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# taz.de -- LGBT-Demonstration in Polen: Europa-Test bestanden
> Gegen Widerstände von Rechtsradikalen, aus Politik und Justiz schaffen es
> LGBT-Aktivisten in Lublin ein Zeichen zu setzen. Ihr Marsch ist ein
> Erfolg.
Bild: Die Gleichheitsparade am Samstag im polnischen Lublin
Lublin taz | Steine fliegen, Tomaten und Eier. Lublins alte Judenstadt,
durch die am Samstag-Nachmittag der bunte und friedliche Gleichheitsmarsch
der Schwulen und Lesben zieht, gleicht einem Schlachtfeld.
Polens „wahre Patrioten“, wie sich die Parteianhänger des Nationalradikalen
Lagers (ONR) und der Allpolnischen Jugend (MW) gerne nennen, stehen wie
eine schwarze Wand am Schlossplatz. Die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Die
Neofaschisten zünden Feuerwerksraketen. Eine brennt ein großes Loch in die
zwölf Meter lange Regenbogenfahne der Demonstranten, am Kopf getroffen
wurde keiner.
Vom Musikwagen, der langsam dem Wasserwerfer und den
Polizei-Mannschaftswagen hinterherfährt, warnt eine Stimme: „Verlasst nicht
den Polizeikordon! Die Polizei schützt uns!“. Dann spielt wieder rockige
Tanzmusik. Die knapp 2000 Schwulen und Lesben lassen sich die gute Laune
nicht verderben. Sie lachen und winken den Umstehenden zu. Denn ihr Marsch
ist – trotz allem – ein Riesenerfolg.
Wäre es nach dem Willen des Lubliner Stadtpräsidenten Krzysztof Zuk
gegangen, hätte es den Marsch gar nicht geben dürfen. Am 9. Oktober, nur
vier Tage vor dem geplanten Marsch, verhängte der Politiker von der
liberal-konservativen Bürgerplattform ein Verbot, weil den Lublinern
angeblich „Gefahr für Leib und Leben“ drohte und auch Sachwerte zerstört
werden könnten.
## In Warschau versagt
In Wirklichkeit ging diese Gefahr aber nicht von den Schwulen und Lesben
aus, die in immer mehr Städten Polens friedlich-fröhliche Paraden abhalten,
sondern von den rechtsradikalen Splitterparteien ONR und Allpolnischer
Jugend, die eine Gegendemonstration angemeldet hatten.
Der von den Rechten organisierte „Unabhängigkeitsmarsch“ im November 2017
hatte Warschau den Ruf eingebracht, nun auch Polens Hauptstadt des
Rassismus zu sein. Die Polizei in Warschau hatte weder dem roten
Bengalenfeuer, Schlägereien und rassistischen Parolen etwas entgegensetzen
können.
„Wahrscheinlich fürchtete Präsident Zuk, dass die Polizei auch in Lublin
versagen würde“, vermutet Tomasz Kitlinski, Dozent für Kunstgeschichte an
der Lubliner Marie Curie-Sklodowska-Universität und ein in ganz Polen
bekannter LGBT-Aktivist. „Aber aus Angst vor den Radikalen hat er UNS das
Demonstrationsrecht verweigert! Dabei sichert die Verfassung Polens jedem
Bürger in unserer Demokratie das Recht zu, für seine Überzeugungen
öffentlich zu demonstrieren.“
Doch schon einen Tag später bestätigte das Lubliner Bezirksgericht das
Demonstrationsverbot des Stadtpräsidenten. Der Vorwurf lautete nun, dass
beide Seiten die Zahl der Teilnehmer an ihrer Demonstration nicht genau
angeben könnten. Zudem sei die Zahl der jeweils eigenen Ordner zu gering.
„Ich kann gar nicht verstehen, was die Richterin sagt“, empörte sich
Bartosz Staszewski, der Organisator der Gleichheitsparade in Lublin. „Wir
stellen für niemanden eine Gefahr da. Es kann doch nicht sein, dass für uns
das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit nicht gilt, nur weil das
irgendwelchen Rechtsradikalen nicht in den Kram passt.“
In der Zwischenzeit berichtete das Rechercheportal Oko.Press, dass
Stadtpräsident Zuk dem Druck wohl aus politischem Kalkül heraus nachgegeben
hatte. In zwei Wochen sind Kommunalwahlen in Polen. Zuk tritt für eine
weitere Amtszeit als Präsident der mit rund 340.000 Einwohnern neuntgrößten
Stadt Polens an.
Obwohl er eigentlich davon überzeugt war, dass Schwule und Lesben ein Recht
auf ihre erste Parade in Lublin hatte, gab er am Ende dem Druck des
Wojwoden (Bezirkschefs) von der Regierungspartei PiS, einiger sehr
einflussreicher katholischer Geistlicher und der Nationalisten, die sich
gerne als „wahre Polen“ aufspielen, nach.
Sie hatten die Parade als eine „Werbekampagne für Pädophile“ denunziert u…
die Demonstranten als „entartet“ und „degeneriert“ bezeichnet.
## Fischen am rechten Rand
Obwohl Lublin eine Universitätsstadt mit mehreren Hochschulen ist, die sich
zudem dank der üppig fließenden EU-Zuschüsse in den letzten Jahren sehr
positiv entwickelte, gilt die Stadt doch als tiefschwarz.
Zuk will bei den Kommunalwahlen am 21. Oktober auch möglichst viele Stimmen
vom rechten Rand holen. Dafür war er sogar bereit, einer in Polen immer
wieder diskriminierten Minderheit wie den Schwulen und Lesben das
Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit abzuerkennen.
Doch das Lubliner Berufungsgericht machte ihm einen Strich durch die
Rechnung. Am 12. Oktober, nur einen Tag vor der geplanten
Gleichheitsparade, hob es sowohl das Demonstrationsverbot des
Stadtpräsidenten als auch das Urteil des Bezirksgerichts in erster Instanz
auf.
Es sei vielmehr die Pflicht des Stadtpräsidenten und der Polizei, so die
Richterin, für die Sicherheit der Demonstranten wie auch der unbeteiligten
Bürger Lublins zu sorgen. Beide Demonstrationen bekamen grünes Licht.
## Aggressiv gegen schwulen Patrioten
Anders als in Warschau vor einem Jahr war die Polizei in Lublin gut
vorbereitet auf die Ausschreitungen der Rechtsradikalen. Hunderte von
Polizisten bahnten der Gleichheitsparade den Weg durch die Stadt, leiteten
sie zwei Mal um, um einer Massenansammlung von schwarz gekleideten und zum
Teil vermummten Radikalen auszuweichen.
Wasserwerfer und Tränengas hielten die aggressivsten Hooligans davon ab,
den Polizeikordon zu durchbrechen und den fröhlich, wenn auch etwas bange
zur Musik tanzenden Demonstranten ihre Regenbogen-Fahnen zu entreißen.
Besonders empörte sie, dass sich einer der schwulen Demonstranten eine
weiß-rote Flagge Polens umgehängt hatte. Doch die Polizei ging in
Zweierreihe neben ihm her, so dass ihm kein Haar gekrümmt wurde.
Am Samstag-Nachmittag bilanziert die Polizeisprecherin: „Es gibt acht
leicht verletzte Polizisten und 21 verhaftete Gegendemonstranten. Davon
werden sich 16 vor Gericht verantworten müssen, die anderen kommen mit
Verwarnungen und Geldstrafen davon.“
## Lublins erstes Mal
Insgesamt sei der Einsatz erfolgreich gewesen. Keinem Teilnehmer der
Gleichheitsparade sei etwas zugestoßen, und auch keinem Bürger Lublins oder
Touristen, die einfach nur den herrlichen Sonnentag genießen wollten.
„Jetzt ist Lublin endgültig in der Europäischen Union angekommen“, freut
sich Tomasz Kitlinski und schwenkt vor dem modernen Kultur-Zentrum eine
blaue EU-Fahne. „Ich bin ein unverbesserlicher Optimist und habe immer
geglaubt, dass wir auch in Lublin unsere Gleichheitsparade haben werden.“
Er lacht: „Und das war es nun: Unser erstes Mal in Lublin!“
14 Oct 2018
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Polen
Schwerpunkt LGBTQIA
Gay Pride
Jarosław Kaczyński
Bisexualität
Polen
Polen
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