| # taz.de -- Berichterstattung im Fall Adil Yiğit: Ein Rechercheprotokoll | |
| > Die taz schrieb, dass Journalist Adil Yiğit abgeschoben wird. Das war | |
| > nicht richtig. Die Sachlage ist aber kompliziert. | |
| Bild: Freiheit für Journalist*innen steht auf dem T-Shirt | |
| Berichterstattung im Fall Adil Yiğit – ein Rechercheprotokoll | |
| Seit dem Wochenende sorgt der Fall Adil Yiğit für Aufregung. Die taz | |
| berichtete als erste, dass dem türkischen Journalisten eine Abschiebung | |
| drohe – und sie wurde dafür kritisiert, als sich herausstellte, dass Yiğit | |
| laut Ausländerbehörde doch bleiben darf. | |
| [1][tagesschau.de kritisierte] in ihrem Faktenfinder, dass die taz auf | |
| einen offensichtlichen Widerspruch in einem Schreiben der Hamburger | |
| Behörden nicht eingegangen ist. Ein [2][Kolumnist des Tagesspiegel] schrieb | |
| gar, Yiğit verbreite Fakenews in eigener Sache. | |
| Wir dokumentieren daher im Folgenden den genauen Verlauf unserer Recherche, | |
| wieso es zu einem Missverständnis kommen konnte und welche Unsicherheiten | |
| es in dem Fall immer noch gibt. | |
| Vorgeschichte: | |
| Ende September wurde Adil Yiğit einem größeren Publikum bekannt. Er war der | |
| Journalist, der bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Angela Merkel und | |
| Recep Tayyip Erdogan abgeführt wurde, weil er ein T-Shirt mit der | |
| Aufschrift „Pressefreiheit für Journalisten in der Türkei“ trug. Yiğit | |
| betreibt seit vielen Jahren das regimekritische Onlinemedium Avrupa Postasi | |
| und schreibt gelegentlich auch für die taz. Schon beim G20-Gipfel im Juli | |
| 2017 in Hamburg wurde ihm, wie auch anderen Journalisten, aus unbekannten | |
| Gründen die bereits erteilte Akkreditierung entzogen. Er klagte deswegen | |
| zusammen mit anderen gegen das Bundespresseamt. | |
| Yiğit war Anfang der 1980er-Jahre nach Hamburg gekommen. Dort heiratete er | |
| eine taz-Redakteurin, bekam zwei Kinder mit ihr. Ursprünglich hatte er eine | |
| unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Nach einer Verurteilung 1996 wurde ihm | |
| diese entzogen, sie muss seither alle zwei Jahre erneuert werden. | |
| Im November 2017 teilte ihm die zuständige Abteilung des Bezirksamtes | |
| Hamburg-Mitte mit, dass sie beabsichtige, seine Aufenthaltserlaubnis nicht | |
| zu verlängern. In dem Schreiben hieß es zur Begründung: Die laut | |
| Aufenthaltsgesetz notwendige Lebensgemeinschaft mit seinen deutschen | |
| Kindern bestehe nicht. Und er sei nicht erwerbstätig. | |
| Der aktuelle Fall: | |
| Am Freitag, 26. Oktober 2018, bekommt Yiğit von seinem Anwalt Michael | |
| Spielhoff eine Mail. Der Anwalt schreibt, es gebe schlechte Nachrichten, | |
| der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei abgelehnt. | |
| Angehängt ist ein Schreiben des Bezirksamt Hamburg-Mitte. | |
| Unter dem Titel „Verfügung (Versagung)“ heißt es darin, dass sein Antrag | |
| abgelehnt wurde. Und weiter: „Sollten Sie nicht bis zum 22.01.2019 (Fettung | |
| im Original, Anm. der Red.) ausgereist sein, wird Ihnen hiermit nach § 59 | |
| AufenthG die Abschiebung ins Heimatland (Türkei) angedroht.“ | |
| Schießlich folgt der ebenfalls gefettete Satz: „Nach Eintreten der | |
| Bestandskraft dieses Bescheides wird Ihnen einen Aufenthaltserlaubnis gem. | |
| § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.“ | |
| In einer ausführlichen Begründung wird auf der vierten Seite des Schreibens | |
| nochmals erklärt: „Unter besonderer Berücksichtigung Ihrer langen | |
| Aufenthaltszeit im Bundesgebiet und damit einhergehender Integration wird | |
| Ihnen, nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheides, eine | |
| Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt.“ | |
| Direkt im Anschluss und bis zum Ende des Schreibens heißt es jedoch wieder: | |
| „Für den Fall, dass Sie Ihrer gesetzlichen Ausreisepflicht innerhalb der | |
| gesetzten Frist nicht nachgekommen sein sollten, wird Ihnen hiermit nach § | |
| 59 Abs. 2 AufenthG die Abschiebung ins Heimatland (Türkei) angedroht“. Dem | |
| Schreiben ist eine „Grenzübertrittschbescheinigung“ beigefügt, die Yiğit | |
| bei seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet der Polizei oder einer | |
| Auslandsvertretung der BRD abgeben soll. | |
| Yiğit und sein Anwalt verstehen das so, dass ihm die Abschiebung droht. | |
| Yiğit wendet sich an die taz. | |
| Die erste taz-Recherche: | |
| Eine Autorin der taz-Nord versucht vergeblich den Anwalt zu erreichen. | |
| Um sich rückzuversichern ruft sie beim Bezirksamt Hamburg-Mitte an, das das | |
| Schreiben verschickt hat, und fragt, ob Yiğit abgeschoben werden soll. Die | |
| Sprecherin des Amtes kennt den Fall, will sich aber beim Abteilungsleiter | |
| des „Fachbereich Ausländerangelegenheiten“ rückversichern. Das tut sie na… | |
| eigenen Angaben und gibt eine Stunde später an, dass Yiğit nach dem | |
| Ausländerrecht keine Möglichkeit habe, eine Aufenthaltserlaubnis zu | |
| bekommen. Es gebe für ihn aber noch den Rechtsweg. Und: Yiğit sei | |
| asylberechtigt. Er bekomme bestimmt Asyl. Sie will aber nicht zitiert | |
| werden, aus datenschutzrechtlichen Gründen. | |
| Dass Yiğit in dem Schreiben tatsächlich ein Aufenthaltsrecht aus | |
| humanitären Gründen erteilt wird und somit keine Abschiebung droht, erwähnt | |
| die Sprecherin des Amtes nicht. Die Asylfrage war in dem Schreiben des | |
| Amtes nicht thematisiert worden. | |
| Am Samstag berichtet die taz in ihrer Nord-Ausgabe in dem Text | |
| [3][„Erdoğan-Gegner soll in die Türkei zurück“] über den Fall. Yiğit, … | |
| es in dem taz-Artikel, sei überzeugt, dass er mit der Abschiebung für seine | |
| Vergangenheit bestraft werden soll. | |
| Im Laufe des Wochenendes berichten auch andere Medien sowie die | |
| Nachrichtenagentur dpa mit dem gleichen Tenor. | |
| Die zweite taz-Recherche | |
| Am Montag, 29. Oktober, rechechiert die taz erneut den Fall. Ein | |
| taz-Redakteur telefoniert mit Florian Käckenmester, dem Sprecher der | |
| zentralen Ausländerbehörde der Stadt Hamburg, die die Fachaufsicht über die | |
| für Ausländer zuständigen Abteilungen der Bezirke hat. Käckenmester sagt, | |
| dass es ein „Missverständnis“ sei, dass Yiğit am 22. Januar abgeschoben | |
| werden solle: | |
| „Tatsächlich ist dieses Datum im Bescheid als Frist für das Verlassen der | |
| Bundesrepublik angegeben. Allerdings handelt es sich dabei um eine | |
| Formalität, die bei der Ablehnung eines Aufenthaltstitels angegeben werden | |
| muss.“ Denn die Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen kann laut § | |
| 25 (5) Aufenthaltsgesetzt erst erteilt, wenn der Betroffene eigentlich | |
| ausreisepflichtig ist. | |
| Die Autorin der taz-Nord telefoniert erneut mit der Sprecherin des | |
| Bezirksamt. Die Sprecherin sagt, dass was sie am Freitag gesagt habe, | |
| damals ihr Sachstand gewesen sei und dass ihr nichts bezüglich der | |
| möglichen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 25 Abs. 5 | |
| AufenthG) mitgeteilt worden sei – obwohl dies in der Verfügung an Yiğit | |
| auftauchte. Die Sprecherin sagt, dass dieser Bescheid für Laien schwer zu | |
| verstehen sei und es für die humanitäre Aufenthaltserlaubnis formal eine | |
| Ablehnung brauche. | |
| Die taz berichtet über diese Entwicklung in dem Text [4][„Journalist will | |
| kein Flüchtling sein“], der erstmals Montagabend online erscheint. Darin | |
| heißt es, „am Montag rudert die Hamburger Ausländerbehörde zurück.“ Und: | |
| „Yiğit führt diese Erklärung der Behörde auf öffentlichen Druck zurück�… | |
| Gegenüber der Nachrichtenagentur epd räumt auch der Sprecher der zentralen | |
| Ausländerbehörde ein, dass das rechtliche Verfahren für Außenstehende | |
| schwer zu verstehen sei. | |
| Die Nachrichtenagentur dpa zieht ihren Bericht über den Fall zurück. „Die | |
| Folgen des Bescheids wurden nicht komplett berücksichtigt“, schreibt die | |
| dpa. | |
| Nachbetrachtung zu taz-Berichterstattung | |
| Auch in beiden taz-Texten wird nicht klar, dass die Hamburger Behörden | |
| Yiğit bereits im ursprünglichen Schreiben eine Aufenthaltsgenehmigung aus | |
| humanitären Gründen erteilt hat. Das ist ein Fehler. | |
| Das Schreiben des Bezirksamts Hamburg-Mitte ist sehr missverständlich. | |
| Zudem stellt sich am Dienstag nach erneuter Rückfrage bei den Hamburger | |
| Behörden heraus, dass ihre Schilderung gegenüber der taz am Freitag nicht | |
| korrekt waren. | |
| Der Anwalt von Adil Yiğit, Michael Spielhoff, erklärt am Dienstag: Der | |
| Bescheid sei widersprüchlich und in dieser Form unüblich. In 40 Jahren als | |
| Anwalt habe er so ein Schreiben nicht gesehen. Die Aufenthaltserlaubnis aus | |
| humanitären Gründen hätte auch erteilt werden können, ohne dass mit der | |
| Abschiebung gedroht wurde. | |
| „Wenn dieser Bescheid rechtskräftig wird, kann nicht ausgeschlossen werden, | |
| dass die Behörden versuchen, Yiğit abzuschieben – auch wenn man das | |
| gerichtlich anfechten könnte“, sagt der Anwalt. Schließlich sei seinem | |
| Mandaten auch eine Grenzübertrittbescheinigung ausgehändigt worden, die er | |
| bei der Ausreise an der Grenze abzugeben habe. | |
| Yiğit und sein Anwalt wollen in jedem Fall Widerspruch gegen den Bescheid | |
| einlegen. Er beharrt darauf, dass er nach über 35 Jahren in Deutschland | |
| nicht nur aus humanitären Gründen ein Bleiberecht haben möchte. | |
| Volkan Ağar, Ali Çelikkan, Gereon Asmuth | |
| 31 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://faktenfinder.tagesschau.de/fall-yigit-101.html | |
| [2] https://causa.tagesspiegel.de/kolumnen/heinrich-schmitz/adil-yigit-kein-gru… | |
| [3] /Auslaenderbehoerde-macht-ernst/!5543308 | |
| [4] /Adil-Yiit-nach-Protest-gegen-Erdoan/!5543707 | |
| ## AUTOREN | |
| Volkan Ağar | |
| Ali Çelikkan | |
| Gereon Asmuth | |
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