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# taz.de -- Die Wahrheit: Gott mit dir, Karpatenvolke!
> Polens graue Eminenz Jarosław Kaczyński ernennt Bayern zum märchenhaften
> Vorbild für das abgelegene Karpatenvorland.
Es begab sich aber zu der Zeit Anno Domini 2018, in eben jenem nicht enden
wollenden glutheißen Sommer, der als die bärenwärmste Jahreszeit der
neueren Menschheitsgeschichte in die Annalen eingehen sollte, dass der
große Vorsitzende der polnischen Partei Recht und Gerechtigkeit Jarosław
Kaczyński auf einer Wahlkampfveranstaltung nahe der einzigen Großstadt der
Woiwodschaft Karpatenvorland, also bei Rzeszów, vor Landmännern und
Bauernfrauen eine Rede hielt, bei der er nicht von einem breitkrempigen Hut
geschützt ward, weshalb die vom weltweiten Klimawandel angefeuerte Sonne
ihm den Hirnkasten derart aufbuk, dass er den vor der Bühne versammelten,
für ihre verwachsenen Beton- und Sprengköpfe berühmten
Karpatenvorlandbewohnern ein blütenreiches Märchen auftischte.
Die staunten mit offenen Mäulern nicht schlecht, als sie sich die deutsche
Predigt des katholischen Vorsitzenden anhörten: „Ich weiß, dass wir hier
kein Dubai errichten, aber ich habe mir die Frage gestellt, ob man hier auf
dieser Erde, und auch in den Regionen um das Karpatenvorland, nicht ein
polnisches Bayern aufbauen kann.“ Da jagte selbst die sonst so sachliche
Deutsche Presse-Agentur, um den polnischen Seher zu würdigen, eine leicht
spöttisch klingende Meldung über die Nachrichtenticker: „Kaczyński sieht
‚polnisches Bayern‘ im Karpatenvorland.“
Wenn schon kein Dubai, dann sollte ausgerechnet das urdeutsche Bayern, das
Land von Laptop und Lederhose, von Maibaum und Oktoberfest, von BMW und
Audi zum Vorbild werden für den von der Zivilisation weitgehend
abgeschnittenen und von Pferdepflugbauern geprägten Landstrich vor den
Karpaten?! War der Altmeister des Hasses auf die „Szwab“, wie man in Polen
die Deutschen verächtlich nannte, plötzlich altersmilde geworden? Was bloß
war in den legendären Deutschenfresser Kaczyński gefahren? Der Beelzebub
persönlich? Gott mit dir, Karpatenvolke!
## Herrlich gottesfürchtiger Staat
Bis zu diesem siedend heißen Spätsommertag galt Jarosław Kaczyński als
legitimer Erbe seines Zwillingsbruders Lech, mit dem er sich einst
gemeinsam auf den Weg zur Macht gemacht hatte, um die sozialistisch
verdorbene Republik Polen zu einem herrlich gottesfürchtigen Staat
umzubauen, in dem Lech Präsident war, bis er von russischen Galgenvögeln im
mythenumrankten Ort Katyn vom Himmel geholt wurde und in die Ewigen
Jagdgründe einging. So erzählte es der Nachlassverwalter Jarosław allen und
vor allem seinen Getreuen, die jene Heldensage nur zu gern glaubten, wie
auch, dass die Russen und die Deutschen schuld seien an sämtlichen Übeln
der Welt, für die es nur eine Erlösung gäbe, wenn nämlich der römische
Herrscher über den Vatikan endlich den heldenhaften Polenführer Lech
Kaczyński heiligspräche. Die nötigen Wunder ließen sich sicher herbeibeten.
Halleluja!
Und nun das! Ein polnisches Bayern! Wie das wohl aussähe? Hatte die
Bezirkshauptstadt Rzeszów überhaupt einen Fußballverein, der dem FC Bayern
München nacheifern könnte? Beim großen Mottek, aber ja! Ist doch der CWKS
Resovia einer der ältesten polnischen Fußballklubs, der immerhin zuletzt
1975 polnischer Meister war. Jetzt musste er nur noch in Karpatia Resovia
umbenannt werden, um den Truppen des Bayernfürsten Uli Hoeneß Saures zu
geben und bald, schon bald bestimmt die Champions League zu gewinnen.
Lacht nur, ihr arroganten Bayern! Beim Fußball wird es nicht bleiben!
Dachte sich der mit allen Weihwassern gewaschene Kaczyński, und vor seinem
geistigen Auge blitzte schon das Bayerische im Karpatischen auf: Ein
eigenes Oktoberfest mit Krakauern statt Weißwürsten; ein modernes Automobil
der Marke KMW, gefertigt in den Karpatischen Motoren Werken; ein
futuristisches Weltraumprogramm mit rasanten Raketentriebwerken, mit denen
man selbst den weit entfernten Planeten Söder erreichen könnte.
## Bäuerlich armes Hinterwaldländchen
Dabei kannte Kaczyński doch die sagenhaft verlogene Aufstiegsgeschichte
seines Vorbilds genau. Denn auch das feine Bayernland war einmal ein
bäuerlich armes Hinterwaldländchen. Erst als das damals schwermetallreiche
Nordrhein-Westfalen die bedauernswerten südlichen Verwandten, die nichts
hatten außer weißblauem Himmel, alpenzarter Luft und almsündiger Liebe,
nach dem Zweiten Weltkrieg im Länderfinanzausgleich alimentierte, erst als
aus der Frontstadt West-Berlin die unzähligen Firmenzentralen gen
Westdeutschland, in das Millionendorf München abwanderten, da stieg Bayern
auf zum Kalifornien des Südens, zum Arkadien der Alpen, zur bajuwarischen
Schweiz. Ein Blenderstaat von Gottes Gnaden, gebaut auf den kaputt
wullackten Rücken polnischstämmiger Kohlekumpel, wusste der bauernschlaue
Kaczyński.
Und irgendwo an der Stelle muss die Blendung des in der Sommersonne
unbehüteten Redners Jarosław Kaczyński eingesetzt haben. Niemandem in der
Schar seiner verwunderten Zuhörer mochte er erklären, in welcher Bonanza er
das viele Gold schürfen wollte, das es bräuchte, um die karpatiöse Region
am Rande der bekannten Welt in ein Eldorado zu verwandeln.
Mit den schurkischen Russen wollte er nichts zu tun haben, mit dem
europäischen Sowjet-Imperium in Brüssel erst recht nicht, die reichen
Verwandten aus New York und Chicago riefen nur noch „America first“ und die
neuen Herren der Welt aus China waren an den erzkatholischen Polen nicht
die Sojabohne interessiert. Und selbst die Blütenträume von milliardenhohen
deutschen Reparationen für die Kriegsschäden zerplatzten bereits, bevor
Kaczyński sie noch in Worte fassen konnte.
So reihte sich im Heißsommer des Jahres 2018 Polens hitzegeschädigte graue
Eminenz Jarosław Kaczyński mit ihrem Ammenmärchen vom polnischen Bayern
nahtlos ein in die weltumspannende Riege der von blühenden Landschaften
fabulierenden politischen Märchenonkel. Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann labern sie noch heute …
6 Nov 2018
## AUTOREN
Michael Ringel
## TAGS
Bayern
Polen
Jarosław Kaczyński
Bruno Ganz
Filmgeschichte
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