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# taz.de -- Im französischen Tal der Pferde: Ein Ballungsraum der Vorgeschichte
> Die Départements Corrèze, Dordogne und Lot bilden ein Eldorado für
> Wanderreiter. Dort findet man auch die ersten Pferdemalereien.
Bild: Die berühmten getupferten Pferde in der Grotte von Pech Merle
Das Périgord würde zu den abgeschiedensten Landstrichen Europas zählen,
wäre es nicht in zwei Disziplinen Weltspitze: in der Prähistorie und in der
Gastronomie. Zwischen beiden besteht durchaus Verbindung, gibt doch
klassische Jäger- und Sammlerbeute der Küche Kolorit: Nieder- und
Federwild, Trüffel, Pilze, Nüsse und Waldfrüchte. Auch Pferde werden
vielfach noch verschmaust, gleichberechtigt neben Rind- und
Schweinefleisch.
Von Norden kommend, scheuerte die Vézère sich hier durch ein Massiv aus
Sandstein und schuf ein Labyrinth aus Siphonkurven, Steilufern und
schroffen Höhen. Ein Ballungsraum der Vorgeschichte: Entlang eines 30
Kilometer langen Flussabschnitts finden sich etwa 60 prähistorische
Stätten, darunter die berühmte Höhle von Lascaux, das erste Weltwunder. Der
kürzlich eröffnete virtuose Nachbau („Lascaux IV“) verbindet die Magie
der Vorzeit mit den multimedialen Möglichkeiten der Gegenwart: Anima,
Animal, Animation.
Stolz bezeichnet die Region sich als „das Tal des Menschen“. Doch sie
könnte sich ebenso gut als „das Tal der Pferde“ titulieren, waren sie doch
das mit Abstand populärste Wild. In Lascaux stehen sie für 60 Prozent aller
Tierdarstellungen. Auch etliche andere Fundstätten sind diesem Kulttier
gewidmet. Etwa der monumentale Fries von Cap Blanc oder die blauen Pferde
von Villars, deren Farbe von Yves Klein zu stammen scheint, in Wahrheit
jedoch von hauchdünnen Kalkspatausfällungen herrührt.
Ganz in der Nähe betreibt Laurence Perceval eine Araberzucht; darüber
hinaus nutzt sie die Tiere für die therapeutische Arbeit. „Schon C. G. Jung
wusste: Pferde bringen uns ins Hier und Jetzt. Zugleich spiegeln sie unsere
Emotionen, unsere Blockaden, unsere Ängste.“ In ihren Workshops bringt sie
auch die spirituellen Qualitäten der Felsbilder zur Sprache. „Sie zeigen,
dass diese Menschen nicht nur mit dem Überleben beschäftigt waren, sondern
dass sie auch geträumt haben. Pferde hatten etwas Fesselndes, ja
Weihevolles für sie.“Sie ist davon überzeugt, dass damals noch andere
Kommunikationskanäle genutzt wurden.
„Tiere können direkte Botschaften an unser Gehirn senden. Etwas Ähnliches
haben die Urmenschen vielleicht mit ihren Bildern versucht.“ Bis heute ist
die Region Pferdeland geblieben. Die kargen Böden lassen sich nur schwer
bewirtschaften, doch als Weideland eignen sie sich gut. Die Départements
Corrèze, Dordogne und Lot bilden ein Eldorado für Wanderreiter. Allein Lot
verfügt über 1.000 Kilometer Reitwege.
## Mit dem Pferd durch lichte Eichenwälder
Von seinem Pferdehof bei Pech Merle aus bietet Pascal Gaudebert Ritte durch
die alte Landschaft des Quercy an. Durch lichten Eichen- und Pinienwald,
durch stille Dörfer und wildromantische Wallfahrtsorte wie Rocamadour. Auch
ein Zweig des Jakobswegs durchquert die Region. Wobei Pascals Hof selbst an
einer Art Wallfahrtsziel liegt, der Höhle von Pech Merle. Sie birgt die
berühmten „Tigerpferde“. Gab es etwa auch gescheckte Spielarten des
Urpferds?
Die Höhle gibt die Antwort. Pascals Großvater hat sie 1922 entdeckt.
Bewehrt mit drei Taschenlampen und einem zehn Meter langen Seil, gelangte
er mit ein paar Spielgefährten in eine der prächtigsten Tropfsteinhöhlen
weit und breit, die seit Jahrtausenden niemand mehr betreten hatte. Heute
führen metallische Stufen 40 Meter in die Tiefe. Unten öffnet sich eine in
den Boden hineinversenkte Kathedrale.
Zwischen den Tropfsteinen prangen überall Malereien an der Wand wie
unterirdische Ikonen. Manche sind unübersehbar mit Handabdrücken signiert.
Der Größe und den Proportionen nach zu urteilen, dürften es Frauenhände
gewesen sein. Die Pigmente leuchten an den feuchten Wänden, als wären die
Malerinnen kurz rausgegangen, um frische Luft zu schnappen.
In den fünfziger Jahren sorgte André Breton während einer Führung für einen
Eklat, als er mit dem Daumen an einem Mammut rubbelte, angeblich, weil er
die Echtheit der Malereien bezweifelte, in jedem Fall aber, um sich wichtig
zu machen. Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet der Begründer
des Surrealismus handgreiflich wurde, als er sich mit diesen meisterhaften
Manifestationen des kollektiven Unbewussten konfrontiert sah.
Den Höhepunkt des Rundgangs bildet der Pferdefries, mit 29.000 Jahren das
älteste Motiv der Höhle. Die beiden Pferde stehen leicht versetzt im
Nichts. Bei den vermeintlichen Tigertupfen handelt es sich um Punktsymbole,
die sich auf dem Fell der Tiere finden, doch auch rundherum. Eingefasst
wird die Szene von drei linken und drei rechten Händen. Sie scheinen die
Pferde berühren oder zumindest lenken zu wollen. Gebieterisch setzen sie
der Natur ihren Willen entgegen. Meinte Laurence Perceval diese Macht der
Bilder, als sie von telepathischen Kräften sprach?
Die Künstler der Eiszeit waren die Ersten, die sich der Herausforderung
Pferd stellten. Einer Herausforderung, die bis heute anhält, wo Menschen
sich bezaubern lassen von ihrer Schönheit. Ihrer Neugier. Ihrer
Schüchternheit. Ihrem Elan. Ihrer Ruhe. Ihrer Stärke. Ihrer
Verletzlichkeit. Ihrer Anmut. Ihrer Hoheit.
Doch bereits die prähistorischen Darstellungen bekunden fühlbar Nostalgie.
Sie zeugen von einem Unbehagen in der Natur, der ihre Schöpfer nicht länger
gänzlich angehörten. Der Weg zum Menschen gelangte mit diesen bewusst und
ein für allemal gesetzten Zeichen in eine neue Ära: zu sich selbst. Die
Souveränität, mit der dies geschah, wird die Nachwelt bis ans Ende der
Zeiten in Verwunderung versetzen. „Es scheint“, staunte John Berger in
Lascaux, „als wäre die Kunst auf die Welt gekommen wie ein Fohlen, das von
Geburt an auf eigenen Beinen stehen kann.“
14 Oct 2018
## AUTOREN
Stefan Schomann
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