# taz.de -- Gewalt gegen Frauen in Kamerun: „Eure Brust gehört euch“ | |
> Im zentralafrikanischen Kamerun ist „Brustbügeln“ weit verbreitet. Dabei | |
> leiden die betroffenen Frauen ihr ganzes Leben an den Folgen. | |
Bild: Viele Frauen in Kamerun werden Opfer von Brustbügeln – dabei wird zum … | |
Winnie Eyono Ndong trägt ein kurzes, graues Kleid. Ihr Haar trägt sie | |
offen. Und sie spricht laut und bestimmt, wenn sie durch die Büroräume von | |
Renata geht, einer 2005 gegründeten Organisation für die Durchsetzung von | |
Frauenrechten und Bildung. | |
Ab und zu bleibt sie stehen, um mit einer Kollegin zu sprechen. Überall an | |
den Wänden hängen große Plakate, die vor Missbrauch, | |
Teenagerschwangerschaften und Ungleichbehandlung warnen und gleichzeitig | |
motivieren wollen: „Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand. Kämpft für | |
euch und für bessere Lebensbedingungen.“ | |
Wer hier in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé mit der 27-Jährigen, aber | |
auch mit ihren Kolleginnen darüber spricht, merkt schnell, dass es keine | |
Floskeln sind. Viele der Renata-Mitarbeiterinnen haben selbst erlebt, | |
[1][was Missbrauch bedeutet] und wie es ist, mit 16, 17 oder 18 Jahren | |
ungeplant Mutter zu werden und ohne Ausbildung und Perspektiven ein Kind | |
durchbringen zu müssen. | |
Winnie Eyono Ndong zieht sich in ihr Büro zurück. Wenn sie darüber spricht, | |
kann man sich lebhaft vorstellen, wie genervt sie damals von ihrer heute | |
achtjährigen Tochter Gloria war, wie wenig Lust sie hatte, sich um sie zu | |
kümmern und vor allem wie schmerzhaft das Stillen häufig war. Oft kam gar | |
keine Milch. | |
## Brustbügeln auch in Kameruns Nachbarn | |
Winnie Eyono Ndong ist als Kind die Brust abgebunden worden. Einige Male | |
presste ihre Großmutter auch einen heißen Spachtel darauf. Andere Frauen | |
beschweren sie mit heißen Steinen. | |
„Es passierte in den großen Ferien, in denen ich von Yaoundé zu ihr aufs | |
Land geschickt wurde. Als ich in jenem Jahr, in dem ich neun Jahre alt war, | |
ankam, erzählte mir meine Kusine, dass unsere Großmutter ihr einen Spachtel | |
auf die Brust gedrückt hatte. Sie weinte, und ich konnte nicht verstehen, | |
dass so etwas so sehr schmerzt. Doch sie sagte: Das tut unglaublich weh.“ | |
Das sogenannte Brustbügeln ist vor allem aus Kamerun bekannt. Nach | |
Renata-Recherchen wird es aber auch in Nachbarländern wie dem Tschad sowie | |
in westafrikanischen Ländern wie Togo durchgeführt. Dort sei es, sagt die | |
Sprecherin der Organisation, Catherine Aba Fouda, bisher nicht thematisiert | |
worden. Das Tabu sei riesig. „Es ist so fest in Kultur und Tradition | |
verankert.“ | |
Eine 2013 veröffentlichte Untersuchung, die mit Unterstützung der | |
Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt wurde, | |
besagt, dass das Phänomen in Kamerun abnimmt. Zwölf Prozent der 5.914 | |
Befragten gaben an, selbst Opfer geworden zu sein. Acht Jahre zuvor war die | |
Zahl noch doppelt so hoch. | |
## Gravierende Folgen für Mutter-Kind-Bindung | |
Nach Veröffentlichung der ersten Studie wurde auch Renata auf das Thema | |
aufmerksam. Ursprünglich gab die Organisation häufig Kurse für Teeniemütter | |
und versuchte, sie in ihrem Alltag zu unterstützen und zur Rückkehr in die | |
Schule zu bewegen. | |
So wurde vor knapp acht Jahren auch Winnie Eyono Ndong von der Organisation | |
zu einem Workshop eingeladen, auf den sie gar keine Lust hatte, im Laufe | |
der Tage aber spürte sie: „Endlich hört mir jemand zu. Mein Leben ist noch | |
nicht vorbei.“ | |
Den Renata-Mitarbeiterinnen wurde andererseits nach und nach klar, welche | |
Ausmaße das Brustbügeln für die Mädchen hat und welche gravierenden | |
Auswirkungen die damit verbundenen Schmerzen auf die Bindung junger Mütter | |
zu ihrem Kind haben können. | |
Winnie Eyono Ndong hat das Fenster in ihrem Büro geschlossen und versucht, | |
so emotionslos wie möglich jene Ferien bei ihrer Großmutter zu | |
rekonstruieren. Als sie eines Abends über Schmerzen klagte, befühlte die | |
Großmutter die Brust. | |
## Vergewaltigung statt Schutz | |
Den Gesichtsausdruck der alten Frau wird Winnie Eyono Ndong ihr Leben lang | |
nicht vergessen. „Sie lächelte und befand, dass es Zeit für das Ritual | |
sei.“ In aller Regel sind es Mütter und Großmütter, die das Brustbügeln | |
durchführen und so ein Vertrauensverhältnis zerstören. | |
Die heute 27-Jährige versuchte sogar, vor ihr wegzulaufen. „Sie nahm den | |
heißen Spachtel. Sie wollte auch die Brust abbinden und massieren. Das war | |
natürlich keine Massage, sondern ein schmerzhaftes Drücken.“ Einmal | |
versteckte sie sich in einem Wald, wurde aber von einem Onkel gefunden. Er | |
versprach ihr Schutz vor der alten Frau, vergewaltigte das Mädchen jedoch. | |
„Ich blutete. Doch weil ich noch ein Kind war, glaubte mir im Dorf | |
niemand.“ | |
Ausgerechnet das wird bis heute als Argument für das Brustbügeln angeführt. | |
Kommt es zu ersten Anzeichen der Pubertät, soll die Brust nicht weiter | |
wachsen oder zumindest so unansehnlich wie möglich sein. Damit sollen | |
potenzielle Vergewaltiger abgeschreckt werden. | |
„Es heißt auch, dass Mädchen mit großen Brüsten weniger lernen und in der | |
Schule Jungs anziehen würden“, sagt Catherine Aba Fouda. Im muslimisch | |
geprägten Norden wollen Mütter durch diese Praxis ihre Töchter außerdem vor | |
zu früher Heirat schützen. | |
## Kritik an alten Traditionen | |
Die NGO Girls Not Brides, die weltweit gegen Kinderehen kämpft, schätzt, | |
dass landesweit jedes dritte Mädchen vor der Volljährigkeit verheiratet | |
wird. Innerhalb Kameruns variieren die Zahlen jedoch stark. Im Norden liegt | |
die Zahl bei 73 Prozent. | |
Um gegen das Brustbügeln mobil zu machen, sind nach Einschätzung von Renata | |
Kritik an alten Traditionen sowie sexuelle Aufklärung wichtig. Sexualkunde | |
und Sexualität sind in vielen Ländern der Region ein absolutes Tabu. | |
Kirchen wettern dagegen. Ministerien setzen es nicht auf den Stundenplan. | |
Vergewaltigungsopfer werden vielerorts von Polizisten ausgelacht, Täter | |
kaufen sich problemlos frei. | |
Winnie Eyono Ndong steht von ihrem Schreibtischstuhl auf, um zu einer | |
Kollegin zu gehen. In Kamerun übernehmen die Tantines, die freundlichen | |
Tanten, wie die Renata-Mitarbeiterinnen genannt werden, deshalb häufig die | |
Aufklärungsarbeit. | |
Heute fahren drei von ihnen an die staatliche Grundschule Essos I im | |
Zentrum von Yaoundé, wo Emmanuel Dieudonné Nkodo Olinga, Klassenlehrer | |
einer dritten Klasse, schon auf die Frauen wartet. | |
## Drittklässler sind neugierig | |
20 Minuten hat Winnie Eyono Ndong, um ihre Geschichte zu erzählen und | |
Fragen zu beantworten. Als sie fragt, ob die Kinder das Wort Brustbügeln | |
schon einmal gehört haben, nicken wenige. Anschließend braucht sie keine | |
Minute, und die 70 Mädchen und Jungen im Alter von neun bis zwölf Jahren | |
hören ihr gespannt zu. Keins der Kinder kritzelt mit Kreide auf der | |
Schiefertafel herum, keins redet. | |
Die 27-Jährige ist schonungslos. Sie verschweigt weder, wie heiß das Metall | |
war noch die Vergewaltigung des Onkels und das Gefühl, Erwachsenen weder | |
vertrauen noch sich auf sie verlassen zu können. Am Ende schießen Dutzende | |
Hände in die Luft. Die meisten drehen sich gar nicht um das Brustbügeln. | |
Stattdessen wollen die Kinder immer wieder wissen, warum niemand der | |
kleinen Winnie geglaubt hat, als ihr Onkel sie vergewaltigte und auch, | |
warum ihr niemand half. Die Schüler von Essos I sind im selben Alter wie | |
damals Winnie Eyono Ndong. | |
Einer beobachtet die kurze Unterrichtsstunde genau: Klassenlehrer Nkodo | |
Olinga. Als sie vorbei ist, nickt er anerkennend. „Die ganzen Fragen | |
zeigen, wie sehr das Thema die Kinder interessiert und wie wichtig es ist. | |
Viele kommen schließlich langsam in die Pubertät.“ | |
## „Sagt nein zum Brustbügeln“ | |
Deshalb wischt er auch die Notfallnummer nicht weg, die die Tantines zum | |
Schluss an die Tafel schreiben. Dass sie kostenfrei und rund um die Uhr | |
erreichbar ist, betonen sie mehrere Male. Auch das ist bisher die Ausnahme. | |
Mitunter gibt es Informations- und Beschwerdetelefone, aber kaum welche, an | |
die sich Mädchen und Frauen nach Angriffen und Überfällen oder bei | |
Menschenrechtsverletzungen wenden können. | |
Die Kinder schreiben die Nummer in sorgfältiger Schreibschrift ab und | |
reißen sich fast um die Informationsbroschüren, die sie mit nach Hause | |
nehmen dürfen. Es wird laut im Klassenzimmer, die Konzentration ist weg. | |
Einmal fordert Winnie Eyono Ndong sie noch ein. Sie reckt die Hand, in der | |
sie eine Broschüre hält, hoch und ruft: „Sagt nein zum Brustbügeln. Eure | |
Brust gehört euch, und niemand hat das Recht, sie anzufassen.“ Die Mädchen | |
und Jungen sprechen ihr im Chor nach. | |
25 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Katrin Gänsler | |
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