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# taz.de -- Die Höhlen von Lascaux: Im Tal des Menschen
> Die Tiermalerei in Frankreichs berühmter Höhle beeindruckte auch Picasso.
> Die fantastischen Malereien waren 20.000 Jahre verschüttet.
Bild: Prähistorische Malerei auf Fels.
Unfassbar, diese Malereien. Die Höhle von Lascaux ist ein verzaubertes
Universum. Hunderte von Tieren um uns herum, an den Felswänden bis hoch zur
Höhlendecke. Stiere, Kühe, Pferde, Hirsche. In Bewegung. Es sind
kraftvolle, wilde Tiere. Lebensecht. Die Linienführungen genial, die
Proportionen ausgewogen. Sie sind geschickt in die natürlichen
Felsformationen eingearbeitet.
Wir stehen gedrängt im „Saal der Stiere“. Alle starren fasziniert auf diese
Tierwelt. Viele Väter tragen ihre Kinder auf den Armen, die Kleinen sind
ungewöhnlich still. Der größte Stier misst über 5 Meter. Daneben Gruppen
kleinerer Tiere, vor allem Pferde. Einige der Malereien überlagern sich.
Man ahnt, dass hier mehrere Künstlergenerationen am Werk waren.
Während wir uns langsam weiterbewegen, scheinen auch die Tiere wieder in
Bewegung zu kommen, galoppierend, springend, gemächlich weiterziehend. Zum
„Axialen Divertikel“ hin passieren wir wunderbar gearbeitete Hirsche. Der
eine hat uns fest im Blick, sein linkes Auge scheint uns lange zu
beobachten. Und dann wieder Pferde und nochmals Pferde. Ganze Herden
unterwegs. Ein Pferd stürzt rücklings von einem Felsen.
Am Faszinierendsten aber ist der Raumeffekt, die Tiefenwirkung. Kaum zu
glauben, wie die Künstler die unebenen Felswände mit ihren vielen
Buchtungen und Nischen nutzten, um Plastizität und Raumgefühl zu erzeugen.
Schraffierungen und Aussparungstechnik, etwa bei Gliedmaßen, unterstreichen
den Tiefeneffekt der Malereien.
## Kulturerbe der Menschheit
Wer bis heute dachte, dass erst Maler der Renaissance die Perspektive
erfanden, wird hier eines Besseren belehrt. Rund 16.000 Jahre alt und älter
sind die Malereien von Lascaux. Sie sind „Prähistorie“. Hat die Menschheit
danach erst einmal „vergessen“, wie man richtig gut malt?
Viel zu schnell sind wir wieder im Freien. Alle zehn Minuten drängt eine
neue Besuchergruppe nach. Lascaux II, das Faksimile, das uns heute
offensteht, umfasst nur die beiden Hauptkammern der Originalhöhle. Die
echte wurde bereits 1963 wieder geschlossen. 15 Jahre Öffentlichkeit hatten
gereicht. Der Zustand der Malereien hatte sich zusehends verschlechtert.
Ein Ersatz musste her. Denn Lascaux hatte massenhaft Besucher angelockt und
das Weltbild vieler Menschen von den „dumpfen“ Steinzeitlern
durcheinandergebracht. Kein Wunder, dass viele Menschen hinter Lascaux
Künstler à la Picasso vermuteten, die sich einen Scherz erlaubt hatten.
Natürlich besuchte Pablo Picasso Lascaux. Es wird berichtet, dass ihn die
Malereien schwer erschütterten. Sein knapper Kommentar: „Wir haben nichts
dazugelernt.“
Trotz der Besuchermassen geht es im Eichenwäldchen auf dem Hügel von
Lascaux beschaulich zu. Die Tickets müssen bereits in der Ortschaft
Montignac gekauft werden, die Gruppen werden vorher eingeteilt. Wir
schlendern einige hundert Meter weiter zur echten Höhle. Das Gelände ist
umzäunt, ein Schild der Unesco weist auf dieses „Kulturerbe der Menschheit“
hin.
## Vallee Vezere strotzt vor Prähistorie
Vier Jugendliche hatten es 1940 entdeckt. Sie suchten ihren Hund, er war in
dem verschütteten Höhleneingang abgerutscht. Was unter den Jugendlichen
eigentlich ein Geheimnis bleiben sollte, machte dann aber schnell als
sensationelle Entdeckung die Runde, als „Sixtinische Kapelle der
Vorgeschichte“. Neben Altamira an der kantabrischen Küste (Spanien) und
Font de Gaume, gut 50 Kilometer entfernt bei Les Eyzies, ist Lascaux die
einzig bekannte multichrome Höhle. Das heißt, dass die Künstler vielfarbig
arbeiteten. Sie benutzten Schwarz, Weiß und vor allem Rot, Gelb und Braun.
Auch ihre Technik war vielfältig, sie arbeiteten mit Händen und Fingern,
mit Pinseln, Stiften und Farbblöcken und pusteten auch die Farbe auf,
entweder mit Hilfe von Röhrchen oder direkt mit dem Mund. Für
Ritzzeichnungen und Reliefs, die sich vor allem in anderen Höhlen dieser
Region befinden, standen ihnen effiziente Steinwerkzeuge zur Verfügung. Und
damit erschufen sie Tiere, immer nur Tiere. Mammuts, Pferde, Bisons,
Rinder, Hirsche, Steinböcke, aber auch Löwen, Panther, Hyänen und Fische
und viele andere.
Das Vallee Vezere strotzt vor Prähistorie. Zwischen Lascaux und Les Eyzies,
dem Zentrum, liegen rund 50 Kilometer. Eine sehr reizvolle Flusslandschaft.
Wir befinden uns im Perigord, nördlich der Dordogne. Hohe Kalkfelsen säumen
die Vezere und ihre Zuflüsse. Für die vielen Kanuten, die auf dem Wasser
unterwegs sind, ist es ein großartiges Ambiente. Die Felsen bergen zahllose
Höhlen, von denen viele ausgemalt sind. Vor allem große Felsüberhänge, die
Abris, sind für diese Felsen charakteristisch. Viele prähistorische Stätten
sind der Öffentlichkeit nicht oder nicht mehr zugänglich, andere dagegen
sind freizeitgerecht und für die Bedürfnisse von Familien mit Kindern
aufbereitet. In der „Höhle der hundert Mammuts“, Rouffinac, fährt sogar e…
Elektrobähnchen.
Les Eyzies selbst, das Zentrum, punktet mit einem hervorragenden
prähistorischen Museum, mit Ausgrabungsstätten und anderen
wissenschaftlichen und Besuchereinrichtungen. Eine interessante Region, in
der man sich, historischen Spuren folgend, wochenlang aufhalten kann.
Damals allerdings, zu Zeiten der Steinzeitmaler, war diese Ferienregion ein
überlebensnotwendiger Lebensraum. Ohne schützende Höhlen, ohne die Nischen
und die Abris hätte der Cro-Magnon-Mensch schwerlich Fuß fassen können im
heutigen Europa. Die Kälte der letzten Eiszeit, die entsetzlich langen
Winter machten Schutz nötig.
## Ausdruck der Menschwerdung
Auf halber Strecke nach Les Eyzies machen wir einen Abstecher zum Roque
Saint-Christophe, zu einem dieser vorteilhaften Abris, wo man so gut leben
konnte. Und wieder überbietet die Anschauung jede Vorstellung. Über 300
Meter lang ist der größte Abri, eine überdachte Plattform auf halber Höhe
des Felsens. Als hätte eine Riesenmaschine den Fels gefräst, exakt auf
Raumhöhe. Hinzu kommen weitere Abris und Höhlen auf insgesamt fünf Ebenen.
Zahllose Besucher flanieren auf der großen Terrasse wie beim
Sonntagsausflug auf dem Frankfurter Flughafen. Das Interesse der meisten
gilt mittelalterlichen Siedlungsresten. Zum Schutz vor den Normannen wurde
dieser Fels einst zu einer befestigten Stadt ausgebaut. In einer kleineren
Höhle ist eine wilde Szene unter Neandertalern am Feuer nachgestellt, den
ersten, die hier siedelten.
Lebten die Maler von Lascaux vielleicht auch im Schutz dieser Felsen?
Welche herausragende Bedeutung hatte der Roque Saint-Christophe vor
zwanzigtausend Jahren? Immerhin ist er die größte europäische Höhlenanlage.
War er damals vielleicht „weltberühmt“? Vielleicht wussten die Leute aus
dem Vallee Vezere, der Ardeche, aus Spanien, Italien, Deutschland,
Osteuropa voneinander. Die fantastischen Höhlenmalereien von Chauvet im Tal
der Ardeche etwa, erst 1994 entdeckt (die Höhle war über 20.000 Jahre lang
verschüttet), sind ebenso alt wie die plastischen Kunstwerke von der
Schwäbischen Alb (35.000 Jahre). Und sie sind genauso vital und perfekt wie
die späteren (beziehungsweise jüngeren) aus Lascaux. Ob Tausende von Jahren
früher oder später und egal wo, die Steinzeitkünstler malten und formten
dieselben Motive.
Tatsächlich befördert die Vorzeit Fantasie und Spekulationen. Als sicher
gilt, dass den Steinzeitlern ihre ausgemalten Höhlen „heilig“ waren, dass
sie sie nur zu besonderen Anlässen aufsuchten. Gelebt und gewohnt wurde
vorzugsweise im Freien. Aber warum sie immer nur Tiere malten, ist nach wie
vor erklärungsbedürftig. Vermutlich war Jagdzauber mit im Spiel, doch die
durch und durch friedlichen Szenen aus der Tierwelt sprechen eher dagegen.
Derzeit spricht man gern vom Schamanismus.
Noch 1955 feierte der französische Philosoph Georges Bataille die Malereien
in seinem Lascaux-Buch ungeniert als Ausdruck der „vollendeten
Menschwerdung“ unserer eigenen Spezies. Werkzeuge herzustellen, den Homo
faber zu geben, das konnte auch schon der Neandertaler, meinte Bataille.
Erst die Kunst mache den Unterschied. „Es kann keine vollkommenere,
menschlichere Erfindung geben als diese Felsmalereien, mit denen,
sozusagen, unser Leben beginnt.“ Die Entstehung der Kunst sieht er im
direkten Zusammenhang mit dem Werden von Religion.
Die Vergöttlichung der Tierwelt zeige das Sehnen nach einer ursprünglichen,
animalischen Empfindung, nach einer Archaik, von der sich Homo sapiens
sapiens wegen seiner biologischen Sonderentwicklung entfernt habe und immer
weiter entfernen müsse. Wie „Wasser im Wasser“, so beschreibt Bataille
dieses „In-der-Welt-Sein“ der Tiere, ein Zustand der „Immanenz“,
ungeschieden, gleitend – und überaus faszinierend.
Gut möglich, dass die ausgemalten Höhlen Kultstätten waren, an denen
rituell die Versöhnung mit der ursprünglichen Animalität gesucht wurde.
Dass die Steinzeitler großen Respekt vor Tieren hatten, liegt auf der Hand.
Sie waren eine Minderheit im Verhältnis zur Zahl größerer, vor allem
räuberischer, fleischfressender Tiere.
## Eine Soezies unter anderen
Zehntausende von Jahren lang gab es immer nur vergleichsweise wenige
Lebewesen ihrer Gattung. Einige tausend Jahre lang lebten sie außerdem noch
in Kooperation (oder im Kampf?) mit Neandertalern. Sie lebten in mehr oder
weniger großen Gruppen, aber verstreut über riesige Gebiete. Nirgends ein
Zentrum, keine übergeordnete Instanz. Sie waren nur eine Spezies unter
anderen. Ihre Erfahrungs- und Lebensgrundlage muss gänzlich anders gewesen
sein als heute. Es gab jedenfalls keinen Grund, sich stolz und anmaßend als
Krone der Schöpfung zu empfinden.
Font-de-Gaume bei Les Eyzies ist mit den 14.000 Jahren alten Malereien die
aus heutiger Sicht jüngste der ausgemalten Höhlen. Die Höhle wirkt intim
und zeitlos schön, von ihrer Höhlenform her bis hin zu einigen der
berühmtesten Tierszenen der Malerei. Es hätte so weitergehen können, aber
nach Font-de-Gaume war Schluss. Nach über 20.000 Jahren großartiger Kunst.
Das Ende der Höhlenmalerei fiel mit der „neolithischen Wende“ zusammen. Die
Menschheit wurde sesshaft. Statt Tiere zu malen, wurden sie domestiziert.
Nicht unbedingt schön, was da seinen Anfang nahm, aber sehr ökonomisch.
29 Jun 2013
## AUTOREN
Christel Burghoff
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