| # taz.de -- Kinofilm „Dogman“: Ein Mann, ein Hund | |
| > Matteo Garrones Film „Dogman“ zeigt einen unterwürfigen Hundefriseur. Der | |
| > Darsteller Marcello Fonte verleiht ihm tragische Würde. | |
| Bild: Große Hunde, kleine Hunde: Marcello Fonte in „Dogman“ | |
| Marcello, der titelgebende Protagonist von Matteo Garrones neuem Film | |
| „Dogman“, ist ein bemitleidenswerter Zeitgenosse. Ein schmächtiger | |
| Schwächling, der sich nur in gebückter Haltung fortbewegt, wenn er denn mal | |
| nicht vor etwas zurückweicht; ein hohlwangiger Verlierer, nicht einmal vom | |
| eigenen Hund respektiert. | |
| Der spätabends schnell zubereitete Teller Pasta verschwindet wie | |
| selbstverständlich im Maul des Haustiers, welches das Hundefutter nämlich | |
| verweigert, wahrscheinlich, weil es sich schon so an das Essen seines | |
| Herrchens gewöhnt hat. Aber Marcello gibt es ihm ja gerne. Nicht, dass ihm | |
| etwas anderes übrig bliebe. | |
| Aus seiner Tierliebe hat Marcello einen Beruf gemacht. In seinem Hundesalon | |
| „Dogman“ wäscht und fönt und frisiert er die Hunde der kleinen | |
| Stadtgemeinde. Er schneidet die Krallen jedes noch so einschüchternden | |
| Tiers. Nach Feierabend [1][vertickt er Kokain an seine Freunde,] wobei | |
| „verticken“ nicht ganz stimmt, denn Geld gibt ihm niemand, und „Freunde“ | |
| sind diese Gestalten wohl ebenfalls nicht, denn sie bedrohen und erpressen | |
| und demütigen ihn. Marcello würde einem wohl versichern, dass sie seine | |
| Kumpel seien, und er einer von ihnen, einer von den Jungs. | |
| Seine kriminelle Energie ist in erster Linie Selbsterhaltungstrieb. Er | |
| wählt den Weg des geringsten Widerstands und macht mit, bevor die anderen | |
| aus dem Ort ihn hauen. Eines Abends warten sie vor seiner Haustür und | |
| bedeuten ihm, in ihren Wagen zu steigen; sein Protestieren – „Ich muss doch | |
| den Hund füttern!“ – wird ignoriert. Sie drängen ihn dazu, bei einem | |
| Einbruch mit Diebstahl den Fluchtwagenfahrer zu geben, und natürlich macht | |
| er auch das. | |
| ## Kein schlechter Mann | |
| Man sieht förmlich vor sich, wie diese Gruppe früher in der Schule gewesen | |
| sein musste; wie sie ihn, den dürren Marcello, festgehalten haben, und wie | |
| er dabei gelacht hat, im Versuch, die Erzählung aufrecht zu erhalten, dass | |
| es sich um ein freundschaftliches Spiel handelt, und sie ihn, wenn er sie | |
| darum bitten würde, in Ruhe lassen würden. Aber er hat sie lieber nicht | |
| darum gebeten. Denn was, wenn sie ihn dann nicht in Ruhe gelassen hätten? | |
| [2][Der italienische Regisseur Matteo Garrone,] der wohl vor allem für | |
| [3][seine gefeierte Verfilmung des Mafia-Bestsellers „Gomorrha“] aus dem | |
| Jahr 2008 bekannt ist, lässt seine trostlose Geschichte an einem angemessen | |
| tristen Ort spielen, einer heruntergekommenen süditalienischen Küstenstadt, | |
| deren sagenhaft hässliche Promenade nahezu postapokalyptisch anmutet. An | |
| diesem aus der Zeit gefallenen Ort gewinnt Garrones Film den Charakter | |
| einer Parabel. | |
| Marcello ist jeder kleine Mann, der mit der Androhung von Gewalt leicht zu | |
| beeindrucken ist und schnell für allerhand Unbequemes zur Verfügung steht. | |
| Er verkörpert einen menschlichen Wesenszug, über den man lieber nicht | |
| nachdenken möchte: das radikal Rückgratlose, das Opportunistische, das | |
| Wegduckende. Marcello ist im Grunde kein schlechter Mann. Seine Tochter, | |
| die natürlich bei der Mutter lebt, behandelt er liebevoll; den Hundesalon | |
| führt er gewissenhaft. Aber wie jedes Lebewesen, will er Schmerzen | |
| vermeiden. Und wie jeder Mensch, will er dazugehören. | |
| Auf dem Rückweg vom Einbruch prahlt einer der Ganoven damit, den | |
| aufgedrehten Chihuahua, der den Verlauf des Verbrechens gestört hat, ins | |
| Eisfach gestopft zu haben. Marcello kehrt später in der Nacht zum Tatort | |
| zurück, hebt das starr gewordene Tier aus dem Eisfach, lässt es im | |
| Spülbecken unter warmem Wasser wieder auftauen und beginnt mit der | |
| Herz-Lungen-Wiederbelebung. | |
| ## Aggressives Machogehabe | |
| Er, der „Dogman“, erkennt sich in den Hunden wieder. Der Titel des Films | |
| verweist nicht nur auf einen Hundeexperten, auf einen Mann, der sein Geld | |
| mit Hunden verdient, sondern auch auf einen Mann, der selbst zum Hund | |
| geworden ist. Ein unterwürfiger Sündenbock, ein schmerzlich um Bestätigung | |
| bettelnder Prügelknabe. | |
| Sein Herrchen, wenn man so will, ist Simone, ein bulliger Junkie, der beste | |
| und schlimmste Kunde. Als Marcello einmal von ihm sein Geld eintreiben | |
| will, endet die Konfrontation, die nur in Marcellos Wahrnehmung jemals eine | |
| Konfrontation gewesen ist, damit, dass er dem Schläger dessen nächste, | |
| natürlich noch nicht bezahlte, Line auf einem Flipperautomaten anrichtet. | |
| Die übrigen Kleinunternehmer im Ort, denen Simones aggressives Machogehabe | |
| mächtig auf die Nerven geht, spielen mit dem Gedanken, ihn umlegen zu | |
| lassen. Die Mafia, zwar unsichtbar, ist allgegenwärtig; jeder kennt | |
| jemanden, der sich um so etwas kümmern könnte. Marcello jedoch nimmt seinen | |
| Peiniger in Schutz, aus hündischer Loyalität oder möglicherweise aus | |
| Eigennutz, aber vielleicht ist das auch das Gleiche. | |
| Simone dankt es ihm, indem er den Juwelierladen neben Marcellos Hundesalon | |
| ausräumt und Fährten in dessen Richtung legt. Letztendlich wird Marcello an | |
| Simones Stelle ins Gefängnis gehen. | |
| ## Klaustrophobische Stimmung | |
| So endet die erste Hälfte des Films. Die zweite Hälfte wird sich Marcellos | |
| Rache widmen, seinen Versuchen, der Rolle des Hundes zu entkommen. | |
| Regisseur Garrone beginnt „Dogman“ in neorealistischer Tradition – einfac… | |
| Leute, eine kaputte Stadt, wenig Musik, schmucklose Dialoge – und beendet | |
| ihn als Genrefilm. Beide Teile gelingen ihm, nur die Entwicklung vom einen | |
| zum anderen überzeugt nicht. Die Tochter, der in der ersten Hälfte des | |
| Films eine tragende Rolle zukommt, ist im späteren Verlauf des Films | |
| vergessen, muss sie auch sein, sonst wäre die Eskalation der Erzählung | |
| nicht mehr möglich. | |
| Die Kamera bleibt meist nah an den Figuren; in langen Einstellungen bewegt | |
| Garrone sie im Raum, anstatt zu schneiden, und erzeugt so eine | |
| klaustrophobische Grundstimmung. Die wenigen totalen Einstellungen sind | |
| dann aber sorgfältig komponiert und zeigen kunstvoll ausgeleuchtet das | |
| ganze Elend: die deprimierende Promenade oder den gekachelten Hinterraum in | |
| Marcellos Hundesalon, der aussieht wie eine Folterkammer. | |
| Durch solch wirkungsvolle Inszenierung und auf den Punkt geschriebene | |
| Szenen täuscht Garrone darüber hinweg, dass der Film zum nicht | |
| unwesentlichen Teil aus Variationen des gleichen Moments besteht, nämlich | |
| der mehr oder weniger freiwilligen Unterwerfung Marcellos. Als die | |
| Passivität des Protagonisten zum dramaturgischen Problem zu werden droht, | |
| dreht Garrone die Machtverhältnisse um und lässt seine Hauptfigur von der | |
| Leine. | |
| Glücklicherweise hat der Regisseur mit Marcello Fonte einen Schauspieler | |
| besetzt, der beide Teile glaubhaft verkörpert; den gehemmten Feigling in | |
| der ersten Hälfte und den manischen Rächer in der zweiten. Allein | |
| physiognomisch ist er eine Idealbesetzung; ein kleiner, schmaler Mann mit | |
| traurigen Augen, eingefallenen Wangen und schiefen Zähnen. Er sieht aus wie | |
| Buster Keatons kranker Bruder. Wo Keatons Maske der versteinerte, ernste | |
| Blick war, ist Fontes Maske in „Dogman“ das beschwichtigende Lächeln. | |
| Marcello lässt die Schultern hängen, sein Kopf tendiert Richtung Erde. Er | |
| redet schnell und leise, mehr mit sich selbst als mit seinem Gegenüber. Er | |
| spricht, wie ein Mann spricht, der weiß, dass keiner ihm zuhört. [4][Beim | |
| Filmfestival in Cannes, wo „Dogman“ im Mai Premiere feierte,] hat Fonte den | |
| Darstellerpreis bekommen. Es ist sein großes Verdienst, dass der Film nicht | |
| zur Farce verkommt; er lässt Marcello nicht zur Witzfigur werden, sondern | |
| spielt ihn als kafkaeskes Geschöpf, hoffnungslos verflochten mit der | |
| Unerträglichkeit seines Lebens. | |
| 18 Oct 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Drogen-nehmen-in-Berlin/!5075890 | |
| [2] /Mythos-Mafia/!5176043 | |
| [3] /Gomorrha-in-Cannes/!5181959 | |
| [4] /Abschluss-des-Filmfestivals-in-Cannes/!5504184 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Jekal | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
| Hunde | |
| Kokain | |
| Gomorrha | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Matteo Garrones Spielfilm „Ich Capitano“: Und bedenke das Ende | |
| „Ich Capitano“ von Matteo Garrone folgt jungen Männern aus dem Senegal nach | |
| Europa. Er wird der Realität des heutigen Italiens nicht gerecht. | |
| Abschluss des Filmfestivals in Cannes: Plädoyer für Wahlverwandtschaften | |
| Hirokazu Koreeda hat die Goldene Palme bekommen. Das ist eine souveräne | |
| Entscheidung der Jury unter dem Vorsitz von Cate Blanchett. | |
| Mythos Mafia: "Es herrschen Dritte-Welt-Zustände" | |
| In Neapel identifizieren sich verelendete Jugendliche mit Mafia-Filmen - | |
| und werden zu realen Mördern. Matteo Garrone über seinen Film "Gomorrha" | |
| "Gomorrha" in Cannes: Pfützen aus Blut | |
| Matteo Garrones "Gomorrha" ist kein Film der lauten Empörung, sondern des | |
| kalten Registrierens. |