# taz.de -- "Gomorrha" in Cannes: Pfützen aus Blut | |
> Matteo Garrones "Gomorrha" ist kein Film der lauten Empörung, sondern des | |
> kalten Registrierens. | |
Bild: Das Rote ist entweder Blut oder Lippenstift. Vorn: Regisseur Matteo Garro… | |
CANNES taz Am Samstagabend fällt starker Regen auf die Croisette. Die | |
Passanten, die Schaulustigen und die Galabesucher verstecken sich unter | |
Schirmen, sie haben es eiliger als gewöhnlich. Doch sie kommen langsamer | |
voran, weil die Schirme sich blockieren und verhaken. Hohe Schuhe versinken | |
in Pfützen, Abendkleider werden nass, die Limousinen, die die Stars zum | |
Hintereingang der Salle Lumière bringen, stecken im Stau. Am Sonntag in der | |
Früh ist der rote Teppich aufgeweicht. An einer Stelle steht eine Pfütze. | |
Auch in dem Film, der zur frühen Stunde gezeigt wird, gibt es eine Menge | |
Pfützen, nur sind sie nicht aus Wasser, sondern aus Blut. Der italienische | |
Regisseur Matteo Garrone hat Episoden aus Roberto Savianos Buch "Gomorrha" | |
verfilmt, das vom Wirken der neapolitanischen Camorra handelt. In mehreren, | |
miteinander verzahnten Erzählsträngen entwirft Garrone ein breit | |
gefächertes Bild davon, wie sich das organisierte Verbrechen gestaltet, in | |
welche Bereiche es eindringt und wie es sich die Menschen gefügig hält. In | |
den heruntergekommenen Hochhaussiedlungen am Rande Neapels finden diese | |
unterschiedlichen Stränge zusammen; der Beton, die Gänge und Treppen dieser | |
Gebäude nehmen architektonisch das Gefängnis vorweg; Schulen, Läden und | |
Grünflächen fehlen, dafür gibt es Table-Dance-Bars und Sonnenstudios. Die | |
Geschlechtertrennungjungs beginnen für die Camorra zu arbeiten, wenn sie | |
zwölf sind, ihre Mütter verlassen die Wohnungen so gut wie nie, einzig ein | |
paar weibliche Teenager sind auf der Straße zu sehen - funktioniert | |
perfekt, selbst noch beim Töten. | |
"Wir bringen keine Frauen um", sagt in einer Szene ein Mafiosi; allerdings | |
hält er sich nicht an die Regel. Die Art, wie Garrone diesen von der | |
italienischen Gesellschaft aufgegebenen Ort filmt, erinnert an die | |
großartige US-amerikanische Fernsehserie "The Wire", die die desolaten | |
Zonen Baltimores zu ihrem Schauplatz macht - "Gomorrha" ist kein Film der | |
lauten Empörung, sondern des kalten Registrierens. | |
Garrone beschreibt nicht nur das urban wasteland am Rand Neapels, er | |
verfolgt auch die Verbindungen zwischen der Schatten- und der legalen | |
Wirtschaft. In einem der Handlungsstränge geht es darum, dass ein | |
Schneider, der von einer Designermodefirma subkontraktiert wurde, für 30 | |
Euro pro Stück und in kurzer Zeit mehrere hundert Abendkleider anfertigen | |
muss - das gelingt ihm, weil er heimlich mit einer von Chinesen betriebenen | |
Näherei kooperiert, was wiederum den Clans, die sich normalerweise um | |
solche Jobs kümmern, nicht gefällt. Pasquale, so der Name des Schneiders, | |
überlebt die Rache nur knapp. Später wird er schockiert im Fernsehen sehen, | |
wie Scarlett Johansson in einem seiner Kleider am Lido von Venedig über den | |
roten Teppich schreitet. | |
Am frappierendsten an "Gomorrha" ist, wie wenig Empathie in der | |
Parallelwelt der Camorra möglich ist. Als bei der illegalen | |
Giftmüllentsorgung die Fahrer streiken, weil eines der Fässer ausgelaufen | |
ist, bestellt der Padrone einfach acht-, neunjährige Jungs. In einer | |
Panoramatotale sieht man, wie sie die Laster mit der toxischen Fracht tief | |
in den Steinbruch hineinmanövrieren. | |
19 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
italienisches Kino | |
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes | |
Italien | |
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