# taz.de -- Berlins Weihnachtsmärkte öffnen: Advent auf Hochtouren | |
> Es sind rund 150 an der Zahl. Für die einen der Himmel auf Erden. Für die | |
> andern die reinste Hölle. Vier Geschichten zwischen Glühwein und | |
> Riesenrad. | |
Bild: Weihnachtsmarkt rund um den Alexanderplatz: da kommt einiges zusammen | |
## Geschichte Eins: Der geschenkte Stoff-Dalmatiner | |
Es war vor zwei Jahren am Breitscheidplatz, ein paar Tage vor dem | |
Anschlag. Der erste Weihnachtsmarkt für meinen Sohn, damals 4. Begeistert | |
wanderten seine Augen von einer kitschigen Hässlichkeit zur nächsten, alle | |
zwei Sekunden hieß es: „Oh Mama, ist das schön, das will ich haben!“ Und … | |
schnell, wie seine klebrigen Finger mundgeblasene Glaskugeln, getöpferte | |
Engelchen und andere zerbrechliche Kostbarkeiten betatschten und dem | |
Scherbentod nahe brachten, konnte ich gar nicht „Vorsicht!“ rufen. Da kam | |
ein junges Pärchen vorbei, das mein Problem mit einem Schlag erkannte. | |
Spontan schenkte der junge Mann meinem Sohn einen kleinen Stoff-Dalmatiner. | |
„Guck mal, den habe ich gerade an einem Stand gewonnen – aber ich glaube, | |
der will zu dir!“ | |
Wir konnten beide unser Glück kaum fassen. Der Nippes an den Ständen war | |
vergessen, beseelt schlenderten wir umher, ließen uns von den Lichtern, | |
Gerüchen und Geräuschen berauschen – und ich glaube, für den Moment waren | |
wir beide gleichermaßen glücklich und zufrieden. | |
Die Sache hat nur einen Haken: Weihnachtsmärkte sind für meinen Sohn | |
seither das Allertollste. Ginge es nach ihm, würden wir täglich einen | |
besuchen … | |
Susanne Memarnia | |
## Geschichte Zwei: Schwuler Billig-Glühwein | |
Noch bescheuerter als ein schwuler Weihnachtsmarkt ist nur, gegen schwule | |
Weihnachtsmärkte zu sein, weil solche angeblich „religiöse Gefühle“ | |
verletzen. In Wirklichkeit machen schwule Weihnachtsmärkte einfach nur | |
Kopfschmerzen: Ein guter Freund hatte einst nach abgeschlossenem | |
(BWL-)Studium die Idee, mit einem Glühweinstand auf dem seinerzeit ersten | |
„schwulen Weihnachtsmarkt“ Berlins ein paar schnelle Euros zu verdienen. Am | |
Ende reichte es gerade für die Standmiete. Wohl auch weil der gesammelte | |
Freundes- und Bekanntenkreis die beste „Für umme“-Kundschaft war. Erst | |
neulich hat er im Keller noch einen Tetrapack übrig gebliebenen | |
Billig-Glühwein gefunden. Aua. | |
Martin Reichert | |
## Geschichte Drei: Ach, Damaskus | |
Im Winter 2015 habe ich als Reporterin eine Zeit lang eine syrische | |
Flüchtlingsfamilie begleitet. Einmal waren wir auf dem Weihnachtsmarkt am | |
Alexanderplatz verabredet. Wenn schon, dann schon so richtig, hatte ich | |
gedacht. Die drei älteren Söhne toben also mit Weihnachtsmannmützen auf dem | |
Kopf um die Weltzeituhr, ihre Mutter betrachtet etwas müde, aber gefasst | |
die adventliche Vorhölle. Die Kinder wollen dahin, wo die Fahrgeschäfte am | |
größten sind. Also ab auf den abgezäunten Teil hinterm Alexa, dahin, wo | |
sich unterm Neonlicht am besinnungslosesten auf Weihnachten eingestimmt | |
wird. | |
Wir schlendern durch die Gassen mit den Fressbuden, im Vorbeigehen deutet | |
der Vater auf ein Riesenrad. Mahmoud Mottaweh erzählt, dass sie in Damaskus | |
auch so eins gehabt hätten. Es habe da einen Rummelplatz gegeben, im Herbst | |
hätten sie dort das Opferfest gefeiert, im Dezember sei dann die | |
christliche Minderheit mit ihrem Weihnachtsmarkt an der Reihe gewesen. Aber | |
zuletzt habe leider nur noch Assads Polizei in den Gondeln gesessen: „Von | |
dort oben hatten sie das beste Schussfeld.“ | |
Mahmoud Mottaweh amüsiert sich mit seinen Söhnen dann noch zwei | |
Fahrtenchips lang in der Geisterbahn „Funny Joe“. Mir ist inzwischen | |
gruselig genug zumute. | |
Anna Klöpper | |
## Geschichte Vier: Kuschelig wie bei Rosamunde Pilcher | |
Einfach schön ist dieser Weihnachtsmarkt, kuschelig wie bei Rosamunde | |
Pilcher, gemütlich, neonleuchtenfrei, viel Holz, kein Beton – also der | |
Gegenentwurf zum neuen taz-Haus. Aber eben im Südwesten der Stadt im | |
tiefbürgerlichen, von der taz oft spießbürgerlich eingeordneten Zehlendorf. | |
Dazu auch noch in Schlagdistanz zur St.-Annen-Kirche, also schon qua | |
Nachbarschaft zwangsläufig religiös angehaucht. Und natürlich unsozial, | |
weil ab zwölf Jahren Eintritt fällig ist. Kurzum: die Form gewordene | |
taz-Antithese. | |
Darum ist es schier ein Schock, gerade noch die Lamas in ihrem von | |
Holzlatten umzäunten Karree zu bewundern, an den handgeschmiedeten Pfannen | |
vorbeizugehen – und plötzlich vor der eigenen taz-Ressortchefin samt | |
Familie zu stehen. Gut, man selbst, ohnehin unter natürlich | |
ungerechtfertigtem Verdacht der CDU-Nähe – aber eine unbestritten Linke, zu | |
Hause politisch korrekt in Kreuzberg? Man und frau kann halt auch als | |
tazler schwach werden auf diesem gepflasterten Platz vor dem 400 Jahre | |
alten Herrenhaus der Domäne Dahlem, die – das muss zur Entlastung gesagt | |
sein – immerhin alternativ und nachhaltig bewirtschaftet wird. | |
Geöffnet ist der Markt allerdings nur an den vier Adventswochenenden. | |
Stefan Alberti | |
24 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
Martin Reichert | |
Anna Klöpper | |
Stefan Alberti | |
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