstbewusst
verwendet wird. Das Problem ist so negativ, dass es die Wortwahl nicht
schlimmer machen kann. Bei dem Hashtag #unten sehe ich wenn dann ein
anderes Problem.
Und das wäre?
Es gibt verschiedene Arten von Ungleichheiten: etwa eine kulturelle
zwischen Gesellschaftsschichten und eine materielle. Bei dem Hashtag ist es
schwer zu unterscheiden, um welche Art von Ungleichheit es sich denn genau
handelt. Materielle Ungleichheiten kann man überwinden, bei kulturellen
Ungleichheiten in der Gesellschaft ist das schon schwieriger. Ich glaube
das Thema ist viel zu komplex, um es auf einen Hashtag runter zu brechen.
Das war bei anderen Themen wie Rassismus oder Sexismus anders.
Wo liegt der Unterschied?
Bei #metoo musste man wissen, woher das Hashtag kommt. Beim Lesen kommt
sofort die Frage auf: Warum sagt jemand „ich auch“? Das löst etwas aus.
Aber eigentlich weiß man nie, welches Hashtag die Fantasie der Leute anregt
und sie dazu bewegt, sich zu einem Thema zu äußern. Kampagnen entstehen
spontan. Und irgendwie war #unten gut. Es hat viele Leute angesprochen, die
mitgemacht haben. Dementsprechend wurde das Ziel erreicht.
Was verbindet man als erstes mit den Worten „unten“, was mit „oben“?
Die ganze Metaphorik von „oben“ und „unten“ ist interessant. Das Wort
„unten“ ist immer schlechter konnotiert. Wenn man unten ist, ist man
kleiner. Also in einer ungünstigen Position. Und wenn man „oben“ ist, ist
das positiv. Es entsteht das Bild einer sozialen Leiter, auf die man
hinaufklettern kann, wenn man sich nur anstrengt.
Dem würden Sie widersprechen?
Ja, denn es ist keine Leiter. Es ist eine komplexe Situation in einer
gesellschaftlichen Struktur. Und es schwingt natürlich mit, dass die Leute
die „oben“ sind, schon etwas dafür getan haben, um oben zu sein. So als ob
sie einen Berg erklommen hätten und eine Leistung erbracht hätten. Und
diese Metaphorik sollte man immer bedenken.
Inwiefern beeinflusst Sprache, die Art und Weise wie wir denken?
Es müssen schon bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit es auf den
kognitiven Denkprozess geht. Aber Sprache wirkt sich auf das
gesellschaftliche Denken aus. Immer wenn wir als Gruppe über etwas
nachdenken, dann werden wir in unserem Denkvorgang automatisch beschränkt.
Einfach durch die Art und Weise wie wir über etwas reden. Unsere Gedanken
gehen durch einen Sprachfilter und wird so an die anderen Mitglieder
weitergegeben. Wenn beispielsweise „sozial schwach“ verwendet wird, dann
wird automatisch darüber nachgedacht, wie man die Menschen „stärken“ kann.
Das ist der falsche Ansatz – und löst das Problem nicht.
14 Nov 2018
## LINKS
[1] https://twitter.com/hashtag/unten
## AUTOREN
Irina Angerer
## TAGS
Sprache
Hashtag
Twitter / X
Schwerpunkt Armut
Entwicklung
Familie
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