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# taz.de -- Kommentar „Deutschland spricht“: Hauptsache, man ist Mensch
> Zeit Online organisierte jüngst „Deutschland spricht“. Aha. Aber wer ist
> eigentlich „Deutschland“? Und was wird da so gesprochen?
Bild: „Austausch mit Andersdenkenden“
Wenn ein 68-jähriger Fernsehmoderator einen 44-jährigen leitenden Redakteur
in einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenstudio mit ernstem Blick fragt,
ob das „analoge Gespräch“ denn „noch zeitgemäß“ sei – spätestens …
klar, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt.
Wo die kognitiven Dissonanzen so groß sind, dass der Spalt den Bildschirm
sprengt, da ist prompt auch sie nicht weit: die „Spaltung der
Gesellschaft“. Hölle nochmal! Ach, Herr Bundespräsident, Sie auch hier? Und
wo bleibt eigentlich Mutter Theresa?
„Deutschland“ also, es „spricht“. Aber wer ist „Deutschland“? Und w…
da so gesprochen?
Erfolgsgeschichten sind es, die von der „bundesweiten Aktion“ versendet und
berichtet werden. „In den Details hatten wir recht unterschiedliche
Ansichten (spezifisch Thema Flüchtlinge und Sexismus), aber in den
grundlegenden Dingen waren wir überraschenderweise einer Meinung“, schreibt
zum Beispiel die „24-jährige Studentin Janike Bolter aus Berlin“ der
Tagesschau im Internet.
## Am Ende kommt man immer super zurecht
Flüchtlinge und Sexismus? Klar, Marginalien. Hauptsache, man versteht sich.
Über alle Lager hinweg! „In der Gesellschaft fehle Kommunikation, die
Medien polarisierten zu sehr (…). Eine ihrer Erkenntnisse dementsprechend:
selbst weniger in Schwarz-Weiß zu denken. ‚Nur weil es die AfD anspricht,
ist es nicht rechts und sollte diskutiert werden, das nimmt ihnen auch
etwas Wind aus den Segeln.‘“
„Deutschland spricht“: womit? Natürlich, A, B, C, halt! A – wie „Austa…
mit Andersdenkenden“. Hauptsache, man ist Mensch. Deutscher Mensch
natürlich. Aber wie anders können die Andersdenkenden denn eigentlich
denken, wenn man am Ende doch immer super zurechtkommt und im ‚Kern‘ die
„Ansichten (…) oft gleich gewesen“ seien, wie „Lisa Rocke aus Hildeshei…
der Tagesschau schreibt?
Wie konträr können die Positionen sein, wenn 85 Prozent der Teilnehmenden
schon vorher fanden, dass „Muslime und Nichtmuslime“ in „Deutschland“ �…
zusammenleben“ können? Und was soll das für ein Streit sein, an dessen Ende
vor allem die große, heile Gemeinschaft steht, in der sich alle liebhaben,
alle „verstehen“?
„Deutschland spricht“: warum? Weil es schon immer gesprochen hat, nicht
anders kann. Integrationsdebatte, Migrationsdebatte, Windraddebatte,
Fahrraddebatte, Wehrmachtsdebatte, Debattedebatte. Spaltung, Spaltung,
Doppelspaltung, Querspaltung, Längsspaltung, Geradeausspaltung.
## Nie hört es auf, das Gerede
Doch anders als sonst sitzen die Normalos, die man zur Eigenbeglaubigung
herankarren ließ, nicht nur gurgelnd im Talkshowpublikum oder am jeweiligen
Unwetterort, damit auch dem Letzten noch bewusst wird, dass das jetzt auch
wirklich stattgefunden hat; nein – die Normalos, sie „sprechen“ jetzt
selbst.
Und schallen sich dabei doch nur denselben Wortmüll entgegen, den
Politiker, Tagesschaus und di Lorenzos dieses Landes eh schon ständig von
sich geben. Wenn auch mitunter in überraschender Reihung: „‚Moin
tagesschau!‘, schreibt Lorenz Stellmacher. Sein dreistündiges Gespräch habe
in einem kleinen Café nahe des Lübecker Rathauses stattgefunden: ‚Wir
verstanden uns sofort.‘
Wichtige Themen ihres Gesprächs seien Rechtsextremismus gewesen – und die
Frage, wie man die Verkehrsplanung in Großstädten weiterentwickeln könne.
Stellmachers Fazit: ‚Bin mit dem Treffen sehr zufrieden.‘“ Immerfort wird
gesprochen, nie hört es auf, das Gerede, die Menschen, das Leben, die
Spaltung der Gesellschaft. Kleiner geworden ist die indes nicht (nach
allem, was man so hört). Eher noch größer.
„Deutschland spricht“: worüber? Die Themen gesetzt haben andere. Trump,
Islam, Verkehr, Asyl – ausgewählt von Zeit Online und seinen zehn
kooperierenden Mit-Medienhäusern. Die selige Mitte debattiert darüber, dass
sie endlich debattiert, worüber sie schon immer debattiert. Möglichst
wenige Schafe sollen ihr abspenstig werden und auf dumme Gedanken kommen
bei all den Gesprächen, Schlüsse gar ziehen.
## Donnergrollen verirrter Lämmer
Wie den, dass sich vielleicht etwas grundsätzlich ändern muss an der so
vielbeschworenen „Gesellschaft“.
Oder den, dass all der „Hass“, der jetzt durch normiertes Sprechen vor und
hinter Redakteurs-Kladden graswurzelmäßig bekämpft werden soll, womöglich
gar kein so plötzlich aus der dunklen Nacht hereinbrechendes Donnergrollen
verirrter und verführter Lämmer ist, sondern ganz und gar aus eben ihrer
Mitte kommt.
„Deutschland spricht“. Es sollte besser schweigen.
26 Sep 2018
## AUTOREN
Adrian Schulz
## TAGS
Soziale Medien
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Demokratie
Tagesschau
Diskurs
Digitale Medien
Migration
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