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# taz.de -- Nach dem Amoklauf auf der Krim: Zweifel an der These vom Einzeltät…
> Ein Einzeltäter soll in einer Schule in Kertsch 20 Schüler erschossen
> haben, hieß es. Polizei und Geheimdienst suchen weiter nach möglichen
> Mittätern.
Bild: Trauer um die Opfer in Kertsch
Kiew taz | Lange haben die ukrainischen Behörden gewartet, bis sie
offiziell auf [1][die Morde von Kertsch] reagierten. Erst am Abend des
Tages, an dem in der Stadt Kertsch auf der von Russland annektierten Krim
20 Schüler ermordet waren, drückte Präsident Petro Poroschenko den
Angehörigen der Toten sein Beileid aus. Doch während die russischen
Behörden der Krim eine dreitägige Trauer verkündet haben, scheinen
ukrainischen Politikern Beileidsbekundungen ausreichend zu sein.
Die in Kiew tätige ukrainische Journalistin Elena Lysenko, die in Kertsch
aufgewachsen und 40 Jahre dort gelebt hat, will die Behauptung der
russischen Ermittlungsbehörden, der 18-jährige Student Wladislaw Rosljakow,
habe die Morde alleine begangen, nicht glauben.
Auch nachdem der mutmaßliche Täter getötet worden war, sei die Suche nach
weiteren Tätern in Kertsch auf Hochtouren gelaufen, so Lysenko zur taz.
„Die ganze Stadt wird durchkämmt. Einwohner von Kertsch haben mir
berichtet, dass überall Polizei und FSB sei. Wenn es wirklich ein
verrückter Einzelgänger war, warum wird immer noch nach Mittätern gesucht?“
fragt sich Lysenko.
Sofort nach Bekanntwerden der Morde seien in Kertsch Gerüchte von mehreren
Tätern im Umlauf gewesen, so Lysenko. Auf ihrer Facebook-Seite
veröffentlichte sie ein Foto des toten Rosljakow, das diesen auf dem Boden
der Schulbibliothek zeigt. Das Foto lasse Zweifel an der Glaubwürdigkeit
der Behauptung vom Selbstmord des mutmaßlichen Täters aufkommen. Der Kopf,
der in einer Blutlache liege, sei fast vertikal in der gleichen Position
wie der Körper. Doch wer sich mit einer Schrotflinte in den Kopf schieße,
dessen Kopf werde in eine andere Richtung gerissen, so die Journalistin.
Auch die Hand des Täters liege in größerem Abstand vom Gewehrabzug
entfernt. Wer sich mit einer Schrotflinte in den Kopf geschossen habe, so
Lysenko, sei nicht mehr in der Lage, seine Hand in eine gänzlich andere
Stellung zu bringen. Verwunderlich sei auch, dass ein 18-jähriger Sohn
einer alleinerziehenden Krankenschwester das Geld für eine Schrotflinte und
150 Patronen habe.
## Angst und Schrecken
Gleichzeitig weist Lysenko auf ein Interview von zwei Schülerinnen aus
Kertsch auf Youtube hin, in dem diese berichten, es sei mehr als eine
Person gewesen, die in der Schule geschossen habe. Schon Wochen vor dem
Anschlag, so Lysenko, hätten regelmäßige Anti-Terror-Übungen und Warnungen
vor möglichen Terroranschlägen die Bevölkerung in Angst und Schrecken
versetzt.
Auch Georgij Tuka, stellvertretender „Minister für die besetzten Gebiete
und Binnenflüchtlinge“ berichtet, dass man in Kertsch auch nach dem Tod des
mutmaßlichen Täters nach weiteren Tätern suche. Über der Stadt kreisten
Hubschrauber, einige Augenzeugen sprechen gar von vier Tätern, so Tuka
gegenüber dem Fernsehsender „112“
Das Internetportal „strana.ua“ weist auf Parallelen zu dem Schulmassaker
1999 von Littleton in den USA hin. Die Kleidung von Wladislaw Rosljakow
ähnelte sehr der Kleidung eines der beiden Täter von Littleton, dem
18-jährigen Eric Harris. Beide trugen bei ihrer Tat eine schwarze Hose, ein
weisses T-Shirt, schwarze Handschuhe. Und beide hatten sich in der
Schulbibliothek selbst getötet.
Auch wenn die Morde von Kertsch offensichtlich keinen politischen
Hintergrund haben, gibt es gegenseitige Schuldzuweisungen. Refat
Tschubarow, Sprecher der Krimtataren, erklärte in Kiew, es sei schon
verwunderlich, dass nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Morde
russische Medien von einem Täter gesprochen hätten, der wie ein Krimtatare
aussehe.
Gleichzeitig gaben Nutzer der sozialen Netzwerke in Russland der Ukraine
die Schuld an den Morden. Doch die Morde von Kertsch, so die oppositionelle
russische Nowaja Gazeta, könnte auch Ukrainer und Russen in ihrer Trauer
ein Stück weit einander näher bringen.
18 Oct 2018
## LINKS
[1] /Explosion-in-Schule-auf-der-Krim/!5544040
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
Petro Poroschenko
Krim
Russland
Russland
Amoklauf
Georgien
Oleg Senzow
Ukraine
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