| # taz.de -- Grotte Chauvet im Süden Frankreichs: Steinzeitkunst als Kopie | |
| > Öffentlich zugänglich ist die Grotte Chauvet mit ihren zahlreichen | |
| > uralten Wandmalereien nicht. Für Besucher wird eine aufwendige Replik | |
| > gebaut. | |
| Bild: Pferdebilder in der Grotte Chauvet Pont d'Arc. | |
| VALLON-PONT-D’ARC taz | An einem regnerischen Wintertag zwängt sich der | |
| französische Höhlenforscher Jean-Marie Chauvet durch ein Loch in einer | |
| Felswand nahe der Ardèche in Frankreich. Zehn Meter tief seilt er sich in | |
| eine Höhle ab, in der er einen sagenhaften kulturellen Schatz entdeckt. | |
| Gemeinsam mit seinen Begleitern Eliette Brunel Deschamps und Christian | |
| Hillaire schreibt das Trio an diesem 18. Dezember 1994 Geschichte, denn die | |
| entdeckte Höhle birgt mehr als 36.000 Jahre alte Malereien in einem | |
| fantastischen Zustand. | |
| Die drei Forscher sind überwältigt von den Farben und der Intensität der | |
| Bilder. Mehr als tausend Wandmalereien mit insgesamt 14 verschiedenen | |
| Tierarten haben steinzeitliche Künstler der Nachwelt hinterlassen. Über | |
| vier Höhlensäle sind die Kunstwerke verteilt. Ganze Tierherden sind in | |
| einem großen Saal zu sehen: Mammuts, Wollnashörner und Löwen mit Ocker und | |
| Ruß auf den Fels gemalt oder geritzt, teils sogar in Originalgröße. | |
| Ende Juni 2014 ist die „Grotte Chauvet Pont d’Arc“ nun zum | |
| Unesco-Weltkulturerbe ernannt worden. Die Archäologin Elisabeth Cayrel | |
| erstellte die mehrere hundert Seiten dicke Bewerbungsmappe für die Jury. | |
| „Lascaux schickte im Jahr 1972 eine 25-seitige Bewerbung. Wir haben fünf | |
| Jahre für unsere Mappe gebraucht“, berichtet sie. | |
| „Die Jury legt großen Wert darauf, dass die Natur in der Umgebung der Höhle | |
| erhalten bleibt und dass unser Projekt nachhaltig und ganzheitlich gemanagt | |
| wird. Man will ja durch den zu erwartenden Tourismus nicht die Landschaft | |
| und die Kulturstätten zerstören.“ | |
| Für Steinzeitfans und Touristen arbeitet man derzeit auf Hochtouren an | |
| einem Museum, das die schönsten Höhlenmalereien der Grotte in einer | |
| detailgetreuen Replik darstellt. Es entsteht auf der Hochebene oberhalb von | |
| Vallon Pont d’Arc. Wenn man vom gegenüberliegenden Gelände auf das | |
| Hochplateau mit dem ovalem Museumsbau schaut, könnte man meinen, dort sei | |
| ein riesiges ovales Raumschiff gelandet. Der gigantische Bau soll sich | |
| später einmal, mit Gras überwachsen, in die typische Kalksteinlandschaft | |
| einfügen. Auf 8.000 Quadratmetern wird hier ab kommenden Frühjahr die | |
| weltweit größte Replik einer Steinzeithöhle Besucher anlocken. | |
| ## Auf der Baustelle | |
| Momentan surren auf der Baustelle etliche Kräne und rattern | |
| Presslufthammer, alles überdeckt von einer großen Staubwolke. Albert Ollier | |
| aus dem Architektenteam erklärt, wo später einmal der Eingang zum | |
| Höhlen-Nachbau sein wird: „Die Besucher gehen durch einen Tunnel rein, | |
| vorbei an einer Felswand. Das Faksimile wird 14 Meter hoch sein und die | |
| Decke misst 3.500 Quadratmeter. Später wird das alles eine 3-D-Struktur | |
| bekommen, mit der gleichen Oberfläche und den Malereien wie in der | |
| Originalhöhle.“ | |
| Ein interdisziplinäres Team aus Archäologen, Konservatoren, | |
| Kunsthistorikern und Künstlern arbeitet derzeit auf Hochtouren in ihren | |
| Ateliers an den Repliken der Höhlenwände und an den Malereien. Die | |
| Höhlenwände werden aus Zement und Kunstharzen rekonstruiert. Für die | |
| Malereien verwenden die Konservatoren Ocker und Kohle und benutzen die | |
| gleichen Wisch-, Ritz- und Maltechniken wie ihre Vorfahren. | |
| Der Eingang zur „echten“ Höhle liegt nur 400 Meter Luftlinie vom Museum | |
| entfernt im Kalksteinfels versteckt. Um die Gemälde zu bewahren und den | |
| unversehrten Zustand der Höhle zu konservieren, wurde die Grotte Chauvet | |
| 1995 mit einer Tresortür verschlossen und darf seitdem nur unter strikten | |
| Auflagen von wenigen Wissenschaftlern zweimal im Jahr besucht werden. | |
| ## Mikroklima wird gestört | |
| Man will nicht die gleichen Fehler machen wie bei der Lascaux-Höhle bei | |
| Montignac. Ihre Malereien konnten viele Jahre besichtigt werden. Doch durch | |
| den Besucheransturm und das gestörte Mikroklima in der Höhle wurden die | |
| Kunstwerke beschädigt. | |
| Die Grotte Chauvet ist unter anderem so gut erhalten, weil der | |
| ursprüngliche Eingang, durch den die steinzeitlichen Künstler im | |
| Aurignacien in die Höhle gelangten, vor 20.000 Jahren verschüttet wurde. | |
| Dadurch fiel die Höhle bis zu ihrer Entdeckung in einen langen | |
| „Dornröschenschlaf. | |
| Bereits ihr Entdecker Jean-Marie Chauvet erkannte, dass dieses einzigartige | |
| Ensemble behutsam erforscht werden muss. Paolo Rodriguez aus dem | |
| Konservatorenteam erklärt, dass das Klima der Höhle stabil gehalten und | |
| über Messgeräte permanent kontrolliert wird. | |
| ## Fast unberührt | |
| Die drei Entdecker gingen vor zwanzig Jahren in ihren eigenen Fußspuren | |
| zurück. Dadurch ist der Boden der Höhle fast noch so intakt wie vor der | |
| Entdeckung. Später wurden Plattformen aus rostfreiem Metall installiert, um | |
| die Höhle zu durchqueren. | |
| „Wenn wir heute in die Höhle gehen“, sagt Paolo Rodriguez begeistert, „h… | |
| du das Gefühl, dass du der Erste bist, der die Höhle betritt.“ | |
| An ihrem Computer zeigt Elisabeth Cayrel einige der spektakulärsten | |
| Malereien: „Hier sieht man eine Gruppe Pferde. Der Künstler hat mit der | |
| Darstellung der offenen Augen und gespitzten oder zurückgelegten Ohren der | |
| Tiere genau ihre Stimmung festgehalten: hier neugierig, hier ein sanftes | |
| Gesicht, das hier ist aggressiv, wird beißen. Die Künstler haben sich die | |
| Zeit genommen und sind das Risiko eingegangen auch gefährliche Tiere zu | |
| beobachten, Bären, Löwen, Nashörner – und sie haben Techniken ausprobiert, | |
| mit denen sie das Tier naturnah abbilden konnten. Das sind die Hauptgründe, | |
| warum die Gemälde so einzigartig sind.“ | |
| Die Wissenschaftler glauben inzwischen, dass die Malereien von einem | |
| Meister und seinen Schülern oder einer Künstlergruppe ausgeführt wurden, | |
| denn sie tragen die gleiche künstlerische Handschrift und zeugen von großem | |
| Können. | |
| ## Wie im Zeitraffer | |
| Die Urzeit-Maler nutzten geschickt das Relief der Felswand, um ihre | |
| Abbildungen wirkungsvoll zu präsentieren. Manche Tiere sind wie in einem | |
| Zeitraffer dargestellt, mit versetzten Bewegungen. | |
| Lange Zeit weigerten sich viele Wissenschaftler, das Alter der Höhle und | |
| der Zeichnungen anzuerkennen. Auf 36.000 Jahre wurden die Malereien mit der | |
| Karbonmethode geschätzt – doppelt so alt wie vorher angenommen. | |
| Anfangs waren sich die Wissenschaftler nicht einig darüber, ob die | |
| Malereien tatsächlich aus dem Aurignacien stammen, man konnte oder wollte | |
| einfach nicht glauben, dass sich die ersten Homo sapiens oder vielleicht | |
| die letzten Neandertaler mit so großem künstlerischen Know-how verewigt | |
| hatten. | |
| Inzwischen ist durch die Radiokarbonmethode bewiesen, dass die Malereien | |
| tatsächlich so alt sind. Gleichzeitig erkannte man, dass zu dieser Zeit ein | |
| enormer Kulturschub die Neandertaler und die ersten Homo sapiens zur | |
| Herstellung von Werkzeugen, Malereien und sogar Musikinstrumenten | |
| inspirierte. | |
| ## Nur selten kamen Besucher | |
| Vermutlich wurde die Grotte Chauvet nur selten betreten, sie wurde wohl für | |
| schamanistische Rituale benutzt. So haben die Archäologen bislang keine | |
| Gebrauchsgegenstände in ihr gefunden. | |
| Es gibt aber die Fußabdrücke eines ungefähr achtjährigen Jungen, der mit | |
| einem Hund in der Höhle unterwegs war. An den Wänden erkennt man noch die | |
| Schmauchspuren seiner Brandfackel, die er in regelmäßigen Abständen an die | |
| Höhlenwand geschlagen hat, um deren Helligkeit zu steigern. Die C14-Prüfung | |
| der Kohlereste ergab ein Alter von 26.000 Jahren. Es ist somit die älteste | |
| datierte menschliche Fußspur der Welt. | |
| Noch stehen die Forscher vor vielen Geheimnissen und Fragen. Unklar ist | |
| immer noch, warum die Künstler die Malereien angefertigt haben und wer vor | |
| vielen tausend Jahren dieses schamanistische Heiligtum betreten durfte. | |
| 2 Aug 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Susan Bohn | |
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